Wir haben in der Diskussion auf dem Summit unter anderem darüber gesprochen, dass Industrie 4.0 derzeit anbietergetrieben ist - anwenden muss die Systeme aber schließlich die Fertigungsindustrie, und sie müsste ja eigentlich auch ihre Anforderungen und Bedarfe stellen. Gibt es aus Ihrer Sicht dazu schon genügend Verzahnung zwischen den beiden Seiten oder zugespitzt gefragt: Entwickelt die Automatisierungsindustrie an den Bedürfnissen der Fertigung vorbei?
Das ist das typische Henne/Ei-Problem, was wir momentan haben: Der Kunde will fertige Produkte kaufen, aber der Anbieter weiß noch gar nicht, was er anbieten soll. Das wird sich nur lösen, wenn man prototypisch anfängt, diese beiden Bereiche aufeinander zuzuführen. So zum Beispiel mit Hilfe der SmartFactory in Kaiserslautern oder vergleichbaren Einrichtungen, die woanders in Deutschland existieren.
Welche Herausforderungen ergeben sich durch Industrie 4.0 für den Anlagenbediener? Muss er qualifizierter als bisher sein - wird sich die Ausbildung verändern?
Da würde ich nicht den Anlagenbediener im Vordergrund sehen. Die Änderungen werden sich vor allem beim Engineering und bei der Planung der Anlagen ergeben. Hinzukommen werden große Veränderungen im Bereich der Inbetriebnahme und der Wartung, das sind die größeren Herausforderungen. Da muss man eine neue Welt verstehen, die sich hier auftut. Wenn diese Welt mal läuft, wird es der Bediener nicht schwerer haben als heute, eher im Gegenteil.
Das führt mich zur Frage: Welche Rolle spielt der Mensch generell bei der Industrie 4.0?
Der Mensch ist das flexibelste Element. Wir versuchen, eine sehr flexible und agile Technikwelt aufzubauen, die aber immer mit Fehlern behaftet sein wird. Das heißt, wir brauchen auf alle Fälle den Menschen, der das wieder gerade rückt und korrigierend eingreift. Insofern sehe ich den Menschen in einer wichtigen Rolle.
Was bisher noch wenig berücksichtigt wird, so jedenfalls mein Eindruck, ist die Integration der Industrie-4.0-fähigen Equipments in bestehende Anlagen und Produktionsstraßen.
Ich würde sagen, dass man in der Regel keine Nachrüstung machen wird. Das macht keinen Sinn. Das neue Equipment wird wahrscheinlich in neue Anlagen einfließen, die zukünftig aufgebaut werden und ältere Anlagen ersetzen. Die neuen Anlagen werden wesentlich modularer sein als heute und nach dem Baustein-Prinzip aufgebaut werden können.
Der wesentliche Treiber dieser neuen Welt wird das Paradigma des Internet-of-Things sein. Demnach werden alle Objekte einer Fabrik mit einer eindeutigen IP-Adresse ausgestattet und in Netzwerken verbunden sein. Ein Netzwerk solcher Cyber-Physical-Systems wird zwangsläufig neue Architekturansätze erfordern, so Ihre Aussage. Inwiefern?
Wir werden weg kommen von der klassischen hierarchisch aufgebauten Pyramidenarchitektur, in der sich die einzelnen Akteure in den horizontalen Ebenen bewegen, also nur Steuerungstechnik oder Leittechnik machen. In einer zukünftigen Netzwerkstruktur werden wir diese Ebenen nicht mehr identifizieren können. Das wird - wie ich vorhin schon angemerkt habe - neue Ansätze in der Planung und im Engineering erfordern.
Die von mehreren Industrie- und Forschungspartnern 2005 gegründete Smartfactory KL in Kaiserslautern ist das erste und größte Forschungs- und Demozentrum für smarte Fabriktechnologien. Was gab damals den Ausschlag zur Initiative dieses Projektes?
Die ersten Anfänge nahm das Projekt schon 2004. Der Auslöser war damals eine VDI/GMA-Arbeitsgruppe mit der Bezeichnung »Ambient Intelligence in der Automatisierungstechnik«. Daraus wurde die Idee geboren, dass man das auch mal in der Fabrikwelt ausprobieren müsste. So ist die Smart Factory entstanden.
Also war das Projekt damals schon ein Vorreiter von Industrie 4.0?
Wenn Sie sich heute die alten Dokumente durchlesen, dann fällt der Begriff »Industrie 4.0« zwar nicht, aber die ganzen Paradigmen waren damals schon enthalten.
Die Smartfactory KL berät Unternehmen auf ihrem Weg in Richtung Industrie 4.0. Welche Erfahrungen haben Sie bislang gemacht? Wie fit bzw. offen sind die produzierenden Unternehmen gegenüber den Ideen der smarten Fabrik?
Es gibt die zwei Gruppen: Das eine sind die mittelständischen Unternehmen, die sehr innovativ sind und es immer schon gewöhnt waren, neue Dinge anzugehen. Mit diesen Firmen ist das weniger eine Beratung, sondern eher ein gegenseitiges voneinander Lernen und Vorwärtsbewegen. Dann gibt es den kleineren Mittelständler, der keine Forschungsabteilung hat, aber durch den aktuellen Hype auf das Thema gestoßen wird. Dieser Kreis möchte ganz konkret beraten werden und wissen, was er verändern soll und kann und wie die Produkte für die Zukunft aussehen sollen. Diese Klientel müssen wir intensiv an die Hand nehmen und in die neue Welt führen. Denn ein Teil ist schlichtweg überfordert mit den Konzepten, die jetzt unter dem Begriff »Industrie 4.0« öffentlich sind.