Schmelzende Margen fressen Qualität auf

Lästige Bedenkenträger: Über den schwierigen Job von Qualitätsmanagern

8. Juli 2010, 12:31 Uhr | Von Ralph Stömmer, Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM)
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Qualitätsingenieure werden oft zu »Gegnern« des Vertriebs, weil sie die Produktauslieferung bremsen

Die ursprünglich technische Aufgabe, Produktzuverlässigkeit sicherzustellen, wandelt sich zu einer formaljuristischen Herausforderung. Nicht zufällig ist der Bedarf an Kaufleuten, Account-Managern und Juristen bei bedeutenden Firmen am größten. Falls überhaupt noch vorhanden, stagnieren die Qualitätsabteilungen und Analyselabors bezüglich Manpower und Ausstattung, an der Fortbildung der Qualitätsingenieure wird gespart.

Qualitätssicherung braucht Zeit: die Bestimmung von Produktlebensdauer, System-Uptime, und Zuverlässigkeit unter Belastung bedeuten Aufwände. Sind die Produktentwicklungspläne auf Kante genäht, was auf globalisierten Märkten mit harter Konkurrenz ausnahmslos der Fall ist, wird Time-to-Market priorisiert. Qualitätsingenieure bilden die letzte Bastion; sie verweisen auf Restrisiken, ihre Bedenken können Produktfreigaben verhindern. Innerhalb produzierender Unternehmen werden Qualitätsingenieure deshalb oft zu »Gegnern« des Vertriebs und »Bremsern« der Produktauslieferung stigmatisiert. Die Büros von Qualitätsabteilungen liegen nicht selten Tür an Tür zu Entwicklung und Fertigung, statt in der Nähe der Geschäftsleitung. Dieser Umstand ist nicht unbedingt förderlich.

Der Simulationsirrtum

Üppig bebilderte Powerpoint-Verkaufs-Strategien finden oftmals mehr Anerkennung als trockene Statistik. Das führt zum sog. »Simulationsirrtum«: Er besteht nach den amerikanischen Psychologen D. Kahnemann und A. Tversky darin, dass ein Ereignis als umso wahrscheinlicher beurteilt wird, je leichter wir uns die zugehörigen Szenarien vorstellen können. Dazu kommt, dass wir eingängige Details mit eigenen Erlebnissen »mappen«. Letzteres wäre die Verfügbarkeitsheuristik, eine unbewusste Daumenregel, nach der wir Wahrscheinlichkeiten danach gewichten, wie leicht uns zu Schilderungen eigene Assoziationen, Erlebnisse und Wünsche in den Sinn kommen. Die Fatalität daran zeigt sich an folgendem Beispiel, in dem nach der Wahrscheinlichkeit von Szenarien gefragt wird:

Szenario 1:   Es gibt keine Qualitätsprobleme

Szenario 2:   Das neue Produkt rollt den Markt auf, die Kosten sind gering und es gibt keine Qualitätsprobleme

Nach den Tests von Kahnemann und Tversky aus dem Jahre 1981 hätten sich die meisten Probanden für das ausführlichere Szenario 2 entschieden, obwohl nach der Multiplikationsregel für Wahrscheinlichkeiten von voneinander unabhängigen Teilereignissen gilt:

p(1) = p(keine Probleme)

p(2) = p(Produkt rollt Markt auf) ∙ p(Kosten gering) ∙ p(keine Probleme)

Für Wahrscheinlichkeiten p gilt: 0 ≤ p ≤ 1, und da wir mit echten Brüchen multiplizieren folgt: p(1) > p(2). Szenario 1 ist somit wahrscheinlicher als Szenario 2, obwohl letzteres eingängiger ist, weil detailreicher geschildert. Szenarien sind auch deshalb so gefährlich weil ein Variantenreichtum Objektivität simuliert wo keine ist: so wird man Opfer von Futurologen oder Strategieberatern. Merksatz: die Un-Wahrscheinlichkeit steigt stets mit dem Detailgrad.


  1. Lästige Bedenkenträger: Über den schwierigen Job von Qualitätsmanagern
  2. Qualitätsingenieure werden oft zu »Gegnern« des Vertriebs, weil sie die Produktauslieferung bremsen
  3. Die Kontrollillusion: Optimismus blendet das Denken in Risiken aus
  4. Kleine Budgets und die Folgen

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