Tritt die Beratung in solchen digitalen Erlebnisfilialen schlussendlich in den Hintergrund?
Nein. Wir legen nach wie vor sehr viel Wert auf versierte Beratung. Das bietet keine Online-Plattform. Aber Beratung kostet natürlich auch Geld und das muss vom Kunden wertgeschätzt werden, indem er sich nicht einfach nur bei Conrad beraten lässt und letztlich dann woanders im Internet einkauft.
Aber auch die Industrie bzw. Hersteller sind aufgerufen, ihren Teil beizutragen, und das ließe sich etwa durch entsprechende Margenkonzepte steuern.
Findet denn das neue digitale Shop-Konzept auch bei den Herstellern, also Ihren Lieferanten, Anklang?
Unsere Lieferanten finden das sehr gut und sehen damit das Thema Einzelhandel neu und gut interpretiert.
Wie wirkt sich die aktuell prekäre Verfügbarkeitssituation vieler Produktgruppen auf Ihr Geschäft aus?
Wir als Distributor stehen zwischen Kunden und Industrie und haben natürlich immer den Wunsch und den Auftrag, die Kundenanforderungen zu erfüllen. Wir haben vorgesorgt und in Lager investiert, aber dort, wo die Hersteller nicht liefern, können auch wir letztlich nichts tun. Die Hersteller sind natürlich stark an Reinverkäufen interessiert, aber der Kunde hat oft einen ganz anderen Bedarf und an dieser Stelle müssen wir unsere Funktion an der Schnittstelle zwischen Hersteller und Kunde erfüllen. Es gibt positive Beispiele von Herstellern, die uns, obwohl wir keine Großabnehmer sind, entsprechende Mengen verfügbar machen. Wir würden uns aber wünschen, dass mehr Hersteller vernünftig agieren.
Kommt das Revenue-Management in der Distribution – etwa nach dem Vorbild der Airlines?
Revenue-Modelle sind aus ökonomischer Sicht sicher Optimierungsmodelle. Aber ist ein solches Modell auch kundenfreundlich? Anhand der Airlines können Sie sehr gut sehen, was dann passiert. Die Kunden bleiben nicht einer Airline treu, sondern spielen das Spiel mit und fliegen immer mit dem günstigsten Anbieter. Und das ist genau das, was wir als Conrad nicht wollen. Wir wollen, dass uns die Kunden als verlässlichen und fairen Partner wahrnehmen und es sich lohnt, diesem Partner treu zu bleiben. Unser Geschäftsmodell ist auf Nachhaltigkeit und Partnerschaft ausgerichtet und das nicht nur Richtung Kunde, sondern auch gegenüber unseren Lieferanten.
Im Laufe unseres Gesprächs haben Sie ja bereits mehrmals Ihren Marktplatz erwähnt. Werden Sie am Marktplatz-Konzept festhalten?
Selbstverständlich. Wir haben eine steile Lernkurve in den letzten zwölf Monaten durchlaufen. Wir haben einen Marktplatz im B2B-Sektor, der „Up and Running“ ist und der technisch zuverlässig läuft.
Der Content war ein Faktor, warum wir anfangs nicht so schnell vorangekommen sind, wie wir ursprünglich geplant hatten. Das betraf sowohl die Content-Qualität als auch die Content-Kompatibilität, also dass zum Beispiel die Produktkategorien der Seller zu unseren Produktkategorien passen. Wir wollen ein Qualitätsmarktplatz sein, daher waren wir nicht bereit, Kompromisse beim Content einzugehen, wie es B2C-Plattformen oft tun.
Aber das Content-Problem haben wir mittlerweile gelöst und haben derzeit knapp über 100 Seller, die entweder schon onboard sind oder derzeit eingebunden werden. Wir bemerken auch, dass die Hersteller dem Thema inzwischen aufgeschlossen gegenüberstehen. Im B2C ist das Thema gelernt, im B2B-Sektor ist das noch nicht der Fall. Ob man auf einen Marktplatz geht, ist im B2B-Sektor oft eine Vorstandsentscheidung. Aber die Hersteller denken dazu bereits um. Alles in allem läuft der Marktplatz gut und nicht nur wir sind guter Dinge, sondern auch unsere Seller sind zufrieden.
Wo sehen Sie Verbesserungspotenzial, um dem Marktplatz zu breiterer Aufmerksamkeit zu verhelfen bei Kunden und potenziellen Sellern, und was sind die nächsten Schritte beim Marktplatz?
Der Marktplatz ist bei uns eine fest gesetzte Größe und dementsprechend werden wir ihn weiter ausbauen. Das Schöne an der Plattform-Ökonomie sind die sich selbst verstärkenden Effekte. Insofern ist unser klares Ziel, dass wir so schnell wie möglich so viele interessante Partner wie möglich auf den Marktplatz bekommen. Und wir werden weiterhin stark in Marketing und Personal investieren.
Wird Conrad global werden?
Wir sind bereits eine internationale Marke und ein internationales Unternehmen. Seit Ende der 80er-Jahre betreiben wir Einkaufsbüros in Fernost und wir sind in Europa mit 17 Niederlassungen tätig, aber man kann in diesem Kontext natürlich nicht von einer globalen Unternehmung sprechen. Aber wollen wir das unbedingt werden? Es gibt in Europa noch ein paar weiße Flecken, die wir schließen wollen und werden. Und ich denke, dass die Konzentration auf Europa nicht so verkehrt ist. Denn es gibt faktische Herausforderungen durch Handelskonflikte und Währungsthemen, die man nicht unterschätzen darf. Für uns sind die europäischen Märkte also eher im Fokus, als dass wir kurzfristig überlegen, global außerhalb Europas tätig zu werden.
Wie muss sich die B2B-Distribution aufstellen, um zukunftsfähig zu bleiben?
Ich fühle mich nicht in der Position, der Branche Ratschläge zu erteilen. Für uns hat es sich bewährt, unseren Weg zu gehen und diesen regelmäßig zu überprüfen. Strategie wird nicht mehr wie früher alle drei Jahre gemacht, sondern findet inzwischen gefühlt jeden Tag statt, weil man täglich sein Geschäftsmodell verproben, hinterfragen und ggfs. anpassen muss.
In der Distributionsbranche finden sich vielfach erprobte und existierende und zum Teil auch sehr erfolgreiche Geschäftsmodelle. Und damit ist man sicher oft im Innovators-Dilemma: Wie viel an Ressourcen und Aufmerksamkeit soll man einem gänzlich neuen und wie viel einem bestehenden, gut funktionierenden Geschäftsmodell widmen? Das ist in der Tat ein Spagat. Oft gehen Firmen dann den Weg, sich Digitalisierung etwa in Form von Startups hinzuzukaufen. Das löst aber nicht das Problem für ein Traditionsunternehmen wie Conrad. Man muss als gesamtes Unternehmen digital werden und das hat etwas zu tun mit Kultur, Prozessen und Automatisierung, das muss man im Innersten des Unternehmens beherrschen und die Mitarbeiter auch auf diese Reise mitnehmen. Das ist nicht trivial. Ein solcher Transformationsprozess ist in etwa vergleichbar damit, Flugzeuge in der Luft zu bauen. Das ist aber eine Aufgabe, um die am Ende des Tages niemand herumkommen wird. Und ein Großteil unserer Mitarbeiter findet die Entwicklung bei uns sehr spannend.
Und was muss der Elektronik-Handel Ihrer Meinung nach in Zukunft besser machen, um wettbewerbsfähig zu bleiben gegenüber Amazon & Co?
Der Handel muss sich etwas einfallen lassen, weil es so starke Player wie Amazon gibt, die extrem kundenorientiert und schnell sind und gute Qualität vorweisen können.
Der Handel muss schneller und flexibler werden in seiner Entscheidungsfindung, in der Umsetzung und bei der Bereitschaft, neue Dinge auszuprobieren. Darüber hinaus muss der Handel genau darauf hören, was der Kunde braucht. Man muss im Handel beides beherrschen: Push und Pull – die beiden Prinzipien zu verbinden ist eine wesentliche Herausforderung für den Handel. Und es hilft, wenn man eine gute Eigenkapitalausstattung hat.
Also: kreativ bleiben, auf den Kunden hören und ausprobieren, ausprobieren, ausprobieren!