Kommentar zu den drohenden Konsequenzen der Bologna-Reform

Fachkräftemangel: Keiner traut dem Bachelor

16. September 2010, 12:24 Uhr | Corinne Schindlbeck

Reden wir Klartext! Der Bologna-Beschluss ist für die deutsche Industrie – um es in Anlehnung an die Worte des verstorbenen Grünen-Politikers Sepp Daxenberger zu formulieren, ein »Scheißbeschluss«. Denn wir steuern nun auf ein Elite-Hochschulsystem wie in den USA zu. Das wird den Fachkräftemangel verschärfen.

Bologna mit seiner Einteilung in Bachelor- und Master-Absolventen wird offiziell zwar von allen Seiten begrüßt – doch hinter vorgehaltener Hand trauert man der »Marke« Diplom-Ingenieur hinterher. Das ist verständlich, denn keiner weiß, wie das »neue Stromzeitalter« (Zitat VDE) mit den neuen Bachelors zu bewerkstelligen sein wird, denn deren Ausbildung liegt in der Hoheit der einzelnen Hochschulen. Der Wettbewerb um fachlich hochqualifizierte Absolventen beider Abschlüsse wird sich in Zukunft zwangsläufig verschärfen! Hochschulrankings werden ebenso an Bedeutung gewinnen wie Arbeitgeber-Beliebtheitsskalen. Etwa 80 Prozent Bachelor-Absolventen und 20 Prozent Master sollten dem deutschen Arbeitsmarkt ausreichen, sagen Optimisten. Andere, wie der VDE-Vorstandsvorsitzende Dr.-Ing. Hans Heinz Zimmer, gehen offiziell eher von zwei Drittel Bachelor zu einem Drittel Master aus.

Verunsicherung herrscht folglich auf Studenten-Seite: Kann er seinem Vorhaben, den Bachelor-Abschluss zu machen, vertrauen? Ist dieser ein Garant für eine solide Karriere? Experten wie Uwe Hermann von der Siemens AG, Vorsitzender des VDE-Ausschusses Beruf, Gesellschaft und Technik, raten Studenten zum Master! Das spricht Bände! Schließlich steht es in den Sternen, ob ein nicht-konsekutives Studieren (Bachelor – Anstellung Industrie – Master) überhaupt zu bewerkstelligen ist.

Was hat das alles für Auswirkungen auf Unternehmen? Sie müssen Ihre Bemühungen um hochqualifizierte Kandidaten zwangsläufig intensivieren. Denn einerseits geht die Zahl der Elektrotechnik-Absolventen jeglicher Couleur demografisch bedingt stetig zurück; Prof. Dr.-Ing. Gerald Gerlach, Vorsitzender des VDE-Ausschusses Ingenieurausbildung, sieht in seinen Vorlesungen an der TU Dresden kaum mehr in deutsche Gesichter. Macht ja nix, könnte man sagen. Doch die ausländischen Absolventen gehen in der Mehrzahl in ihre Heimatländer zurück.

Allein die Zahl der in Rente gehenden Ingenieure saugt bereits heute ganze Jahrgänge an Absolventen ab. Gleichzeitig werden sich die Unternehmen um die »guten« Bachelors reißen (müssen), denn nur solche werden ein Äquivalent zum alten Dipl.Ing (FH) sein. Was heißt das für Abiturienten? Schau genau, wo Du deinen Bachelor machst! Master-Absolventen (die sich wahrscheinlich bald wieder auch Dipl.-Ing. nennen dürfen) werden rar sein. Dazu kommt: Viele Ingenieure sind verunsichert! Sie glauben nicht an einen Fachkräftemangel, weil die Unternehmen zwar jammern, sie aber nicht einstellen. Es wird ein Kampf um die Besten werden – auf beiden Seiten.