Welche Veränderungen kommen nun auf den EMS bzw. Elektronikdienstleister zu? »Die deutsche Automobilindustrie muss eine Aufholjagd beginnen, wenn sie sich die Butter nicht vom Brot holen lassen möchte, und hier sehe ich eine sehr gute Chance für uns hier alle in der Runde«, stellt Ralf Hasler, Geschäftsführer von Lacon, fest.
Die Fakten sprechen für sich, denn der Anteil an Elektronik im Auto wird weiter steigen, auch wenn sich Geschäftsmodelle und Antriebsart ändern. »Im Jahr 2000 lag der Elektronikanteil im Auto bei 15 Prozent. Bis 2030 sollte der Anteil laut damaliger Prognosen über 40 Prozent ansteigen. Jetzt sind wir in 2017 und teilweise bereits bei den für 2030 prognostizierten 40 Prozent Elektronik angekommen; innovative Beleuchtungskonzepte, Akustik, Komfort-Features etc. – das alles hält mehr und mehr Einzug ins Auto«, unterstreicht Weber.
Zum einen spekulieren die Elektronik-Dienstleister darauf, dass die Automobilisten ihre Kernkompetenz nicht mehr im Produkt, sondern in Servicemodellen sehen und sich daher noch mehr als bisher Elektronik-Dienstleister in Anspruch nehmen. Zum anderen kann die Branche gerade bei der E-Mobilität durch tiefgehendes Elektronik-Produktions- und Entwicklungs-Know-how punkten: »Die Automobilindustrie hat viele tausend Ingenieure, die Verbrennungsmotoren entwickeln können. Aber sie verfügen nicht über das komplette Ökosystem, das für ein Elektromobilitätsangebot vonnöten ist«, so Halser. »Wenn sich die OEMs nicht mit amerikanischen oder chinesischen Technologien ausstatten möchte, bieten sich für uns sehr gute Chancen. Die Zeit spielt gegen die OEMs und für uns als Dienstleister.«
Allerdings könnte es auch zunehmend zu einer Vereinheitlichung der Fahrzeuge kommen und die Vielfalt an Design-Merkmalen wie etwa LED-Leuchten, durch die sich Autos unterscheiden, könnten in den Hintergrund rücken, meint Michael Velmeden, Geschäftsführer von cms electronics. Aber auch in diesem Fall sieht Velmeden viel Potenzial für seine Branche im Ökosystem neuer Mobilitätskonzepte.
Wird der enorme Bedarf an Elektronik-Ingenieuren den Fachkräftemangel befeuern? Ja, auch das ist möglich, meinen einige Diskussions-Teilnehmer. Schließlich locken Automotive-Tier1-Zulieferer mit bekannten Namen und guten Gehältern.
Neue Player und Mitbewerber
drängen in den Markt
Fast alle beim Forum vertretenen EMS-Firmen sind direkt oder indirekt Zulieferer der Automobilindustrie mit unterschiedlicher Gewichtung. Bei Zollner Elektronik zum Beispiel liegt der Anteil der Automobilindustrie bei etwa 27 Prozent. Einige EMS – große und kleine – sind auch bereits in E-Mobility-Projekte eingebunden. So auch die Firma bebro, die seit zwei Jahren in einem OEM-Entwicklungsprojekt für die mobile Ladetechnik mitarbeitet, das Ende 2108 in Serie geht, wie Albrecht Faber erläutert: »Es hat sich herauskristallisiert, dass die Stückzahlen höher sein werden als anfangs gedacht. Das zeigt, die Branche ist wachgerüttelt.« Auch Roland Hollstein, Geschäftsführer von Grundig Business Systems, berichtet im Zusammenhang mit der Elektromobilität von einem Anstieg der Anfragen aus dem Automotive-Bereich. Dabei geht es um LED-Innenraum- und Außenbeleuchtung für E-Fahrzeuge.
Es gibt aber auch eine Kehrseite. Das vielversprechende Marktpotenzial ruft neue EMS-Player auf den Plan, die bisher nicht im Automotive-Segment tätig waren. »Auch wir stellen fest, dass die Anfragen im Elektromobilitätsumfeld ansteigen. Die Anfragevolumina werden immer größer, daher stehen wir inzwischen im Wettbewerb mit den Foxconns und Flextronics dieser Welt«, berichtet Oliver Seifert. »Wir müssen uns darauf einstellen, dass dieses Segment am Ende keine Nische mehr ist und wir uns in einem neuen Mitbewerbsumfeld bewegen. Aufträge im 100-Millionen-Euro-Bereich per anno nehmen solche EMS-Großkonzerne auch gerne mit.«
Neue Mitspieler sieht Albrecht Faber auch durch Automobilzulieferer, die ihr Geschäftsmodell aufgrund der sich verändernden Wertschöpfungskette ändern müssen und sich im angestammten Gebiet der EMS-Firmen tummeln könnten.
Für die klassische EMS-Industrie in Europa dürfte der Kuchen aber dennoch groß bleiben, wenn sie sich so flexibel wie in den letzten Jahren auf die Kundenbedürfnisse einstellt. Eine schöne Möglichkeit sieht Hollstein in der Unterstützung von neuen Kunden, die sich selbst nicht mit Elektronik beschäftigen, aber ihre Produkte in Zukunft mit Elektronik anreichern wollen – als Beispiel nennt er einen Kunststoffhersteller, der einen beleuchteten Becherhalter für Autos entwickelt und dabei kompetente Unterstützung bei der Beleuchtungs-Entwicklung und -Integration benötigt. Dergleichen Beispiele gibt es viele. »Solche Firmen suchen Partner, die sie dabei unterstützen, ihr Geschäftsmodell bzw. Produkt auf die neuen Anforderungen hin weiterzuentwickeln, und das ist eine tolle Chance für uns«, ergänzt Oliver Seifert.
Der EMS kann seine Rolle als Optimierungspartner in der Wertschöpfungskette weiter ausbauen, wenn er die aktuellen Kundenanforderungen aufgreift, ist auch Rönisch überzeugt. »Wir sehen, dass unsere Kunden einem enormen Zeitdruck unterliegen, weil sich der Markt rasant ändert. Sie erwarten zunehmend intensivere Unterstützung in der Vorentwicklung, Mechanik- und Technologie-Entwicklung.«
Aber werden die Automobilhersteller von heute auch die Player von morgen sein? »Das bleibt natürlich abzuwarten; bei Nokia hatte auch niemand gedacht, dass der Konzern einmal untergehen wird. Die Automobilhersteller, die gut vorgearbeitet haben, können natürlich punkten«, resümiert Rönisch.