Das Einsatzgebiet für Leistungselektronik als relativ junge Schlüsseltechnologie ist extrem breit. Interdisziplinäres Denken und Arbeiten ist daher unerlässlich. Stimmen die gängigen Hochschulabschlüsse mit dem Bedarf der Industrie überein?
Welche Anforderungen die Industrie an Ingenieure im Fachgebiet Leistungselektronik stellt, war Gegenstand von einigen Recherchen des „European Center for Power Electronics“ (ECPE).
Ergebnis: Es gibt durchaus Bedarf, das Lehrangebot weiter zu entwickeln, die Branche setzt stark auf Aus- und Weiterbildung. „Wir wollten genauere Informationen, welche Qualifikationen Ingenieure in der Leistungselektronik mitbringen sollen“, berichtet Thomas Harder, Geschäftsführer des Clusters Leistungselektronik im ECPE .
Deswegen habe man Stellenanzeigen und Stellenbeschreibungen auswerten lassen und rund 30 Interviews geführt. Ergebnis: „Den“ Leistungselektroniker gibt es nicht.
Vielmehr muss nach Tätigkeit, Wertschöpfungsstufe und Applikationsfeld unterschieden werden – erst dann könne man Aussagen zum konkreten Know-How-Bedarf treffen und eine Richtungsempfehlung für ein Grundstudium geben, also etwa Elektrotechnik, Physik, Werkstofftechnik oder Mechatronik.
Die Recherchen von ECPE haben einige typische Lücken in der Qualifikation der Ingenieure aufgedeckt, etwa im Bereich Aufbau- und Verbindungstechnik, Werkstoffe, thermisches Management, EMV-gerechtes Design, parasitäre Effekte, Treiber oder Induktivitäten. Wer hier gute Kenntnisse habe, sei sehr gefragt, so Harder.
Eine stärkere Fokussierung auf Bedürfnisse der Leistungselektronik-Industrie wäre auch in einigen anderen universitären Fachgebieten wünschenswert - z.B. Embedded Systems, Programmieren in VHDL und Datenbussysteme. Skills in Schaltungsentwurf, Modellbildung und Simulation seien ebenso nützlich wie Fertigkeiten in der Messtechnik und Know How in Konzeption und Auswertung von Versuchen (Design of Experiments).
Und auch handwerkliche Fähigkeiten könnten keinesfalls schaden, etwa wenn es um den Aufbau von Prototypen gehe.
„Soft Skills“ waren ebenfalls Gegenstand der Recherchen des ECPE. Ohne diese könne heute kein Ingenieur mehr auskommen: Projektmanagement, Teamarbeit, Markt- und Kundenorientierung, BWL (Abläufe in der Industrie, Kostenrechnung), Info-Recherchen, Dokumentation und Fremdsprachen, allen voran von Englisch.
Wie breit das Einsatzgebiet der Leistungselektronik ist, machte auf der PCIM die Präsentation von Dr. Martin Schulz von Infineon Warstein klar. Der engagierte Vortrag im Rahmen des vom ECPE veranstalteten Students Day ließ den Bedarf an Ingenieuren erahnen. Infineons Leistungshalbleiter stecken so ziemlich in jeder Applikation mit Zukunft: angefangen vom iPhone über Solarumrichter, Automotive, Windkraftanlagen bis hin zu Landmaschinen.
Auch Dr. Uwe Scheuermann von Semikron betont, dass „interdisziplinäres Denken und Arbeiten“ in der Power-Industrie unerlässlich sei. Der Lehrbeauftragte für Aufbau- und Verbindungstechnik in der Leistungselektronik an der Universität Erlangen-Nürnberg hält nicht so viel von immer neuen Studiengängen. „Ein solides Wissen um die Grundlagen ist das Wichtigste!“, betont Scheuermann.
Das Studium sollte zu einer Übertragung dieser Grundlagen auf neue Situationen befähigen, ergänzt Thomas Harder vom ECPE, dazu seien exemplarische Vertiefungen in einem der Anwendungsfelder wie z.B. elektrische Antrieben, regenerative Energien, Elektromobilität oder elektrische Netze erwünscht.
Gregor Wohlfahrt, verantwortlich für Hochschulmarketing bei SEW-Eurodrive, sieht in einem soliden Basiswissen ebenfalls die Grundvoraussetzung für angehende Ingenieure bei SEW-Eurodrive und bestätigt damit seine Vorredner: Der Blick über den Tellerrand und interdisziplinäres Denken seien entscheidend. Den Rest übernimmt sein Unternehmen ohnehin selbst, durch die Dynamik in der Weiterentwicklung in der Antriebstechnik sei das gar nicht anders zu machen, Beispiel Sicherheitstechnik.
Diese Geschwindigkeit könne auch die Lehre an den Universitäten nicht immer ganz genau abbilden, „auch wenn die Lehrstühle insgesamt sehr nah am Puls sind“, sagt Wohlfahrt und betont: „Die unternehmensspezifischen Kenntnisse bringen wir unseren Mitarbeitern selbst bei.“ Das geschieht zum Beispiel im Rahmen der „Drive Academy“, der Weiterbildungseinrichtung des Antriebsspezialisten. Die Fortbildung für Berufseinsteiger dauert in der Regel ein halbes Jahr und wird individuell mit dem Vorgesetzten abgestimmt.
Weit mehr Verbesserungsbedarf sieht Wohlfahrt in der beruflichen Ausbildung im gewerblich-technischen Bereich, etwa für den Geräte-Systeme-Elektroniker oder auch im Bereich Techniker-Meister. Hier gebe es deutliche Defizite, „die Antriebstechnik steckt hier noch in den Kinderschuhen.“
SEW-Eurodrive versucht diese Not zu lindern, in dem es Lehrkräfte in Antriebstechnik fortbildet. Hierzu existieren bereits Verträge mit mehreren Bundesländern, zuletzt wurde einer mit Schleswig-Holstein abgeschlossen.