Auch wenn viel über den Einsatz von Ethernet im Fahrzeug diskutiert wird und der eine oder andere auch schon prognostiziert, dass MOST verschwindet, erklärt Harald Kohler, Senior Manager Stratetic Marketing AIS von Microchip Technology, der Markt&Technik, warum er diese Prognose für falsch hält.
Markt&Technik: MOST150 eignet sich hervorragend für Fahrerassistenzsysteme. Dennoch setzen mittlerweile einige OEMs auf Ethernet statt auf MOST. Welche Argumente sprechen aus Ihrer Sicht für MOST und gegen Ethernet?
Harald Kohler: Lassen Sie mich versuchen, die Argumentese zusammenzufassen: Für Anwendungen im Bereich Fahrerassistenzsysteme ist Latenz sehr wichtig. MOST an sich hat eine sehr geringe Latenz, und eine speziell für MOST entwickelte Videolösung erlaubt die Übertragung von digitalen HD-Videoströmen mit sehr geringen Latenzzeiten. Das ist schon mal wesentlich. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal bei MOST im Vergleich zu Ethernet ist die grundlegende und hervorragende Dienstgüte oder Quality of Service (QoS), die bei MOST ohne Anwendung zusätzlicher Software-Schichten von vornherein gegeben ist. Bei MOST laufen sämtliche Netzwerkteilnehmer synchron zur MOST-Framerate, was das Versehen von Zeitstempeln im Falle der Sensordatenfusion bei Fahrerassistenzsystemen sehr, sehr einfach gestaltet. Zum Zwecke der Synchronisierung mehrerer Videoquellen im MOST-Netzwerk, wie zum Beispiel bei Kameraanwendungen, unterstützt MOST die Übertragung von Fremdtaktsignalen, also Taktsignale, die von Hause aus nicht der MOST-Framerate entsprechen. MOST unterstützt den Transport mehrerer Datentypen in ihrem Ursprungsformat. So geht der Intelligente Network Interface Controller – kurz INIC – her und routet die Streaming-, Kon-troll-, Paket- oder IP-Daten lediglich zur dazu passenden Applikationsschnittstelle. Fertig! Im Gegensatz dazu können bei Ethernet lediglich Paketdaten transportiert werden. Die müssen im weiteren Verlauf unabdingbar durch einen Software-Stack geschleust werden, ungeachtet Ihres nativen Datenformats. Das führt zu ineffizienter Nutzung von Bandbreite und belastet zusätzlich den Host-Prozessor mit dem unweigerlichen Umverpacken unterschiedlicher Datentypen in bzw. aus Ethernet-Paketen. MOST bietet eine eigens für den Einsatz in Fahrerassistenzsystemen entwickelte MOST-Kamera an, die in Bauform, Zahl der verwendeten Bauelemente und Kosten optimiert wurde. Die Kamera wird über das Netzwerk ferngesteuert, sodass selbst der lokale Mikrocontroller eingespart werden kann. In Multi-Kamera-Systemen bietet sich oft eine sternförmige Vernetzung an. Die Topologie bei MOST-Systemen lässt sich wahlfrei kombinieren aus Ring-, Daisy-Chain- und Stern-Vernetzung, vorzugsweise mit Automotive-erprobten Koaxialkabeln, die zur full-duplex Daten-Kommunikation, aber auch zur Führung der Stromversorgung verwendet werden können.
Markt&Technik: Broadcom behauptet, dass sich mithilfe von Ethernet die Connectivity-Kosten um bis zu 80 Prozent und das Gewicht für die Verdrahtung um zirka 30 Prozent verringern lassen – einfach zu verstehen, dass die Automobilhersteller Ethernet nutzen wollen. Können Sie dieses Argument abschwächen?
Harald Kohler: Sicherlich. Sie sprechen von Kosten und Gewicht von Ethernet. Wenn Sie Ethernet sagen, wird es bereits mehrdeutig, aber das ist oft ein Problem, wenn von Ethernet die Rede ist. Sprechen Sie von Standard Ethernet 10/100 Base-T, Gigabit-Ethernet oder gar einem anderen proprietären Ethernet Derivat? Und Sie sagen »80 Prozent« und »30 Prozent«, auf was ist das bezogen? Bei MOST gibt es mehrere freigegebene Physical-Layer-Optionen. Lassen Sie mich diese kurz durchgehen: Die optische Plastikfaser, oder POF, was für Plastic Optical Fiber steht, ist hierbei mit Sicherheit die beste Wahl in punkto Gewicht und natürlich in der EMV-Robustheit und Immunität. Eine Unshielded-Twisted-Pair- oder kurz UTP-Verkabelung hat, bezogen auf die Systemkosten eines Netzwerkknotens, gewisse Kostenvorteile. Und schließlich gibt es noch die Koaxialkabel – cPhy, Coax Physical Layer –, die unter den kupferbasierten Vernetzungsoptionen die wohl beste EMV-Robustheit aufweisen und zudem am zukunftsweisendsten sind, weil sie bis in den GHz-Bereich betrieben werden können und somit in der Lage sind, eine nächste Generation von Gigabit-Netzwerk noch abzudecken.
Markt&Technik: MOST ist in dem Sinne kein offener Standard, das ist einer der am häufigsten gehörten Kritikpunkte gegen MOST. Welche Strategie verfolgt Microchip in diesem Punkt? Wird MOST für konkurrierende Halbleiterunternehmen geöffnet, so dass den Tier-Ones eine größere Auswahl an Lieferanten zur Verfügung steht?
Harald Kohler: Bereits 2007 kommunizierte und verpflichtete sich die MOST Cooperation zu einer schrittweisen, an Marktvolumen gebundene Öffnung der MOST Technology. Dementsprechend öffneten Harman / Becker Automotive Systems und SMSC bereits die Details Ihrer proprietären Data-Link-Layer-Spezifikation für MOST25. Doch gehen wir weiter. Microchip Technology ist vorbereitet, seine Spezifikation für die MOST150 Data Link Layer ebenfalls zu öffnen, eben auch früher als ursprünglich geplant, um 2nd-Source-Implementationen zu ermöglichen.
Audi hat früh auf MOST150 gesetzt. Aber mittlerweile erwarten die meisten, dass Audi statt auf MOSTnG in Zukunft auf Ethernet setzen wird, so dass MOST einen wichtigen Befürworter verloren hat.
Das sind Spekulationen. Die Volkswagengruppe, einschließlich Audi, hat letztes Jahr mit dem Audi A3 gerade einen ganz breiten Roll-out von MOST150 in sehr vielen Ihrer Automodelle gestartet. Ferner ist es doch bei Firmen in dieser Größe nur normal, dass sich Leute vor allem aus der Vorentwicklung oder gar Forschung mit allen möglichen Technologien auseinandersetzen. Da müssen wir einfach noch abwarten, bevor wir zu voreilig Erkenntnisse ableiten.