Der Durchbruch der Elektromobilität macht Bordnetze endgültig zu zentralen Komponenten von Fahrzeugen. Das bringt neue Anforderungen an ihre Rückverfolgbarkeit mit sich. Um sie zu erfüllen, müssen die Hersteller ihre Prozessabläufe anpassen.
Bordnetze haben in den vergangenen Jahren einen fundamentalen Bedeutungswandel erfahren. Sie sind für immer mehr Energie-, Signal- und Kommunikationsflüsse zuständig, die kritische Funktionen wie Steuerung, Spurwechsel oder Bremsen unterstützen. Dadurch wandelten sie sich von ursprünglich reinen Commodity-Produkten zu sicherheitskritischen Komponenten. Der Durchbruch der E-Mobilität verstärkt diese Entwicklung nun nachhaltig. Laut Kraftfahrt-Bundesamt wurden 2020 in Deutschland 394.940 Neuwagen mit elektrischen Antrieben (batterieelektrisch, Plug-In, Brennstoffzelle) neu zugelassen. Setzt sich dieser Trend fort, ist das von der Bundesregierung formulierte Ziel, bis zum Jahr 2030 sieben bis zehn Millionen zugelassene Elektrofahrzeuge zu erreichen, tatsächlich realistisch.
Die Entwicklung der Bordnetze zu zentralen und sicherheitskritischen Komponenten von Fahrzeugen bietet ihren Herstellern große Chancen, konfrontiert sie aber auch mit ganz neuen Herausforderungen. So müssen sie etwa für die komplexe IT-Technik der Fahrzeuge immer spezielle Bordnetze produzieren und für Hybrid- und Elektroantriebe mehradrige Hochvoltkabel mit zusätzlichen Abschirmungen verarbeiten. Aber auch die Anforderungen an die Qualität der Produkte steigen gewaltig.
Bei Versagen der Elektronik drohen den Herstellern immense Reputationsschäden, hohe Strafzahlungen und teure Rückrufaktionen. Damit einher geht eine wachsende Bedeutung der Rückverfolgbarkeit. Für Bordnetzhersteller ist es daher wichtiger denn je, im Fall eines Problems die Ursachen dafür rasch zu identifizieren und zu beseitigen sowie sofortige und gezielte Rückrufe zu ermöglichen. Nur so können sie die potenziellen Gefahren schnell eingrenzen und Imageschäden reduzieren.
Einer durchgängigen Rückverfolgung stehen aber die typischen Produktionsprozesse der Bordnetzhersteller im Weg, die zahlreiche manuelle Schritte enthalten. So lassen sich biegeschlaffe Komponenten, die Bestandteil eines Bordnetzes sind, generell nur schwer maschinell bearbeiten. Zudem erfordert die Endmontage viele manuelle Tätigkeiten, da Automobilhersteller ihre Designs laufend optimieren, Zulieferer von elektronischen und sensorischen Komponenten ihre Produkte regelmäßig verändern und Kunden ihr Auto individuell konfigurieren können. Diese vielen, teils kurzfristigen Anpassungen führen dazu, dass praktisch kein Bordnetz dem anderen gleicht.
Deshalb haben viele Hersteller die Endmontage ihrer Bordnetze in Niedriglohnländer verlagert, wo 80 bis 90 Prozent aller Aufgaben manuell erledigt werden. Eine Nachverfolgung, welche Maschinen und Menschen welche Komponenten und Materialien verarbeiten, findet dabei kaum statt. Zwar werden meist zumindest die Rohmaterialien auf Chargenebene erfasst und Kabelbündel eindeutig gekennzeichnet. Doch bei der Endmontage werden diese Verbünde dann aufgelöst und anonym verbaut. Dadurch ist nach der Lagerentnahme keine Rückverfolgung mehr möglich.
Mit den üblichen Prozessabläufen ist eine durchgängige Rückverfolgbarkeit also nicht zu realisieren. Deshalb müssen die Prozessabläufe auf operativer, technischer und organisatorischer Ebene angepasst werden. In einem ersten Schritt können Bordnetzhersteller mit Prinzipien wie FIFO (First in, First out) eine rudimentäre Rückverfolgung ermöglichen und durch technische Vorkehrungen einige Fehler verhindern oder sichtbar machen. Für eine durchgängige und lückenlose Rückverfolgbarkeit sind jedoch Augmentierungen erforderlich. So können Barcodes und RFID-Chips an Materialien, Komponenten, Vor- und Endprodukten sowie Maschinen und Arbeitsplätzen angebracht und durch Scansysteme erfasst werden.
Um den Produktionsprozess vollständig zu dokumentieren und die Qualität des Endprodukts abzusichern, sollten aber auch dynamische Parameter wie Crimpkraft, Werkzeugwechsel oder Nachbearbeitungen aufgezeichnet werden. Bei der Umsetzung dieser Maßnahmen sind Bordnetzhersteller auch auf die Disziplin ihrer Mitarbeiter angewiesen. Wenn Komponenten manuell gescannt werden, dürfen sie nicht mehrere Teile vorab scannen und dann Schritt für Schritt verbauen oder ein Bauteil mehrmals und stellvertretend für alle anderen erfassen. Sonst entstehen fehlerhafte Datensätze, die im Fall von Fehlern eine zuverlässige Rückverfolgung verhindern.
Aber auch die Anbieter von Manufacturing-Execution-Systemen (MES) sind in der Pflicht. Sie müssen ihre Lösungen weiterentwickeln, um Bordnetzherstellern bei der Automatisierung und Dokumentation ihrer Prozesse zu unterstützen und ihnen den Weg zu digitalen Zwillingen zu ebnen. Dabei handelt es sich um digitale Repräsentanzen der Bordnetze, die die komplette Herstellungshistorie dokumentieren – von den verbauten Teilen bis hin zu den Produktionsgegebenheiten. Damit erlauben digitale Zwillinge eine Nachverfolgung über den kompletten Produktlebenszyklus.
Zudem bieten sie Bordnetzherstellern einiges Potenzial, um durch Optimierungen in der Produktion Kosten einzusparen. So lassen sich ihre Daten beispielsweise dazu nutzen, Maschinen besser auszulasten und Lagerbestände zu reduzieren oder um mit Predictive Analytics Störungen im Produktionsprozess vorherzusagen und den Austausch von Verschleißteilen besser zu planen – und damit Ausfallzeiten zu minimieren.
Bernd Jost
ist seit Januar 2016 für DiIT tätig, einem Softwarehaus im Bereich Manufacturing Executions Systems für die Kabelsatzproduktion – zuerst in der Funktion als Chief Operating Officer und seit Januar 2017 als Managing Director. Jost ist studierter Diplom-Informatiker und verfügt über 30 Jahre Berufserfahrung als Führungskraft in der Technologiebranche. Zuvor war er Vorstandsvorsitzender beim Stuttgarter E-Commerce-Systemhaus SPH. Auch bei der Daimler-Tochter debis und dem französischen IT-Dienstleister ATOS war er bereits in verschiedenen Führungspositionen tätig.