Gene Frantz ist bei Texas Instruments eine lebende Legende. Er macht sich nicht nur Gedanken über die Technologie im Jahr 2020, sondern berät als Chef des sogenannten „Technical Advisory Boards“ CEO Richard Templeton und dessen Vorstandskollegen bezüglich der Unternehmensstrategie. Im Exklusiv-Interview mit der Elektronik erklärte Frantz nicht nur den DSP für tot, sondern sprach auch noch über „Marketing-Lügen“ in der Chip-Industrie.
Elektronik: Nachdem die Erhöhung der Taktfrequenz bei Mikroprozessoren eine Grenze gefunden hat, setzt die Industrie jetzt auf Multicore-Lösungen. Das Problem besteht ja nur darin, dass das menschliche Gehirn sequentiell arbeitet und es schwierig ist, Software zu paralellisieren. Was ist der Ausweg aus diesem Dilemma?
Ich sehe zwei Konzepte: Multiprozessing und Multicore. Bei Multicore-Architekturen haben wir mehrere identische Cores, bei Multiprozessing-Architekturen haben wir einen Host-Prozessor für die Steuerung und ggf. hunderte IP-Blöcke, die für unterschiedlichste Aufgaben optimiert sind. Bei Multicore haben wir zwei wesentliche Probleme: Das eine ist das amdahlsche Gesetz und das zweite ist das Bottleneck, das nicht mehr die Rechenleistung, sondern die Kommunikation zwischen den Cores ist. Diesbezüglich wird an der optischen Datenübertragung gearbeitet, um höhere Bandbreiten zu erzielen. Die digitale Signalverarbeitung nenne ich immer „ahmdal-freundlich“, da sich hochgradig parallelisierbar ist. Wir hatten Ende der 80er Jahre einen Prozessor mit tausend 1-bit-Cores gebaut, jeder konnte ein Pixel eines Videostreams verarbeiten. Man muss die Aufgaben daher so verteilen, dass die „amdahl-freundlichen“ Tasks parallelisiert werden und die anderen auf für die jeweilige Aufgabe optimierten Prozessoren laufen.
Die FPGA-Industrie erklärt die DSPs für tot. Was sagen Sie als führender Hersteller von DSPs dazu?
Das ist unfair von der FPGA-Industrie, denn ich habe DSPs schon vor ihnen für tot erklärt…
Da wird sich Richard Templeton aber freuen…
Ich habe unserem Management schon vor 7 Jahren erklärt, dass ein DSP als Produkt tot ist. Ein DSP ist jedoch ein Enabler für zukünftige Produkte von uns. Wenn Sie heute unsere Produktpalette anschauen, werden Sie keinen DSP mehr finden. Wir haben ein Bildverarbeitungschip, wir haben ein Videoverarbeitungschip, wir haben ein Kommunkationschip. Wir schauen auf die Systemebene: Was brauchen für z.B. für die Bildverarbeitung? Unsere DaVinci-Chips beinhalten einen ARM-Core, einen DSP und zahlreiche Hardware-Beschleuniger. Können Sie das noch DSP nennen? Ist ein ARM-Prozessor mit einem DSP? Oder ist es ein DSP mit einem ARM als Peripherieelement? Es geht doch nur um die Rechenleistung, die Leistungsaufnahme und den Preis. Unsere OMAP-Familie und die DaVinci-Familie sehen von der Architektur sehr ähnlich aus, die eine ist auf maximale Rechenleistung und die andere auf geringe Leistungsaufnahme optimiert.
Aber Sie stimmen mir doch zu, dass digitale Signale verarbeitet werden müssen, wieso nicht DSP?
Ich habe einen Freund am MIT, Herrn Prof. Oppenheim. Ich habe ihn genau das gefragt und er sagte: „Es wird immer digitale Signale geben und wir werden sie immer verarbeiten wollen, daher wird es immer digitale Signalverarbeitung geben“. Das ist die beste Antwort: Natürlich ist die Technologie, um digitale Signale zu verarbeiten, nicht tot, sondern nur die Implementierung in DSP genannten Chips.
OMAP war ein gutes Stichwort. Texas Instruments ist anders als Qualcomm und Marvell der einzige ernstzunehmende Hersteller von Appplikationsprozessoren, der keinen eigenen ARM-basierenden Prozessor gebaut hat, der höhere Taktfrequenzen bei gleicher Leistungsaufnahme erzielt als der Original Cortex-A8 oder A9. Was ist der Grund dafür?
Sie müssen ja sehen, es kommt auf die Leistung und den Energieverbrauch des gesamten Chips an. Wenn Sie es schaffen, Ihren Code so zu optimieren, dass die Hardware-Beschleuniger optimal ausgenutzt werden, entlasten Sie den ARM-Core. Ich glaube, dass da bei der Ausnutzung der Hardware durch die Anwendung noch großes Potential besteht. Wir versuchen, unsere Chips auf System-Ebene und nicht auf der Komponenten-Ebene zu optimieren.
Texas Instruments hat ja den neuen Cortex-A15 von ARM lizensiert. Wann sehen wir erste OMAP5-Chips mit diesem Core und was sind die wesentlichen Verbesserungen?
Jetzt muss ich Ihnen eine offizielle Antwort geben: Ich weiss überhaupt nicht, worüber Sie sprechen. Wenn ich etwas wüsste und Ihnen erzählen würde, gibt es eine Menge Leute in Texas, die mich aufhängen werden.
Das will ich natürlich nicht, vielleicht können Sie mir ja mehr über die Integration von digitaler Signalverarbeitung in Mikrocontrollern erzählen. Der Cortex-M4 soll ja bestehende Designs, die z.B. aus einer 8-bit-MCU und einem separaten DSP bestehen, ersetzen. Ist das nicht eine Bedrohung Ihres Kerngeschäftes?
Ich sehe das nicht als Bedrohung. Ich komme immer wieder darauf zurück, dass wir mit unseren Kunden auf Systemebene sprechen, nicht auf Komponentenebene. Sie müssen ja auch noch die analoge Seite betrachten, unser Vorteil ist doch, dass wir alles liefern können: Die Kernfrage ist nicht, Cortex-M4 oder was anderes, sondern was trifft genau die Anforderung des Kunden, niemand wird dafür bezahlen, dass er Headroom für Anwendungen der Zukunft hat - ich würde da übrigens auch nicht für bezahlen.
Ich habe den Eindruck, dass viele Softwareentwickler damit überfordert sind, die ganzen Low-Power-Modi, die eine moderne MCU/CPU mit sich bringt, in seiner Applikation optimal auszunutzen. Das fängt schon mit der Messung der Leistungsaufnahme für bestimmte Codeteile an. Wie können Sie denn da helfen?
Ich habe in Indien an einer Panel-Diskussion teilgenommen, da ging es genau um die Frage, und meine Aussage war: Warum wollen wir die Nutzung einfach machen, denn die Kunden zahlen ja dafür, dass sie schwierig ist. Im Ernst, wir haben ein Betriebssystem, einen Compiler, den können wir optimieren, dann haben wir einen optimierten Compiler, dann können wir weiter per Hand den Code optimieren und last but not least alles in Assembler programmieren. Sie können so mit demselben 30-Dollar-Chip ein System bauen, das einigermaßen läuft bis zu einem System das wirklich gut läuft.
Die Entwickler wollen aber denselben Compiler nehmen für die Entwicklung des Prozessors, des DSP und der Beschleuniger, der Peripherie, alles in C++…
Sie haben vollkommen Recht….so ist es
Wie soll denn so die maximale Leistung aus der Hardware herausgeholt werden?
Es gibt Entwickler, die können Größenordnung höhere Leistungen aus demselben Chip rausziehen als andere, das bedeutet für den Hersteller mehr Wert gegenüber ihren Kunden und einen höheren Preis. Oder sie können den Chip runtertakten und damit weniger Energie verbrauchen. Eine interessante Frage ist, wie wollen Sie meinen Chip im Vergleich zum Wettbewerb benchmarken? Ein Freund von mir bei der BDTI (Anmerkung der Redaktion: eine Firma, die sich auf Benchmarking für Embedded-Systeme spezialisiert hat) hat es so formuliert: es gibt die objektive Wahrheit, die ich kenne, es gibt die Marketing-Lügen und es gibt die Realität beim Kunden. Eine Marketing-Lüge ist z.B. die Darstellung der Rechenleistung bei Ausführung einer FFT. Welche FFT? Eine echte beim Kunden? Eine theoretisch konstruierte? Wie wollen Sie ohne Informationen vom Kunden von der besten FFT-Leistung sprechen? Reden Sie von TV-Signalen oder Video-Konferenzen? Aus Kundensicht könnte ihre Angabe eine falsche Information sein. Die einzige wahre Antwort bekommen Sie, wenn der Kunde ihren Chip eindesignt und dann einen Vergleich mit der Konkurrenz vornimmt. Und jetzt sage ich Ihnen mal was: Wir von TI sind bei der Angabe von Leistungswerten und Spezifikationen extrem zurückhaltend. Sie können, wenn Sie sich auskennen, viel mehr aus den Chips herausholen als wir angeben. Ich habe gehört, dass 50-60 % unserer Kunden unsere Chips außerhalb ihrer Spezifikationen einsetzen. Ein beliebtes Mittel ist Übertakten. Desweiteren hat ein Kunde herausgefunden, wenn er die Versorgungsspannung über die Spezifikation hinaus erhöht, dass er die Rechenleistung verdoppeln konnte.
Was ist denn mit der Wärmeentwicklung?
Tja, da verlieren Sie sicherlich einige Lebensjahre, vielleicht von 100 Jahren auf 30 Jahre, aber wen kümmert das schon?