Nachhaltigkeit ist in der öffentlichen Diskussion präsenter denn je. Zwangsläufig beschäftigen sich viele Elektronik-Unternehmen mit dem Thema. Oliver Helzle, Geschäftsführer von hema electronic, setzt schon lange auf nachhaltige Designs.
Im Interview spricht Oliver Helzle, Geschäsftsführer bei hema electronic, über »grüne« Elektroniken und modulares Hardware-Design als Schlüssel zu mehr Effizienz und Nachhaltigkeit.Markt&Technik: Herr Helzle, wie nachhaltig arbeitet hema electronic?
Oliver Helzle: »High-Tech im grünen Pelz« titelte die Schwäbische Post 1986, als sie über unseren damaligen Neubau mit einem Grasdach berichtete. Das Gebäude wurde nach ökologischen Gesichtspunkten geplant und gebaut. Mit Holz und Ziegelsteinen aus der Region, viel Glas für natürliches Licht und optimale Arbeitsbedingungen, selbstklimatisierend und mit minimaler Versiegelung rund um die Anlage. Im Gebäude gibt es einen Wasserlauf und viele Pflanzen. Dieses Selbstverständnis für einen sparsamen Umgang mit Ressourcen, für Umweltschutz und Nachhaltigkeit wirkt bis heute. Ich würde sagen: hema ist ziemlich grün.
Dann können Sie sich in der aktuellen Diskussion rund um Nachhaltigkeit entspannt zurücklehnen.
Zurücklehnen – niemals. Es gibt immer Themen und Bereiche, in denen wir noch besser und nachhaltiger werden können, und einige Ideen warten noch auf ihre Umsetzung. Gleichzeitig sehen wir den größten Hebel in den Elektronikmodulen und -systemen, die wir entwickeln und produzieren. Seit der Gründung hat hema unzählige Elektroniken entwickelt, die Produktionsanlagen und Messeinrichtungen verbessern – und damit zum Einsparen von Energie und Rohstoffen beitragen. Gleiches gilt für unsere Videosysteme zur Qualitätssicherung. Genaue 100-Prozent-Überwachung, zum Beispiel beim Karosserieschweißen inline in der Autoindustrie, vermindert Produktions- und Materialaufwand, Energiekosten sowie Ausschuss und Nacharbeit. Dieser Beitrag zu einer geringeren Umweltbelastung fällt nicht so sehr ins Auge, verbessert die Ökobilanz allerdings erheblich. Unser Ziel ist darüber hinaus, immer nachhaltigere Elektronikdesigns zu entwickeln.
Was bedeutet nachhaltiges Elektronikdesign konkret – können Sie ein Beispiel nennen?
Bei hema entwickeln und produzieren wir Module für die Signaldatenverarbeitung. Sie kommen für Videodaten-Streaming und in Rundumsicht-Applikationen zum Einsatz, außerdem in Spezialfahrzeugen oder der Medizintechnik – überall, wo Sensoren und Kameras nötig sind. In vielen Fällen besteht ihre Aufgabe darin, die Daten zusammenzuführen und zu verarbeiten. Nehmen wir ein komplexes Überwachungssystem als Beispiel, etwa für eine Bahnanlage: Will der Betreiber es modernisieren, kann er theoretisch die gesamte Infrastruktur durch eine neue ersetzen. In der Praxis ist das jedoch sehr aufwendig, teuer und eben ein Stück weit Ressourcenverschwendung.
Stattdessen haben wir in einem ähnlichen Fall gemeinsam mit unserem Kunden eine Elektronik entwickelt, die analoge Daten alter Sensoren ebenso verarbeitet wie digitale Daten moderner Kameras. Jede Komponente, die wir nicht ersetzen müssen, spart Ressourcen. Zudem ist ein Modernisieren so schrittweise – und damit kostengünstig – möglich. Weiterhin zeichnen sich neue Applikationen über eine geringere Leistungsaufnahme aus und lassen sich sogar mit Sonnenenergie betreiben. Zudem sind sie langlebig und ermöglichen einfache Upgrades und Produktvarianten. Der fließende Austausch hat sich für unseren Kunden als optimal erwiesen.
Langlebige Produkte in Sinne der Nachhaltigkeit sind das eine, allerdings müssen die Elektroniken den immer kürzeren Entwicklungszyklen – auch in der Industrie – gerecht werden. Ist das nicht ein Widerspruch?
Der Einwand ist absolut berechtigt; User-Interfaces von vor zehn Jahren kommen uns heute vor wie aus der Steinzeit und passen nicht zu modernen Arbeitsplätzen. Anwender erwarten in industriellen Anlagen ähnlich komfortable und gewohnte Bedienungen wie auf dem heimischen Smart-TV. Völlig zu Recht, denn der schonende Umgang mit der Ressource Mensch und seiner Zeit ist heute wichtiger denn je.
Im Fall der oben beschriebenen Überwachungsanlage lässt sich das HMI unabhängig von der Elektronik austauschen. Die Elektronik wiederum gewährleistet mit gängigen Schnittstellen, leistungsfähigen FPGAs für das Vorverarbeiten der Sensordaten und Linux als offenem Betriebssystem, dass HMIs schnell und einfach angebunden werden können. Außerdem sind die Elektronikmodule in der Regel mit genug Rechenleistung ausgestattet, die selbst für neue Applikationen ausreicht und Software-Updates ermöglicht. Mit einem modularen Hardware-Design und einer großen Skalierbarkeit können wir zudem Hardware-Upgrades ohne komplette Neuentwicklung durchführen. Das schafft große Flexibilität und verlängert die Nutzungsdauer der Kern-Elektronik, selbst wenn man periphere Teile austauschen muss.
Was genau steckt hinter diesem modularen Design?
Unsere hema-Embedded-Vision-Plattform – ein Baukasten für Elektronik-Module. Sie besteht aus rund 50 sogenannten Building-Blocks. Diese Bausteine für Schaltplan und Layout haben wir für gängige Schnittstellen und Funktionen entwickelt, und zwar so, dass sie sich zu immer wieder neuen Elektroniken kombinieren lassen. Statt jede Elektronik von Grund auf neu zu entwickeln, stellen wir sie mit unseren bestehenden Elementen und den Anforderungen unserer Kunden entsprechend zusammen – hierbei können Entwickler dennoch Position, Anordnung oder Platinenformat frei wählen. Mit der Vorleistung sparen Entwickler viel Zeit und profitieren von erprobten Schaltungsteilen. Eigene oder neue Schaltungen und Funktionen lassen sich zudem in die Designs integrieren.
Lässt sich mit diesen Building-Blocks auch die Leistung skalieren?
Für die passende Rechenleistung wählt der Entwickler gemeinsam mit unserem Team ein oder mehrere System-on-Modules aus. Beispielsweise haben wir die aktuellen AMD-Xilinx-»Kria«-SoMs in unsere Designplattform integriert. Sie sind in verschiedenen Leistungsklassen erhältlich und ermöglichen somit skalierbare Varianten eines Moduls, ebenso wie nachträgliche Upgrades durch Austausch des Moduls. Die Kern-Elektronik bleibt jedoch erhalten – das trägt ebenfalls zur Nachhaltigkeit bei. Außerdem ist die Software modular – wir können unseren Kunden das passende Gerüst für ihre Anwendungen bereitstellen.
Kommen wir noch einmal zur von Ihnen genannten Ressource Mensch. Wo sehen Sie hier Chancen für mehr Nachhaltigkeit?
Entwickler sind überall händeringend gesucht und somit eine knappe Ressource. Umso mehr geht es darum, sie effizient einzusetzen. Arbeitet ein Entwickler an einem Produkt, das es längst fertig gibt und perfekt passen könnte, dann ist das eine Art von Verschwendung. Nachhaltig sein heißt, langfristigen Erfolg zu gewährleisten. Das schaffen Unternehmen unserer Meinung nach, indem sie ihre Entwickler dafür einsetzen, innovative Produkte in ihrem Kernbereich zu entwickeln. Wir besitzen die Erfahrung und Expertise für das Entwickeln und Fertigen von Elektroniken zum Erfassen und Verarbeiten von Signaldaten. Sie sind in der Regel in komplexe Anwendungen integriert. Setzt ein Unternehmen sein Know-how für eine solche Anwendung ein und nutzt Unternehmen wie hema als erweiterte Werkbank, dann schafft es seinen Entwicklern den nötigen Freiraum für Innovation und Erneuerung.
Warum ist das nachhaltiger als Produkte selbst zu entwickeln?
Weil Unternehmen den entstehenden Freiraum nutzen können, um noch bessere, umweltfreundlichere und zukunftsorientiertere Produkte zu schaffen oder sich auf ändernde Marktbedingungen und neue Anforderungen einzustellen. Gleichzeitig kümmern wir uns um Innovation im Bereich der Signaldatenverarbeitung. Wir arbeiten hierfür intensiv mit Unternehmen wie AMD-Xilinx, Nvidia oder SoC-e zusammen, um Entwicklern ein umfangreiches Ökosystem an Software rund um unsere Elektronikmodule bieten zu können.
Wie steht es bei hema um das Thema Fachkräfte und nachhaltige Unternehmensführung – finden Sie überhaupt noch passende Mitarbeitende?
Wir suchen immer Entwickler, qualifizierte Mitarbeitende in der Fertigung, Vertriebler und Projektmanager. Mit einem größeren Team wären wir in der Lage, noch mehr Projekte zu realisieren. Wer etwas bewirken möchte, ist bei hema immer willkommen. Gleichzeitig bieten wir unserem bestehenden Team umfassende Möglichkeiten, sich bei uns zu verwirklichen und einzubringen und die Mitarbeit an die persönlichen Wünsche und Gegebenheiten anzupassen.
Aus dem Grund haben wir vor einiger Zeit die »hema visioneers« ins Leben gerufen. Mit der Aktion ermutigen wir unsere Mitarbeitenden, ihren Arbeitsplatz und unsere Firmenkultur aktiv mitzugestalten. Als inhabergeführtes mittelständisches Unternehmen mit derzeit rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bieten wir eine deutlich größere Freiheit und Flexibilität als manch großer und starrer Konzern. Gleichzeitig kennen sich alle bei hema untereinander – Zusammenhalt und Austausch werden großgeschrieben. Wir wollen Mitarbeiter für uns gewinnen und langfristig mit ihnen zusammenarbeiten. Das ist unser Ziel – und in jedem Sinne: nachhaltig.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Helzle.