In öffentlichen Ladestationen steckt enormes Potenzial: Mit KI ist es möglich, die Nutzererfahrung zu personalisieren, innovative Point of Sales zu etablieren und die Netzauslastung zu optimieren. Wie das gelingt, zeigt Rutronik anhand einer gemeinsam mit DFI und Intel konzipierten Ladestation.
Derzeit findet der Großteil der Ladevorgänge noch zu Hause mit eigenen Wall-Boxen oder am Arbeitsplatz statt. Öffentliche Ladepunkte gab es zu Anfang 2024 laut der Bundesnetzagentur insgesamt 123.449 in Deutschland, davon über 98.000 AC-Normalladestationen und 25.000 DC-Schnellladestationen. Europaweit verzeichnete das European Alternative Fuels Observatory (EAFO) der Europäischen Kommission 2023 ein Wachstum von 35 Prozent bei den AC-Normalladestationen und 75 Prozent bei DC-Schnellladestatio-nen – ein deutliches Signal dafür, dass Fast-Charge-Lösungen erheblich an Bedeutung gewinnen.
Solange keine flächendeckende, mindestens europaweit einheitliche Ladeinfrastruktur etabliert ist, sehen sich Kunden an Ladestationen mit einigen »Fallstricken« konfrontiert: Ganz oben stehen dabei technische Probleme, gefolgt von Software- und Interoperabilitätsschwierigkeiten sowie der mangelnden Verfügbarkeit von intakten bzw. aktiven Ladepunkten. Auch die Unterschiede zwischen den diversen Anbietern, die auf jeweils individuelle Systeme setzen, führen zu Herausforderungen.
Ein wichtiger Punkt für die Kunden ist die generelle Nutzererfahrung während des gesamten Ladevorgangs, zu der sowohl der Informationsfluss als auch der erforderliche Zeitaufwand gehören: Wartezeiten von durchschnittlich ein bis zwei Stunden sind für Anwender unattraktiv, da das sinnlos verschwendete Lebenszeit darstellt. Die User Experience beginnt zudem nicht erst beim eigentlichen Ladevorgang, sondern schon bevor eine Station überhaupt angefahren wurde.
Entsprechend definierten die Entwickler von Rutronik, DFI und Intel ein dreiphasiges Modell für ihre Demoversion der Charging-Station:
Herkömmliche Ladestationen sind technologisch bisher auf das Wesentliche reduziert: Im Zentrum steht das System-Management mittels Mikroprozessor-Unit (MPU). Ausgestattet mit CAN- und SPI-Schnittstellen für Ladestecker, der Power Supply Unit und RJ-45-Steckverbindern für die Integration eines LC-Displays ist der Aufbau einer Ladestation heutzutage völlig zweckmäßig. Das Fahrzeug kann geladen werden – mehr aber auch nicht.
Die steigende Zahl der E-Fahrzeuge und die damit verbundenen wachsenden Ansprüche an die Ladeinfrastruktur erfordern ein Umdenken bei der Gestaltung und beim Design-in zukunftsorientierter Ladestationen.
Die Kombination von Digital Signage, Point-of-Sales(POS)-Marketing und interaktiven Kioskfunktionalitäten mit KI-Anwendungen in einer Charging-Station revolutioniert deren Nutzung und eröffnet eine Vielzahl neuer Geschäftsmöglichkeiten. Die von DFI, Intel und Rutronik realisierte Lösung konsolidiert vier verschiedene Arbeitslasten und führt große Sprachmodelle lokal aus, um Echtzeit-Kundenservice, Fahrzeug- und
Verhaltensanalysen, Fehlererkennung und Gesichtserkennung zu ermöglichen. Mit drei Displays, die auf unterschiedliche Bedürfnisse zugeschnitten sind, generiert sie Einnahmequellen, steigert die Kundenbindung, erleichtert Nachhaltigkeitsinitiativen (Environmental, Social and Governance, ESG) und optimiert digitale Abläufe durch Virtualisierungstechnologie. Bei dieser Charging-Station setzen die Entwickler hardwareseitig auf das ATX-RPS630-Mainboard von DFI, den Intel-Core-i9-Prozessor der 13. Generation sowie den Intel-Arc-A380E-Graphikprozessor, die zusammen für einen flüssigen, störungsfreien Betrieb der komplexen, aber klar strukturierten Softwarearchitektur sorgen. Anders als bei den bisherigen, sogenannten Legacy-Designs werden parallel drei virtuelle Maschinen (VM) mit unterschiedlichen Workflows betrieben, die über einen Typ-2-Hypervisor laufen:
Die Grundlage für diese VM bildet das Linux-Betriebssystem Ubuntu 22.04. Hier laufen die KI-Prozesse zur DSGVO-konformen (Datenschutz-Grundverordnung) Gesichtserkennung mittels der Intel-RealSense-Kamera und Spracherkennung auf der Basis von OpenAI Whisper ab. Ebenso ist ein KI-Chatbot integriert, der mit Mistral 7B ein Open-Source-Large-Language-Modell (LLM) nutzt, das längere Eingabesequenzen besser verarbeiten kann als alternative Modelle. Ebenso steuert Intel mit dem OpenVINO ein Open-Source-Toolkit bei, das die KI-Inferenz mit geringerer Latenz und höherem Durchsatz beschleunigt, während die Genauigkeit beibehalten, der Modell-Footprint reduziert und die Hardwarenutzung optimiert wird. Es rationalisiert die KI-Entwicklung und die Integration von Deep Learning in Bereichen wie Computer Vi- sion, Large Language Models und generativer KI.
Das PyTorch-Modell umfasst die Definition für verschiedene Modelle und beinhaltet die Definition für verschiedene Aufgaben, wie in diesem Fall die Bildklassifizierung, Pixelsegmentierung oder Abspielqualität von Videos und dient ebenfalls zur Reduzierung von Latenzzeiten. Kombiniert mit hochwertigen Mikrofonen, Lautsprechern und einem 10,1-Zoll-Fontmonitor wird die Interaktion zwischen Charging-Station und Nutzern deutlich effizienter und intuitiver, was die User Experience erheblich verbessert.
Diese VM beinhaltet das Content-Management-System für personalisierte Advertising-Maßnahmen und arbeitet dafür mit einem Windows-10-Betriebssystem. Für die optimale Darstellung sorgt beispielsweise ein 21,5-Zoll-Display.
Die Charging-Station-Demo nutzt die komplette verfügbare Fläche des Aufstellers und integriert entsprechend auch die Rückseite für den Multipurpose-Ansatz. Ein 32-Zoll-Bildschirm ermöglicht eine unkomplizierte Verbesserung des Mid- und Post-Charging-Prozesses durch die Einbindung von Social Media, Gamification oder After-Sales-Promotion. Diese VM läuft ebenfalls auf Ubuntu.
Auch für die User Experience »hinter den Kulissen« ist in dem neuen Design gesorgt: Dank eines integrierten Moduls für Out-of-Band-Management ist es möglich, eine komplett ausgeschaltete Ladestation mittels Fernwartung zu reaktivieren. Unnötige Anfahrten entfallen, die Kosten für Wartung und Instandhaltung sinken. Da das System auf Arbeitslastkonsolidierung setzt, wobei mehrere Aufgaben auf weniger Plattformen komprimiert werden, entfällt die Notwendigkeit für jede Operation ein eigenes Board zu integrieren, was die Gesamtsystemkosten reduziert. Dank der Integration von drei VMs ist es zudem möglich, die Station nahezu durchgehend online zu belassen, da Systemreparaturen oder Wartungsarbeiten im Hintergrund durchgeführt werden können.
Derart designte Ladestationen bieten »unendliche« Weiterentwicklungsoptionen, zum Beispiel für flächendeckende, eingebettete Smart-City-Anwendungen, die deutlich weniger störanfällig sind als bisherige Angebote. Da das System diverse Kommunikationsstandards einhält, ist es für künftige erweiterte Anwendungen bereits Wi-Fi- oder 6G-fähig.
Aufgrund des angewandten Hardwarekonzeptes und der Einbindung diverser Sicherheitsstandards bildet die Station zudem ein abgeschlossenes System, was die Sicherheit hinsichtlich Zahlungsabwicklung und Datenschutz massiv erhöht. Es ist beispielsweise auch möglich, die Kamera nicht durchgängig aktiv zu schalten, sondern diese mit einem Infrarotsensor zu koppeln, um die Gesichtserkennung erst zu starten, wenn sich ein Nutzer innerhalb eines definierten Bereichs befindet. Die verstärkten Bildschirme sorgen zudem für genügend Sicherheit gegen Vandalismus und andere externe Einflüsse.
Bereits am 13. April 2024 trat eine europaweite Verordnung über den Ausbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (Alternative Fuels Infrastructure Regulation, AFIR) in Kraft. Ziel dieser Verordnung ist die einheitliche Gestaltung von Ladestationen und die Vereinfachung des Ladeprozesses für Kunden und nimmt damit die Betreiber von Ladestationen nachdrücklich in die Pflicht.
So soll das ineffiziente, unökologische und unbequeme Suchen nach der passenden Ladesäule vermieden werden – kurz: Die Nutzererfahrung für E-Fahrzeugfahrer soll verbessert werden, um den Umstieg auf E-Mobility attraktiver zu gestalten. Ein weiterer Bereich der Verordnung sieht vor, dass an allen europäischen Hauptverkehrsstraßen in regelmäßigen Abständen Schnellladeinfrastrukturen installiert werden. Diese Maßnahmen sollen der berüchtigten (German) Reichweiten- und Verfügbarkeitsangst entgegenwirken und Ladevorgänge normalisieren.
Die vorgestellte Lösung denkt die AFIR noch einmal weiter, indem sie den Nutzer in den Fokus des Ladeprozesses setzt, mit ihren Analysefähigkeiten jedoch zugleich für die Stabilisierung des Stromnetzes sorgt. Ein Fahrzeug, von dem bekannt ist, dass es mindestens die nächsten drei Stunden nicht gefahren wird, weil der Fahrer eine naheliegende Ausstellung oder ein empfohlenes Restaurant besucht, kann schließlich langsamer geladen werden.
Rutronik agiert hierbei als verlässlicher Distributionspartner, der sowohl die Bedürfnisse von Erstausrüstern (OEMs) als auch Herstellern versteht, die passenden Lösungen bereitstellen kann und sich von der Auswahl der Komponenten bis zum Design-in beteiligt. Die umfangreiche Linecard, gepaart mit der ergänzenden Expertise der Rutronik Product Manager soll das Best Fit für den Kunden schaffen. Durch die umfassenden Erfahrungen aus der eigenen Forschungs- und Entwicklungsarbeit im Rahmen der Rutronik System Solutions versteht Rutronik, was Ent- wickler brauchen.
Der Autor
Lennart Juliusson ist Business Development Manager – Business Intelligence bei Rutronik.