Daneben gibt es noch weitere Aspekte, die behandelt werden müssen, um eine KF-basierte integrierte Positionierung präzise und robust genug für den Einsatz in Fahrzeugen zu machen. Besonderes Augenmerk gilt den verwendeten Sensoren. Im vorgestellten Ansatz mit Hodometer und Gyroskop auf MEMS-Basis ist vor allem die Kalibrierung des Gyroskop-Bias zu beachten, da ein Fehler hier zu hohen Abweichungen im Ergebnis führt. Wie eingangs erwähnt, ist das Bias abhängig von der Temperatur. Eine einfache Möglichkeit für die Kalibrierung des Bias ist gegeben, wenn das Fahrzeug steht, weil hier die wahre Drehrate bekannt ist und damit das Bias einer direkten Messung zugänglich ist. Die Phasen des Stillstands sind jedoch von der Fahrsituation abhängig; daher ist es wichtig, auch während der Fahrt auf Temperaturänderungen zu reagieren. Dies ist möglich, indem die Abhängigkeit des Bias von der Temperatur modelliert und mit geschätzt wird.
Ein weiterer wichtiger Aspekt sind Verzögerungen zwischen den Sensoren. Typischerweise sind nicht alle Sensoren auf ein und demselben Gerät vorhanden, sondern befinden sich auf verschiedenen Steuergeräten im Fahrzeug. Deren Messdaten werden über Bussysteme im Auto verteilt. Die einzelnen Messungen sind daher nicht zeitsynchron, müssen also in eine gemeinsame Zeitbasis synchronisiert und eventuell sortiert werden. Die Verzögerung zwischen den verschiedenen Zeitskalen jedes einzelnen Sensors ist oft unbekannt, aber nicht vernachlässigbar. Beispielsweise tasten sowohl Hodometer (indirekt) als auch der GNSS-Empfänger (direkt) die Geschwindigkeit des Fahrzeugs ab. Um korrekt zu fusionieren, muss diese Verzögerung entweder bekannt sein oder geschätzt und im Anschluss entsprechend kompensiert werden. Ansonsten eilt die fusionierte Position voraus (Hodometer verzögert) oder hinkt hinterher (GNSS verzögert).
Über die rein Sensor-spezifischen Aspekte hinaus ist zu beachten, dass die Fusion in eine komplexe Umgebung im Fahrzeug eingebettet ist. Wie schon angesprochen, stammen die Daten der verschiedenen Sensoren im Regelfall von unterschiedlichen Steuergeräten und müssen erst über Bussysteme im Auto verteilt werden. Auf diesem Weg können Übertragungsfehler passieren oder einzelne Sensoren können zeitweise komplett ausfallen. Es ist wichtig, mit solchen Situationen umgehen zu können. Nicht in allen Fällen ist es möglich, eine gleichbleibende Qualität in der fusionierten Position zu gewährleisten. In jedem Fall muss die Positionierung nach Behebung des Fehlers wieder korrekt funktionieren. Dafür sind verschiedene Maßnahmen erforderlich, z.B. die Detektion unplausibler Daten, die Erkennung eines Sensor-Ausfalls und auch die Möglichkeit der Selbstheilung bei beschädigten Kalibrierwerten oder numerischen Inkonsistenzen, die z.B. durch Anwendung falscher Messungen ausgelöst werden können.
Fahrzeugpositionierung im autonomen Fahrbetrieb
Positionierungssysteme wie das in diesem Artikel beschriebene ermöglichen schon heute eine Vielzahl moderner Assistenzsysteme und Komfortfunktionen, die mit einer reinen GNSS-Lösung nicht denkbar wären. Dennoch gibt es schon Pläne für weitere Systeme, die eine noch genauere Positionsbestimmung oder höhere Verfügbarkeit erforderlich machen. Somit rücken bereits heute weitere Anforderungen wie die spurgenaue Positionsbestimmung und echte dreidimensionale Trajektorien in den Fokus. Dafür ist es notwendig, weitere Sensoren mit in die Fusion einzubeziehen. Auf dem Weg zum hochautomatisierten Fahren werden ebenso Aspekte der funktionalen Sicherheit eine Rolle spielen. Auch die Abhängigkeit von GNSS wird dafür reduziert werden müssen, damit die relative Position in Bezug auf Hindernisse im Fahrzeugumfeld präzise und zuverlässig verfolgt werden kann. Das vorgestellte Positionierungsmodul stellt in jedem Fall eine vielversprechende Basis dar für die nächsten Schritte auf dem Weg von der präzisen Fahrzeugpositionierung hin zur Fahrzeugpositionierung im autonomen Fahrbetrieb.
Die Autoren
Martin Schauer |
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arbeitet als Software-Ingenieur in der Abteilung Navigation bei der Elektrobit Automotive GmbH. Im Jahr 2005 schloss er sein Informatik-Studium an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg mit dem Diplom ab. Von 2005 bis 2010 war er in der Entwicklung von GNSS-Empfängern am Fraunhofer-Institut für integrierte Schaltungen IIS tätig. Im Jahr 2010 wechselte er zur Elektrobit. Seit Ende 2014 beschäftigt er sich vermehrt mit dem Thema der Fahrzeugpositionierung. |
Andis Rudevics |
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ist Software-Ingenieur bei Elektrobit. Von 2001 bis 2010 studierte er Physik und Computerwissenschaften an der Universität Lettlands. 2008 erhielt er den Doktortitel der Physik. 2010 wechselte er ans Fraunhofer-Institut für Integrierte Systeme und Bauelementetechnologie IISB in Erlangen. Seit 2012 arbeitet er bei Elektrobit in Erlangen im Bereich Fahrzeugpositionierung. |
Fabian Kirsch |
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absolvierte die Studiengänge Informatik und Mathematik an der TU Clausthal. Seit 2007 arbeitete er an verschiedenen Themenstellungen im Bereich der Positionsbestimmungssysteme. Einen Schwerpunkt bildeten dabei radarbasierte lokale Positionierungssysteme. Im Jahr 2015 wechselte er zu Elektrobit und beschäftigt sich dort mit Algorithmen zur Sensordatenfusion für die weltweite Positionsbestimmung straßengebundener Serienfahrzeuge. |