Schmelzende Margen fressen Qualität auf

Lästige Bedenkenträger: Über den schwierigen Job von Qualitätsmanagern

8. Juli 2010, 12:31 Uhr | Von Ralph Stömmer, Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM)
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Fortsetzung des Artikels von Teil 2

Die Kontrollillusion: Optimismus blendet das Denken in Risiken aus

Wo Bilder und Szenarien ihre Wirkung verfehlen, bleibt die Kontrollillusion der gefährlichste Gegner des Qualitätsingenieurs. Die Kontrollillusion ist meist dort zu finden, wo auf Erfahrungen vertraut wird, und sie zeigt sich in verschiedensten Ausprägungen getreu dem Motto »bisher ist alles gut gegangen, auch in Zukunft wird nichts schief gehen«. Aussagen wie »wozu eine Funktionszuverlässigkeit von 99.99 Prozent garantieren - eine 9 weniger hinter´m Komma tut´s auch!« sind Erscheinungen der Kontrollillusion.   Verantwortungsträger wähnen sich in der Kontrolle noch so zufälliger Prozesse – bisherige Erfolge geben ihnen Recht, der Optimismus blendet das Denken in Risiken aus. Bisher hat schließlich alles geklappt, deshalb sind sie ja noch immer die Leute an der Spitze. Wozu sich dem Ungewissen stellen?

Ein Ausflug in die Wahrscheinlichkeitsrechnung

Dazu ein Ausflug in die Wahrscheinlichkeitsrechnung: die Ausfallwahrscheinlichkeit p(F) für einen mechatronischen Sicherheitsschalter betrage über einen Zeitraum von 10 Jahren nur p(F) = 1/10000. Die Sicherheitsschalter sollen in 500 Bussen des öffentlichen Nahverkehrs verbaut werden, um ein Einklemmen von Personen in Türen verhindern. Die Zuverlässigkeit p(Z) für störungsfreie Funktion im selben Zeitraum beträgt damit p(Z) = 1 – p(F) = 99.99 Prozent. Da 500 Busse über jeweils 2 Türen verfügen, müssen insgesamt 1000 Sicherheitsschalter geliefert werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass kein einziger der Schalter über einen Zeitraum von 10 Jahren ausfällt, beträgt nach der Multiplikationsregel:

p1(kein Schalter defekt) = 0.9999^1000 =  90 Prozent

Die Wahrscheinlichkeit, dass über einen Zeitraum von 10 Jahren mindestens einer der 1000 Schalter ausfällt beträgt somit

p1(mindestens ein Schalter defekt) = 1 – p1(kein Schalter defekt) = 10 Prozent

Das Ergebnis mag ein auch für die Qualitätsabteilung vertretbares Risiko bedeuten. Ein ganz anderes Bild ergibt sich, wenn Kraft formaler Beschlüsse in einem der zahllosen Meetings eine »9« hinter dem Komma geopfert wird:

p2(kein Schalter defekt) = 0.999^1000 = 37 Prozent

Die Wahrscheinlichkeit für den Ausfall derartiger Schalter wäre demnach p2 (mindestens ein Schalter defekt) = 63 Prozent! Ob dieses Ergebnis als grob fahrlässig gewertet werden kann, hängt von den Randbedingungen ab: muss lediglich der Service auf Reisen gehen um den defekten Schalter auszutauschen, und sind keine nennenswerten Folgeschäden zu verzeichnen, sind die anfallenden Reisekosten des Servicepersonals gegenüber den mittels Qualitätsminderung erzielten Einsparungen vernachlässigbar. Werden die Sicherheitsschalter z.B. in US-amerikanischen Schulbussen montiert und wird durch Fehlfunktion ein Kind verletzt, können die Schadenersatzforderungen schnell in die Millionen gehen.

Obige Zusammenhänge gelten nicht nur für Mengen, sondern auch für Zeiträume. Kein Produkt ist perfekt, d.h. immer p(Z) < 1. Bei einer Betriebsdauer von 30 Jahren anstelle der garantierten 10 Jahre werden Ausfallwahrscheinlichkeiten zu sicheren Gewissheiten. Für besagte Sicherheitsschalter bedeutet das:

p2(mindestens ein Schalter in 30 Jahren defekt) = 1 – 0.999^(1000x3)   =  95 Prozent

95 Prozent steht für ein nahezu sicheres Ereignis! Das einfache Beispiel hilft eine weitere gängige Hypothese zu hinterfragen: Gebrauchtes habe sich bewährt und sei deshalb sicher (so sinngemäß ein argentinischer Verteidigungsminister beim Kauf gebrauchter Schlachtschiffe). Hier ist eine ausgeprägte Kontrollillusion am Werk, die Vergangenheit wird in die Zukunft extrapoliert.


  1. Lästige Bedenkenträger: Über den schwierigen Job von Qualitätsmanagern
  2. Qualitätsingenieure werden oft zu »Gegnern« des Vertriebs, weil sie die Produktauslieferung bremsen
  3. Die Kontrollillusion: Optimismus blendet das Denken in Risiken aus
  4. Kleine Budgets und die Folgen

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