Gefälschte Bauteile

Gefährliche Zuverlässigkeits- und Funktionskiller

8. Oktober 2012, 9:24 Uhr | Von Dr. Hartmut Poschmann
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Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Hauptquellen und Wege gefälschter Bauteile

Ein Bericht des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums (Department of Defense, DoD) vom Januar 2010 stellte zwar fest, dass die in die Wehrtechnik der USA gelangten gefälschten elektronischen Bauteile ihren Ursprung in verschiedenen Ländern haben, doch überwogen mit mehr als 70 % Lieferungen aus China [4].

Die Zulieferkette für gefälschte EMI-Filter
Bild 1. Die Zulieferkette für gefälschte EMI-Filter, die im „Forward Looking Infrared System“ (FLIR) des Hub- schraubers SH-60B eingebaut wurden [6].

Etwa 20 % wurden über Handelsfirmen in Großbritannien und Kanada geliefert, wobei bekannt ist, dass diese Länder als Vertriebsstützregionen für den Weiterverkauf gefälschter Produkte genutzt werden. Als Hauptquelle in China stellte sich die Stadt Shenzhen (Provinz Guangdong) heraus. Guangzhou kam auf den zweiten Platz.

Im November 2011 wurden in einer Anhörung, die im U.S. Senate Armed Services Committee zur momentan aktuellen Situation stattfand, weitere ergänzende Belege zum DoD-Bericht vom Januar 2010 vorgelegt. Es ging um die Vertiefung der Frage, auf welchen Wegen die gefälschten Bauteile in die Endgeräte gelangten [5].

In Bild 1 und Bild 2 sind zwei Beispiele aus den Vorträgen der Anhörung über die verzweigten globalen Zulieferwege dargestellt. Beide Lieferwege zeigen, dass die „Vertriebswege“ für Fälschungen geografisch recht unterschiedlich sein können.

Auch die gefälschten Bauteile in den Vereisungskontrollmodulen
Bild 2. Auch die gefälschten Bauteile in den Vereisungs- kontrollmodulen, die für Flugzeuge des Typs P-8A Poseidon bestimmt sind, haben mehrere Zwischenstationen erlebt [6].

Einige Bauteile für die Elektronikausstattung des Hubschraubers SH-60B gelangten von der chinesischen Firma Huajie Electronics über fünf Stationen zum Produzenten Raytheon pdf" target="_blank">[6]. In der Anhörung wurden aussagekräftige Unterlagen einzelner Firmen der Lieferkette vorgelegt, die belegen, wie leicht die gefälschten Bauteile zu Raytheon und dann weiter in den Militärhubschrauber gelangen konnten und auch, wie leichtgläubig jedem Partner in der Lieferkette vertraut wurde.

Fälschungsschwerpunkte

Das US-amerikanische Marktforschungs-unternehmen iSuppli, ein Tochterunternehmen von IHS, hat qualitative Aussagen zur aktuellen Entwicklung der Fälschungsszene für 2011 erarbeitet. Als Grundlage dienten Meldungen über entdeckte Fälschungen, die Hersteller (Original Equipment Manufacturer, OEM), Auftragsfertiger (Contract Elec-tronics Manufacturer, CEM), Bauteildistributoren und -anwender aus der gesamten Lieferkette der Elektronikindustrie von sich aus an die ERAI Inc., einem Partner von IHS, und an GIDEP (Government-Industry Data Exchange Program) meldeten.

Dem auf dieser Basis entstandenen Bericht „Application Market Forecast Tool“ ist zu entnehmen, dass Analog-, Mikroprozessor- und Speicher-ICs mehr als die Hälfte aller freiwillig im Jahr 2011 gemeldeten und so bekannt gewordenen Bauteilfälschungen ausmachten (Tabelle 3) [7, 8].

 Rang Art des Bauteils
Anteil [%]
1  Analog-IC 25,2
2 Mikroprozessor-IC 13,4
3 Speicher-IC 13,1
4 Programmierbare Logik-IC 8,3
5  Transistoren 7,6

Tabelle 3. Die Top-5 der bei Fälschern beliebten Bauteile - allesamt Halbleiter, IHS iSupply hat die ihr bekannt gewordenen Bauteilfälschungen des Jahres 2011 analysiert [7,8]


Von den in Tabelle 3 aufgeführten Bauteil-Arten, die bei den Fälschern besonders beliebt sind, wurden im Jahr 2011 von der Industrie Bauteile im Wert von 169 Mrd. US-Dollar verarbeitet. Diese Komponenten werden faktisch in allen Bereichen eingesetzt, zum Beispiel in Militär-, Computer- und Nachrichtentechnik sowie Konsum-, Auto- und Industrieelektronik. Daher liegt der Schluss nahe, dass gefälschte Bauteile in alle Applikationsbereiche gelangten.

Insgesamt wurden laut dem iSuppli-Bericht 2011 global mindestens 1.363 Fälschungsfälle gemeldet. Diese betrafen Millionen von Bauelementen. Es ist eine Vervierfachung gegenüber 2009 - im Vergleich zu 2001 sogar eine Vervielfachung. Da für die Meldungen das Freiwilligkeitsprinzip galt, ist anzunehmen, dass die wahre Fälschungsrate als Summe der entdeckten und gemeldeten sowie der entdeckten, aber nicht gemeldeten und der nicht entdeckten Fälle möglicherweise in die Zehntausende geht.

Der überwiegende Teil der Fälschungsfälle ist in den USA ans Licht gekommen. Der amerikanische Verband der Halbleiterhersteller (Semiconductor Industry Association, SIA) schätzt, dass die gefälschten Bauteile der US-Halbleiterindustrie, zusätzlich zur Technikgefährdung, auch noch jährlich etwa 7,5 Mrd. US-Dollar weniger Umsatz bringen und etwa 10.000 Arbeitsplätze kosten. Aus deutschen Quellen waren entsprechende Zahlen und Auswertungen zu Fälschungen bei Bauteilen leider nicht zu ermitteln.

Gefälschte Militärelektronik in den USA

 Für die USA gibt es noch weitere Zahlen zu gefälschten Bauteilen. Sie basieren auf gezielten Untersuchungen der US-Behörden in der Rüstungs- und Zivilindustrie der USA im Zeitabschnitt 2007 bis 2009. In den Jahren vor 2007 waren vermehrt US-amerikanische Waffensysteme im Kampfeinsatz ausgefallen - durch gefälschte Bauteile und Leiterplatten sowie nicht spezifikationsgerechte Leiterplatten und Baugruppen. In Korrelation zum Technikversagen stand, dass sich die Anzahl der in Militärelektronik festgestellten Fälschungen seit dem Jahr 2000 nachweislich dramatisch erhöht hat.

Die US-Regierung sah sich deshalb 2007 genötigt, dieser Problematik aus Gründen der Sicherheit für das Land und seine Streitkräfte, aber auch aus Handels-, Wirtschafts- und Image-Gründen größere Aufmerksamkeit beizumessen. Immerhin sind die USA nicht nur der größte Waffenproduzent der Welt, sondern international auch führend in der Waffenentwicklung und bestrebt, ihre globale Führungsrolle in diesem Sektor noch möglichst lange zu erhalten.

Das U.S. Department of the Navy, Naval Air Systems Command (NAVAIR), beauftragte im Juni 2007 das Office of Technology Evaluation (OTE) des Bureau of Industry and Security (BIS) mit einer gründlichen Untersuchung der Situation. Diese sollte in der gesamten Entstehungskette von Elektronik durchgeführt werden:

  • OCM (Original Component Manufacturer)
  • autorisierte und nicht autorisierte Distributoren und Broker
  • ODM (Original Design Manufacturer), CEM, OEM, Primär- und Subunternehmen
  • Agenturen des Department of Defense (DOD)

Kernpunkte der Recherchen waren die mit Herstellung und Wartung von Militärtechnik befassten US-amerikanischen Unternehmen. Doch da die meisten Distributoren und Broker sowohl den militärischen als auch den zivilen Bereich der Elektronikindustrie bedienen, fielen Informationen zu Fälschungen in beiden Produktbereichen an. Das ergab letztlich ein genaueres Bild der Situation in der US-amerikanischen Elektronikindustrie. Aus Kapazitätsgründen konzentrierte sich die Aktion jedoch nur auf einen ausgewählten Teil der Unternehmen in der Zuliefer- und Fertigungskette. Bei den Rüstungsbetrieben waren es vor allem solche, die von Ausfällen betroffene Elektroniksysteme produziert hatten. Trotzdem nahmen immerhin 387 Firmen und Organisationen an den Erhebungen teil.

  • Die Ergebnisse wurden erst im Januar 2010 in Form des „Defense Industrial Base Assessment: Counterfeit Electronics“ vom U.S. Department of Commerce vorgelegt. Die beiden mit den Recherchen beauftragten Institutionen OTE und BIS kamen in dem 252 Seiten umfassenden Bericht zu Ergebnissen, die alle Befürchtungen zur Beeinflussung der Funktionssicherheit der bereits im Einsatz bzw. noch in Entwicklung befindlichen Militärtechnik der USA und auch ihrer Verbündeten weit übertrafen pdf" target="_blank">[4]:
  • Bei 39 % der involvierten 387 Firmen und Organisationen konnten im betrachteten Untersuchungszeitabschnitt 2005 bis 2008 Fälschungen ermittelt werden.
  • Die Anzahl der im Rahmen der Untersuchungen erkannten Bauteilfälschungen stieg von 3.868 im Jahre 2005 auf 9.356 im Jahr 2008.
  • Alle Glieder der Zulieferkette waren betroffen
  • Das oftmalige Fehlen der Rückverfolgbarkeit in der Zulieferkette war ein offensichtlicher Mangel.
  • Für Lagervorräte sind strengere Testprotokolle und Qualitätskontrollen erforderlich.
  • Die meisten Unternehmen haben keine Strategie zur Vermeidung des Einsatzes gefälschter Bauteile.

Der Bericht pdf" target="_blank">[4] ist für alle Unternehmen der Elektronikindustrie sehr informativ. Besonders hilfreich dürften die Seiten 192 - 207 sein, weil hier Erfahrungen zur Vermeidung des Einsatzes von Fälschungen (Best Practices) wiedergegeben werden.

 Der Bericht stellt fest, dass die weit überwiegende Anzahl der Fälschungsfälle bei diskreten Komponenten nicht funktionsfähige Bauteile (Fake nonworking OCM-Products) sind, gefolgt von Kopien der Originale (Working Copies of Original Designs). Anders sieht es bei den integrierten Schaltkreisen aus. Hier stehen bereits genutzte ICs an erster Stelle, die durch Neumarkierung in eine höherwertige Qualität umgestuft wurden (Used Product Re-Marked as Higher Grade). Nicht funktionsfähige ICs (Fake nonworking OCM Products) folgen auf dem zweiten Platz.

Die Tendenz in der Zeitspanne 2005 bis 2008 geht steil eindeutig dahin, gebrauchte ICs in höherwertige neue ICs umzumünzen. Interessant ist die im Bericht erstellte Ländertabelle mit prozentualen Angaben, woher Fälschungen für den Zivil- und Militärbereich kamen (Tabelle 4).

Anzahl der Fälschungen 
Land
 140  China
31 Taiwan
20 Indien
20 Malaysia
19 Indonesien
17 Philippinen
15 USA
14 Russland
12 Singapur
12 Thailand
 89  Andere

Tabelle 4. Herkunft der verdächtigen bzw. gefälschten Bauteile [4].


Unter „Andere“ fallen folgende Länder: Japan, Vietnam, Hong Kong, Brasilien, Mexiko, Israel, Nordkorea, Südkorea, Vereinigte Arabische Emirate, Kanada, Paraguay, Pakistan, Argentinien, Kambodscha, Costa Rica, Iran, Georgien, Ungarn, Chile, Deutschland, Rumänien, Uruguay, Tschechische Republik, Südafrika, Ukraine, Haiti. Allerdings können diese Länder auch nur Durchgangsländer für die gefälschte Ware sein, denn nicht immer war es in der Untersuchung möglich, in der verzweigten Lieferkette bis zum „Urlieferanten“ vorzudringen. Dafür gibt es zumindest in der Militärelektronik der USA zwei Gründe:

  • Der Einsatz der Bauteile und auch ihr Bezug sind so vielfältig, dass es großer und kostspieliger Anstrengungen bedürfte, hier im Nachhinein Klarheit zu erzielen.
  • Die meisten Rüstungsbetriebe haben, wenn sie den Einsatz gefälschter Bauteile ahnten oder gar feststellten, den Betrug geheim gehalten. Es geht schließlich um Vertrauen und viel Geld bei Rüstungsaufträgen.

Deshalb wird in den USA vermutet, dass sich gefälschte Bauteile zu einem Massenphänomen entwickelt haben. Das lässt sich auf die zivile wie auf die militärische Elektronik beziehen, denn bei ziviler Elektronik wird das Problem noch weniger öffentlich hinterfragt - weder von staatlichen Behörden der USA noch von Verbänden.

 

Der Autor

 Dr.-Ing. Hartmut Poschmann
absolvierte 1963 die Berufsausbildung und studierte bis 1969 in St. Petersburg Hochfrequenz- und Fertigungstechnik. 1986 promovierte er zum Dr.-Ing. über den Einsatz von Gelenkarm-robotern in der Elek-tronikmontage. Nach verschiedenen Leitungsfunktionen in der Elektronikindustrie war er zuletzt Technischer Leiter im FED e.V. und ging 2008 in den Ruhestand. Seit seinem Studium befasste er sich ergänzend mit Untersuchungen zu verschiedenen Aspekten der internationalen Markt- und Technikentwicklung. Das ist auch gegenwärtig Inhalt seiner beratenden freiberuflichen Arbeit.

h.poschmann@arcor.de



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