Beim diesjährigen europäischen Nanoelektronics-Forum in Barcelona wurde einmal mehr die Zukunft von Europas Chip-Industrie diskutiert - das erste Mal nach der "Airbus-of-Chips"-Initiative von EU-Kommissarin Neelie Kroes. In seiner letzten Rede nahm CATRENE-Chairman Enrico Villa kein Blatt mehr vor den Mund, als er den aktuellen Zustand in Europa als desaströs bezeichnete.
Von 2008 bis 2013 stand der Italiener Enrico Villa dem europäischen Föderungsprogramm CATRENE vor, in Barcelona hielt er dieses Jahr seine Abschiedsrede - und musste dabei auf keinerlei politische Befindlichkeiten mehr Rücksicht nehmen.
Nach Präsentation der nackten Zahlen (von 2008 bis 2012 wurden insgesamt Projekte im Umfang von 7.823 Personanjahren und 329 Teilnehmern abgewickelt), forderte Villa in Bezug auf die Mikroelektronik, dass die Politik "endlich für gleiche Wettbewerbsbedingungen sorgen müsse, aktuell sei Europa weder attraktiv noch wettbewerbsfähig".
Um die Wettbewerbsfähigkeit "zurückzubringen" (in den Vorjahren war noch stets von "erhalten" die Rede), solle die Industrie zudem ihre Strategie revidieren, immer mehr Produkte auf den Markt zu bringen, als vielmehr zu versuchen, die Anzahl europäischer Firmen in den Top-Rankings zu erhöhen.
Bedenklich aus deutscher Sicht erschien Villas Darstellung der Verteilung der geförderten Projekte über die Länder: Von Frankreich gingen von 2008 bis 2012 fast doppelt soviele geförderte Projekte aus wie von Deutschland, das auch noch hinter Holland zurückgefallen ist und sich auf einem Niveau mit Belgien befindet. Wenn man sich die produzierten Wafer/Zeiteinheit in den entsprechenden Ländern anschaut, offenbarte Villa hier ein deutliches Mißverhältnis des Zuflusses von europäischen Fördermitteln. Warum dies so ist, haben wir versucht, an dieser Stelle darzustellen.
Infineons CEO Dr. Reinhard Ploss forderte in seiner Rede eine klare und einheitliche Position der Mikroelektronik-Industrie gegenüber der Politik - möglicherweise eine Anspielung auf die zahlreichen zersplitterten Verbände der Chip-Industrie (SEMI, GSA, SIA etc.). Zudem müsse es eine "ausbalancierte Strategie" geben, die neben fokussierten und höchst innovativen Clustern auch erhöhte Aufwendungen in Forschung, Entwicklung und Infrastruktur sicherstelle. Den drei unterschiedlichen europäischen Förderprogrammen CATRENE, ENIAC und HORIZON2020 attestierte Ploss "unterschiedliche Vor- und Nachteile". Für die Zukunft forderte er Programme mit geringer Überschneidung, reduzierter Bürokratie und maximalen Synergien.
Last but not least erklärte Infineons CEO, die Industrie müsse die Führung bei der Formulierung einer Mikro- und Nanoelektronik-Strategie übernehmen - wie dies schon im Kontext der sogenannten Electronics-Leader-Group (dazu später mehr) geschehen sei.
Khalil Rouhana, Direktor für Komponenten und Systeme bei der europäischen Komission, erläuterte in seinem Vortrag mit dem Titel "Airbus of Chips" den politischen Stand der Dinge. Die finanziellen Fördermittel des Programms ECSEL in Höhe von 5 Mrd. Euro in den nächsten 7 Jahren sollen zu 1,2 Mrd. Euro von der EU und ebenfalls zu 1,2 Mrd. Euro von den einzelnen Staaten kommen. Deser Betrag soll mindestens nochmal um die gleiche Summe von privaten Investoren (also der Industrie) aufgestockt werden. Die Ziele bestehen neben der Verdoppelung von Europas Produktionsanteil bezogen auf die Weltproduktion bis 2020 in der Verfügbarmachung von elektronischen Komponenten und Systemen für Europas Schlüsselmärkte.
Neben dem Ausbau der Fertigung für Chips und Smart-Systems soll Europa auch eine Führungsrolle bei Fab-Ausrüstung und Materialverarbeitung übernehmen - auch für 450-mm-Wafer und 10-nm-Prozessgeometrien und darunter. Rouhana sparch von einer Fokussierung auf weniger als 10 Zentren in Europa mit den 3 Haupt-Clustern Grenoble (Frankreich), Leuven-Eindhoven (Belgien, Holland) und Dresden (Deutschland). Dazu kommen noch Mailand (Italien), Kärnten (Österreich), Dublin-Cork (Irland) und Cambridge (UK).
Das Programm ENIAC soll nochmal um 163 Mio. Euro seitens der EU und 156 Mio. Euro von den einzelnen Staaten aufgestockt werden, dazu kommt ab 2014 noch das Programm H2020, dessen Volumen in 2014-2015 rund 360 Mio. Euro für Komponenten und Systeme umfassen soll - bis 2020 sollen 1,5 bis 1,8 Mrd. Euro bereitgestellt werden.
Um eine strategische europäische Industrie-Raodmap zu definieren, setzte EU-Kommissarin Kroes („Ich möchte, dass sich unsere Chip-Produktion auf ~20 % der Weltproduktion verdoppelt. Ich möchte, dass Europa mehr Chips in Europa produziert als die Vereinigten Staaten im eigenen Land.“) eine 12 Personen umfassende Gruppe mit dem Namen "Electronics Leader Group" ein, welche am 16. Dezmber ihre Ergebnisse präsentieren soll. Vorstand der Gruppe ist Ex-Alcatel-CEO Ben Verwaayen, die illustren Mitglieder aus Europas Top-Firmen bzw. -Organisationen sind in der Tabelle aufgeführt. Die Roadmap soll die notwendigen Investitionen und Aktivitäten für die Bereiche Forschung, Entwicklung und Infrastruktur genauso definieren wie die von der Politik zu liefernde Unterstützung. Im Gegenzug werden aber auch Zusagen der Industrie bezüglich Beschäftigten und Investitionen erwartet.
Name | Land | Position | Firma/Organisation |
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Ben Verwaayen, Chairman | Holland | Ex-CEO | Alcatel |
Jean Therme | Frankreich | CTO | CEA-LETI |
Luc van den Hove | Belgien | CEO | Forschungsinstitut IMEC |
Hubert Lakner | Deutschland | Chef Mikroelektronik | Fraunhofer-Institut |
Carlo Bozotti | Holland | CEO | ST Microelectronics B.V. |
Reinhard Ploss | Deutschland | CEO | Infineon Technologies AG |
Rick Clemmer | Holland | CEO | NXP |
Eamonn Sinnott | Irland | General Manager | Intel Ireland |
Rutger Wijburg | Deutschland | Executive Vice President | Globalfoundries Dresden |
Peter Wennink | Holland | CEO | ASML |
Mike Muller | England | CTO | ARM Ltd. |
Andre-Jaques Auberton-Herve | Frankreich | CEO | SOITEC |
Die 12 Mitglieder der Electronics Leader Group sollen am 12. Dezember 2013 eine Roadmap für Europas Mikroelektronik-Strategie präsentieren.