Leserin I.M.:
ich fürchte so einfach ist diese Frage nicht zu beantworten. Ich studiere als eine von wenigen Frauen Mechatronik an der Kepler Universität Linz und habe mich zu Beginn meines Studiums in mehreren Förderprogrammen für Mädchen in technischen Studienrichtungen engagiert; vielleicht kann ich dem Diskurs einen Standpunkt hinzufügen, da die meisten Erfahrungen vermutlich direkt auf die Elektrotechnik übertragbar sind.
Zu allererst: Es stimmt natürlich, es gibt viel zu wenige Frauen/Mädchen in Ingenieursstudien. Dennoch stehe ich den meisten Frauenförderprogrammen, die sich zum Ziel gesetzt haben, etwas daran zu ändern, inzwischen skeptisch gegenüber. Wenige Frauen in »Männerdomänen« scheint ein kulturelles Problem zu sein, dass manche Gesellschaften mehr haben als andere. Vermutlich spielen alle erdenklichen soziologischen, gesellschaftlichen, historischen etc. Faktoren zusammen, so dass es schwierig ist, die genauen Ursachen zu benennen und zu bekämpfen. Aber eines scheint mir doch deutlich am Ziel vorbei zu gehen - und zwar der Ansatz, bei Maturantinnen / Abiturientinnen und jungen Frauen für MINT-Fächer zu werben bzw. diese durch gewisse Bevorzugungen zu fördern.
Tendenziell entwickeln diejenigen Mädchen, die später erfolgreich in einem technischen Studium sind, schon während ihrer Jugend eine Faszination für Technik oder Naturwissenschaften. An Maturantinnen / Abiturientinnen heranzutreten und zu versuchen, eine Begeisterung für etwas zu wecken, was sich vorher noch nicht manifestiert hat, kann gut sein für die Statistik, aber auch fatal für ihren persönlichen Werdegang. Ich habe in meiner Studienzeit alle möglichen Typen von jungen Frauen kennen gelernt - viele sind leider an dem doch überdurchschnittlich schwierigen Studium gescheitert, meistens weil es nicht ihren Vorstellungen entsprach.
Aber manche Frauen sind natürlich auch überaus erfolgreich, haben ihr Studium mit Auszeichnung abgeschlossen und arbeiten an ihrer Doktorarbeit. Ihnen gegenüber finde ich es unfair, dass sie auf von Frauenförderprogrammen finanzierte Arbeitsstellen verfrachtet werden, die zur Not jahrelang unbesetzt bleiben, bis sich eine qualifizierte Frau findet. Sie beginnen ihre Karriere von einem Standpunkt aus, auf dem sie erstmal erneut beweisen müssen, dass sie aufgrund ihrer Fähigkeiten eine Position erreicht haben, und nicht wegen ihres Geschlechts.
Mir ist klar, Maßnahmen zur Förderung von mehr Frauen in technischen Studien sind gut gemeint - aber ich zweifle daran, dass sie in der derzeitig praktizierten Form zielführend sind. Letztendlich wollen wir ja eine Welt schaffen, in der eine Frau in einer Ingenieursdisziplin etwas Selbstverständliches ist; das bedeutet für uns Frauen, dass wir darauf verzichten müssen, etwas Besonderes zu sein (»oh toll, eine Frau in einem technischen Studium«). Wir sollten aufhören, uns als förderungsbedürftige Kreaturen aufzufassen, die besonderer Schutzmaßnahmen bedürfen, um uns in einer feindsehligen Männerdomäne zu behaupten.