Den Herausforderungen begegnen

Mit Digitalisierung aus der Obsoleszenzfalle

24. November 2023, 8:00 Uhr | Von Georg Steinberger, Digital Supply Chain Consultant, Sourceability
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Digitalisierung ist kein Heilsversprechen für alle Prozess- oder Informationsprobleme in Unternehmen, kann aber den Weg weisen zur Bewältigung großer Herausforderungen, zum Beispiel beim leidigen und leider nicht kleiner werdenden Thema Obsoleszenz.

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Die technischen, kommerziellen und geopolitischen Herausforderungen haben sich die letzten Jahre die Klinke in die Hand gegeben und quer durch den globalisierten Weltmarkt Unsicherheiten bisher unbekannten Ausmaßes verursacht. Die jüngste Knappheit im Komponentenmarkt, die neben Corona viele Väter, Onkel und Tanten hatte, hat in ihrem Ausmaß und der daraus resultierenden Panik möglicherweise den Blick darauf verstellt, dass einige der knappen Komponenten vielleicht gar nicht mehr zurückkommen werden.

Mittlerweile hat sich die Wahrnehmung geändert und es scheint, dass Obsoleszenz als kritisches Thema wieder in den Fokus rückt – und möglicherweise an Dringlichkeit zunimmt. Auf der jährlichen Tagung des International Institute of Obsolescence Management (IIOM) spielte beispielsweise das Thema Substanzverbote in der EU eine Rolle, das durchaus die disruptive Power hat, den Komponentenmarkt in Schwierigkeiten zu bringen.

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Georg Steinberger, FBDi
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Nach Angaben unterschiedlicher Daten-Provider wie IHS oder Silicon Experts gibt es – vom Widerstand bis zum Multicore-Prozessor – über 1 Milliarde elektronische Bauteile in der Welt. Nun sind Datensätze noch keine Produkte und Duplizierungen an der Tagesordnung, also rechnen wir realistischerweise mit 150 bis 200 Millionen verschiedenen Bauteilen von hunderten Herstellern, die von Kunden irgendwo auf der Welt genutzt werden. Auch dies eine irre Zahl, wenn man bedenkt, dass ein großer Teil davon nicht so einfach austauschbare Commodities sind, sondern Single-Source-Produkte oder sehr oft auch C-Ware, für die es nur wenige Kunden gibt.

In den verschiedenen Industrien gelten natürlich unterschiedliche Regeln, was die Lebenszyklen von Produkten betrifft und welche Verfügbarkeitsgarantien von Herstellern verlangt werden – bis zu 20 Jahre für militärische oder medizintechnische Geräte –, die möglicherweise weit über den kommerziellen Rahmen eines Herstellers hinausgehen. Für solche Spezialprobleme gibt es Lösungen und Dienstleister wie Rochester Electronics oder Flip Electronics. Diese decken bestenfalls einen Bereich von mehreren hunderttausend Komponenten ab, bei denen der Aufwand sich lohnt und Kunden bereit sind zu zahlen.

Der Löwenanteil der Produkte, die obsolet gestellt werden – unter Einhaltung von Regeln und Fristen nach gewissen Standards –, ist nach einer Übergangsperiode einfach weg. Die erste Frage, die sich stellt, ist: Wie viele von den 50 bis 200 Millionen Bauteilen werden jedes Jahr obsolet? 1 Prozent? 10 Prozent? Selbst ein Prozent stellt schon ein technisches wie kommerzielles Drama für Einkäufer und Entwickler dar.

Die zweite Frage: Wie geht die Industrie damit um, wie durchgängig ist der Informationsfluss und welchen Status der Reife haben die Kunden, das Problem zu managen? Sind die meisten eher noch in einer reaktiven Situation, wo der Fokus auf PCN-Management, Redesign und teuren Langzeitlösungen liegt? Oder betreiben Sie schon detaillierte Life-Cycle-Analysen und Risikobewertungen mithilfe von Tools und Dienstleistern?

Der ultimative Schritt wäre natürlich, das Ganze strategisch anzugehen und das Phase-out von Komponenten selber zu planen, Roadmaps von Herstellern noch aktiver einzuplanen, so oft wie möglich ältere Bauformen zu ersetzen und so weiter. Wo also stehen die meisten Unternehmen und was hindert sie, strategischer an die Obsoleszenz heranzugehen?

Das wäre umso wichtiger, als gerade in der REACh-Direktive der EU eine Menge Brisanz steckt, was weitere Substanzverbote betrifft, und möglicherweise sehen wir einer Obsoleszenz-Welle entgegen, die sich gewaschen hat und auf den Namen PFAS (per- und polyfluorierte Alkylverbindungen) hört. Sollten diese in weiten Gruppen verboten werden, kann dies sowohl Produkte als auch Herstellungsprozesse massiv beeinflussen und längerfristig zu nahezu unlösbaren Situationen auf Produktebene führen – mit den entsprechenden Konsequenzen.

Es gibt natürlich schon eine massive Professionalisierung des Obsoleszenzmanagement, allein das Thema Smart PCN hat bereits viel bewirkt. Aber strategisches Life-Cycle-Management geht eben noch weiter. Wenn man davon ausgehen möchte, dass Obsoleszenz bereits im Design beginnt, dann fragt man sich, welche Tools hat zum Beispiel der Entwickler zur Verfügung, um seiner Verantwortung gerecht zu werden, außer EDA-Tools, die wenige bis gar keine Indikatoren rund um Obsolescence enthalten dürften?

Sourceability ist zwar ein Komponentendistributor, hat sich jedoch von Anfang an zur Aufgabe gemacht, Tools für die Digitalisierung der Elektronik-Supply-Chain zu entwickeln, nicht zuletzt im Hinblick auf ein besseres Life-Cycle-Management und eine bessere Risikoabschätzung auf Komponentenebene. Welches Risiko kaufe ich mir mit dem Erwerb einer speziellen Komponente ein? Diese Frage versucht Sourceability mit Datalynq zu beantworten.

Datalynq ist ein Market-Intelligence-Tool, das Daten wie Verfügbarkeit, Transaktionshistorie, alternative Quellen und einige andere Aspekte auf Komponentenebene anzeigt, gewichtet und schließlich zu einer vorausschauenden Analyse verdichtet über das künftige Marktverhalten von Komponenten. Es unterstützt nicht nur den strategischen Ansatz von Obsoleszenzmanagement (längerfristige Marktinformationen), sondern auch den praktischen Managementprozess in Form von Case-Management, mit dem potenzielle Kunden ihre Problemfälle entweder direkt in Datalynq (ein Software-as-a-Service-Modell) oder über eine API-Schnittstelle in ihrem eigenen System managen können.

Datalynq unterstützt die Regeln von DMSMS SD-26 und erlaubt neben Risiko- und Kostenabschätzungen bei direkten Obsoleszenzfällen auch die Überwachung der »Gesundheit« kompletter Stücklisten und die Generierung von Compliance-Reports. Die Tatsache, dass Datalynq nahezu auf das gesamte Datenspektrum der Komponentenindustrie zugreifen kann (eine Milliarde Datensätze), macht es zum umfassenden digitalen Helfer in einer teils noch sehr analogen Prozesswelt.

Positiv ist, dass spätestens mit der letzten Knappheit Bewegung in die Branche geraten ist, was den durchgängigen Informationsfluss in der Supply-Chain betrifft. Es gibt mittlerweile sehr viele digitale Dienstleister wie Sourceability, und jeder zusätzliche Fortschritt in der Digitalisierung schwieriger Prozesse wie Beschaffung (mit seinen vielen Ausnahmefällen) oder Obsoleszenz ist sinnvoll und spart auf die Dauer der gesamten Branche eine Menge Kosten und Nerven.

Ich würde mich auch nicht wundern, wenn gerade bei der Obsoleszenz, die ja nun sehr stark an der Datenlage und ihrer korrekten Interpretation hängt (wenn man daraus konkrete Aktionen ableiten will), das Thema KI noch eine größere Rolle spielen wird (Datalynq setzt zum Beispiel bereits auf ML-Algorithmen). Ein Entwickler könnte sich mal den Spaß erlauben, Chat-GPT zu fragen, ob es sicher ist, eine spezielle Komponente einzudesignen. Die eine oder andere Antwort könnte vielleicht Blödsinn sein, aber es wäre nicht überraschend, wenn auch sinnvolle Vorschläge dabei rauskämen. In zwei Jahren als Standard? Warum nicht?


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