Rotes Meer, Panamakanal

Schiffsverkehr wird zum Nadelöhr in der Lieferkette

3. April 2024, 10:00 Uhr | Von Knut Alicke, Partner bei McKinsey & Company
© McKinsey

»Kann unsere Lieferkette nicht ein Mal ein normales Jahr haben?« Dies dürften viele Supply-Chain-Manager zu Beginn des Jahres gedacht haben. Doch der Konflikt im Roten Meer bereitet Kopfzerbrechen und die Schiffsroute über den Panamakanal wird zum Nadelöhr.

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Noch 2023 schien nach der Corona-Krise ein gewisses Maß an Normalität einzukehren. Jetzt erinnert uns 2024 vehement daran, wie wichtig es ist, die Lieferketten widerstandsfähig zu machen. Denn geringere Kosten und geringere Lagerbestände machen den Panamakanal nicht voller und das Rote Meer nicht befahrbarer.

Wenig Wasser im Panamakanal

Zwei aktuelle Beispiele aus der Schifffahrt zeigen, wie groß der Bedarf ist. So hat der niedrige Wasserstand des Panamakanals, durch den normalerweise etwa acht Prozent des weltweiten Containeraufkommens befördert werden, enorme wirtschaftliche Folgen. Die extreme Trockenheit macht den Kanal zum Nadelöhr, längere Wartezeiten werden zur Regel für die Schiffe. Mehrere Reedereien haben bereits neue Durchfahrtgebühren für Panama angekündigt. Zusätzlich zu den Kosten, die den Reedereien und ihren Kunden entstehen, werden die Kosten für die Betreiber des Panamakanals selbst in diesem Jahr auf 500 bis 700 Millionen Dollar geschätzt. Bis dahin war von 200 Millionen Dollar ausgegangen worden.

Gleichzeitig veranlassen der Konflikt im Roten Meer und der eingeschränkte Zugang zum Suezkanal die Unternehmen, den Schiffsverkehr über das Kap der Guten Hoffnung umzuleiten. Die Fahrtzeit verlängert sich um etwa zwei Wochen. Dadurch steigen die Kosten für Ressourcen wie Treibstoff und die Lebensmittelversorgung für die Besatzung in erheblichem Maße. Die Verzögerung mag vergleichsweise kurz sein – je nachdem, wie elastisch die Lieferkette ist. Aber Automobilhersteller haben als Reaktion auf Materialengpässe bereits die Produktion eingestellt. Die unmittelbaren Auswirkungen auf der Einnahmenseite machen allzu deutlich, wie zentral die Investition in widerstandsfähige Lieferketten heute ist.

Andere Probleme als zu Zeiten der Covid-19-Pandemie

Die Folgen der Störungen sind dabei fundamental andere als zu Zeiten der Covid-19-Pandemie. Damals war die Nachfrage nach Waren deutlich angestiegen, während jetzt ein Versorgungsengpass wiederum zu Versorgungsengpässen führen kann. In beiden Fällen sind Maßnahmen unerlässlich, um die Widerstandsfähigkeit der Lieferkette zu erhöhen. Die gegenwärtige Situation betrifft vor allem Güter auf dem Weg von Asien nach Europa. Aber aufgrund von Verzögerungen, die zu einem Ungleichgewicht bei der Verfügbarkeit von Containern führen, werden die Auswirkungen auch auf den Routen von Asien zur Westküste Nordamerikas spürbar. Wie in den meisten Fällen dürfte sich die Situation normalisieren. Wir gehen davon aus, dass es etwa zwei Monate dauern wird, bis die globalen Versorgungsketten die zwei Wochen – also die durch die Umleitungen im Schiffsverkehr verursachte Verzögerung – in den Lagerbeständen absorbiert haben.

Gezielte Maßnahmen ergreifen

Auf diese Normalisierung einfach nur zu warten ist keine attraktive Option. Stattdessen können Manager gezielte Maßnahmen ergreifen, um die Widerstandsfähigkeit zu erhöhen und sich auf zusätzliche Störungen vorzubereiten, falls diese auftreten sollten. Und solche Ereignisse wird es höchstwahrscheinlich geben – frühere Untersuchungen sagen Unterbrechungen von einem oder mehr Monaten in Abständen von durchschnittlich 3,7 Jahren voraus.
Führungskräfte in der Lieferkette können sich zum einen auf diese Unterbrechungen vorbereiten. Sie sollten sich einen Wissensvorsprung verschaffen. Der detaillierte Überblick über ihr Unternehmen, ihre Mitbewerber und andere Elemente der Wertschöpfungskette sowie den breiteren globalen Kontext gibt ihnen Vorteile im Wettbewerb.

Zum anderen ist es wichtig für Führungskräfte, ihre Verbindungen innerhalb des Lieferantennetzwerks im Detail zu verstehen. Untersuchungen des McKinsey Global Institute zeigen, dass nur zwei Prozent der Unternehmen einen Überblick über ihre Verbindungen unterhalb von Tier 2 haben.

Betrachtung der eigenen Lieferkette reicht nicht

Und für Führungskräfte wird es immer wichtiger, die Welt auf Erschütterungen hin zu beobachten, die auf Herausforderungen für ihren Betrieb hindeuten könnten. Es wird nicht mehr ausreichen, nur die eigene Wertschöpfungskette zu betrachten. Ausgehend von diesem tiefgreifenden Verständnis können Unternehmen eine ganze Reihe strategischer Maßnahmen ergreifen, um künftige Risiken zu mindern. Die Festlegung von Möglichkeiten zur Verlagerung von Lieferketten, Produktionsstandorten oder Absatzmärkten kann ebenso Alternativen bieten, wenn es zu Störungen kommt, wie die Erforschung neuer Technologien, von Partnerschaften und alternativen Materialien.

Ein abschließender Gedanke: Beim Lieferkettenmanagement und dem Streben nach Widerstandsfähigkeit ist Selbstgefälligkeit fehl am Platze. Zudem ist es nach wie vor wichtig, dass die Führungskräfte, die die Lieferkette verantworten, ein offenes Ohr in der Geschäftsführung haben – und auch Teil eben dieser sind.


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