Kommunikationstechnik

Drahtlos heilen

21. Juni 2016, 7:31 Uhr | von Peter Sommer

Mehr und mehr medizintechnische Geräte verfügen über kabellose Nebenbediengeräte. Dies kann die drahtlose Zahnarztturbine sein oder ein kabelloses Steuergerät für den OP-Tisch. Allerdings bringt die zunehmende Verbreitung neue Anforderungen für Entwicklung und Fertigung mit sich.

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Bebro begleitet durch die Entwicklung
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© bebro electronic

Als vor einigen Jahren der drahtlose Notaus-Schalter auf den Markt kam, ging ein Aufschrei durch die Elektronikbranche. Das Risiko, dass es auf Grund der verwendeten Funktechnik zu Fehlfunktionen kommen könnte, beunruhigte viele Hersteller, EMS-Dienstleister und Anwender. Mittlerweile sorgt der technologische Fortschritt dafür, dass drahtlose Geräte zunehmend Einzug in Krankenhäuser, Arztpraxen und Rettungswagen halten.

Die Verbindung des Nebenbediengerätes mit dem Hauptbediengerät erfolgt in der Regel über Funktechniken, wie Bluetooth, WLAN oder andere Systeme auf der Basis modulierter elektromagnetischer Wellen. Auch Infrarottechniken haben Hersteller und Entwickler in der Vergangenheit getestet. Die IR-Technik konnte sich in der Medizintechnik jedoch nicht durchsetzen. Die zwingend notwendige Sichtverbindung zwischen IR-Sender und -Empfänger ist im Arbeitsalltag unpraktisch und zudem störungsanfällig. Aus diesem Grund ist Funktechnik das Mittel der Wahl, um bei medizintechnischen Geräten eine sichere Verbindung zwischen Neben- und Hauptbediengerät aufzubauen.

Wann ist ein Gerät sicher?

Die Funktionssicherheit von medizinischen Geräten ist bei deren Entwicklung oberstes Gebot. Schließlich arbeiten Ärzte mit diesen Geräten direkt am Patienten. Funktionsstörungen können schlimme Folgen für Patienten haben. Daher ist es wichtig festzulegen, in welchem Betriebszustand ein medizintechnisches Gerät sicher ist.

Bei einem kabellos steuerbaren OP-Tisch ist der »Aus«-Zustand der sichere. Denn der Tisch soll sich nur dann bewegen, wenn der Operateur das Steuersignal auslöst. Im Fall einer unkontrollierten Bewegung des Tisches besteht das Risiko, dass der Operateur mit dem Skalpell einen falschen Schnitt setzt. Daher ist zu gewährleisten, dass der OP-Tisch in seiner Ausgangsposition bleibt, selbst wenn es zu einer Funktionsstörung kommt.

Eine ungewollte Bewegung des Tisches ist ausgeschlossen, solange sich das Steuergerät im »Aus«-Zustand befindet, der Empfänger des OP-Tisches also kein Signal vom Steuergerät erhält. Anders sieht es bei einem Beatmungsgerät aus. Hier ist der sichere Zustand »An«. Denn es muss Verlass darauf sein, dass das Gerät bis zum eindeutigen »Aus«-Signal seine Arbeit verrichtet und den Patienten am Leben hält.

Kontinuierliche Signalübertragung

Bei allen kabellosen Nebenbediengeräten muss die kontinuierliche Übertragung der Signale zwischen Sender und Empfänger gesichert sein. So darf der Motor eines Zahnarztbohrers erst dann die Welle drehen, wenn der Arzt durch Knopfdruck den Steuerbefehl dazu gibt. Der Bohrer ist also im »sicheren Zustand«, solange der Empfänger im Hauptbediengerät vom Sender kein Signal erhält (»Aus«-Zustand). Sobald der Arzt den Bohrer durch Knopfdruck startet (»An«-Zustand) schickt der Sender des Bohrers alle 20 ms ein Signal an den Empfänger und gibt damit die Information weiter: »Ich bin in Betrieb«. Sollte nun die Verbindung zwischen dem Sender des Nebenbediengerätes und dem Empfänger des Hauptbediengerätes unterbrochen sein, so stoppt der Motor des Bohrers nicht schlagartig, sondern läuft noch für 50 ms weiter. Während dieser Zeit sendet das Nebenbediengerät weiter das »An«-Signal. Ist innerhalb der 50 Millisekunden die Störung beseitigt, läuft der Bohrer weiter, ohne dass der Arzt es bemerkt. Diese Verzögerung bis zum Abschalten ist für medizintechnische Geräte in der Regel problemlos und bewirkt eine zuverlässige Übertragung.

Funk frisst Strom

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Sensoren, Displays, Funksender und Empfänger, alle verlangen nach 
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Strom. Bei der Entwicklung von Nebenbediengeräten besteht der Widerspruch, diese einerseits mit vielen Funktionen auszustatten, andererseits aber eine lange Betriebsdauer zu gewährleisten. Vor allem Funktechnik ist häufig ein Stromfresser. Mit Bluetooth LE (Low Energy) steht allerdings eine Funktechnik zur Verfügung, die sich durch eine niedrige Energieaufnahme auszeichnet und sich optimal für Langzeit-Batterieanwendungen, wie Sensoren oder Funksender und Funkempfänger eignet.

Doch ist es mit Bluetooth LE noch nicht getan. Entwickler sollten sich auch über den energieeinsparenden Gebrauch der Funktechnik Gedanken machen. Die Stromaufnahme lässt sich beispielsweise dadurch senken, dass eine Funkübertragung nur auf Anforderung stattfindet. Also immer nur dann, wenn der Arzt eine Aktion ausführen möchte. Natürlich gibt es auch die Notwendigkeit regelmäßiger Statusmeldungen über den Zustand eines Nebenbediengerätes. Dies kann z. B. der Ladestand der Batterie sein. Auf solche Statusmeldungen sollten Entwickler nicht grundsätzlich verzichten, aber sie sollten selten abgerufen werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Wahl der Intervallzeiten beim Senden. Die Intervallzeit muss so zu messen sein, dass sie einerseits möglichst viel Energie einspart aber auch eine maximale Intervallzeit einhält, die dem Anwender im Störungsfall eine angemessene Reaktionszeit erlaubt. Greifen wir noch einmal das Beispiel des Zahnarztbohrers auf. Es kommt zu einer Funktionsstörung im Nebenbediengerät. Das Gerät meldet diese Störung und bleibt noch einen Augenblick in dem zuletzt vom Sender übertragenen Zustand, beispielsweise »An«. Dies ermöglicht dem Arzt den Bohrer zurückzuziehen, bevor die Funktionsstörung zu negativen Auswirkungen beim Patienten führt.

Vermeiden von Störeinflüssen

Die Anordnung der Elektronik-Komponenten im Gehäuse eines medizinischen Nebenbediengerätes ist entscheidend für die Vermeidung störender Einflüsse auf die Funktechnik. Ebenso entscheidend ist die Konstruktion von Gehäuse und Leiterplatten. So hat beispielsweise die Platzierung der Antenne und der HF-Komponente innerhalb der Schaltung Einfluss auf die Reichweite des Funksenders oder auf die Empfindlichkeit des Empfängers. Idealerweise sollten die Komponenten der Funktechnik am Rand der Platinen verbaut werden, um eine bestmögliche Abstrahlung zu gewährleisten.

Kostenfaktoren

Neben den elektronischen Stolpersteinen gibt es bei der Entwicklung und Fertigung von kabellosen medizintechnischen Geräten auch immer den finanziellen Aspekt zu berücksichtigen. Mitunter wollen Hersteller eigenentwickelte Funktechniken in ein medizintechnisches Gerät integrieren. Die Gründe dafür sind beispielsweise, durch die Abkehr von Standardbausteinen einen Produktvorteil gegenüber der Konkurrenz zu erzielen, weniger Platz auf der Platine zu beanspruchen oder die Reichweite des Senders besonders groß auszulegen.

Allerdings müssen diese Eigenentwicklungen zuvor ein umfangreiches Zertifizierungs- und Prüfprozedere über sich ergehen lassen. Hinzu kommt, dass gesetzliche Richtlinien und Vorschriften (Compliance) über die Inbetriebnahme von HF-Technik einzuhalten sind. Diese Compliance-Anforderungen können selbst in Europa von Land zu Land unterschiedlich ausfallen.

Vorteile von Konfektionsware

Daher sind vorzertifizierte und funktechnisch zugelassene Module bei Stückzahlen der zu produzierenden medizintechnischen Geräte unter 10.000 pro Jahr die kostengünstigere Lösung. Vor allem mit Bluetooth LE ergeben sich in der Fertigung große Kostenvorteile. Denn Bluetooth LE ist unter anderem bei Smartphones und Tablet-PCs weit verbreitet. Der Fertiger bezieht entsprechende Module also zu vergleichsweise geringen Stückkosten und muss die Bausteine anschließend nur noch auflöten.

Ein weiterer Vorteil von Bluetooth LE ist die einfache Inbetriebnahme durch eine breite Palette an verfügbaren Tools und ein kostengünstiges Testequipment. Bei hohen Stückzahlen der medizintechnischen Geräte hingegen können die effiziente Platzausschöpfung auf der Platine und geringere Stückkosten die hohen Investitionen in Eigenentwicklungen schnell amortisieren.

Über den Autor:

Peter Sommer ist Leiter des technischen Vertriebs bei Bebro Electronic.


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