Die Suche nach neuen Geschäftsmodellen

Industrie 4.0 wird die Lieferkette durcheinander wirbeln

10. September 2015, 11:41 Uhr | Karin Zühlke
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»Im Großen und Ganzen ist alles schon da«

Dennoch ist Industrie 4.0 zum Großteil immer noch auf der Startrampe und nicht breit ausgerollt, wo hakt es? »Es hakt im Grunde nirgends. Wir haben die Technologien, die wir brauchen: Konnektivität, Prozessoren und Controller, Tools und Software. Im Großen und Ganzen ist alles schon da«, meint Brockard.

Technologisch betrachtet, gibt es nach Meinung der Gesprächsrunde bereits einen sehr substanziellen Unterbau für Industrie 4.0. Das Entscheidende sei vielmehr die Entwicklung der Geschäftsmodelle, erklären die Gesprächsteilnehmer. Viele Firmen seien noch unentschlossen oder unsicher, wie sie Industrie 4.0 für ihr Unternehmen und ihr Geschäftsmodell umsetzen sollen, um daraus auch Potenzial zu generieren. »Nicht nur die Geschäftsmodelle, auch die Kundenbeziehung verändert sich«, bringt es Aurelius Wosylus, Director of Business Development Embedded Markets & IoT bei der Gemalto-Division SafeNet, auf den Punkt: »Denkbar wäre, dass in Zukunft nicht mehr ein Produkt, sondern ein Service verkauft wird, z.B. dass mein Gerät oder meine Maschine zehn Autos pro Stunde ausrüstet.« Oberste Prämisse ist, dass der Kunde erfolgreich ist. Das zieht aber auch ein erhöhtes Risiko und erhöhte Qualitätsansprüche nach sich.

Industrie 4.0 in der Praxis

Wie so eine durchgängig vernetzte Lieferkette und damit die ersten Schritte in Richtung Industrie 4.0 in der Praxis von der Produktion bis hin zum Endkunden aussehen kann, zeigt das Beispiel der individuellen DHL-Postkästen, das Johann Weber, Vorstandsvorsitzender von Zollner Elektronik, in die Diskussion einbringt:  »Wir fertigen für DHL Paketkästen für Privathaushalte quasi in Losgröße 1: Der Kunde kann über das DHL-Portal seine Daten eingeben und seinen individuellen Paketkasten konfigurieren. Wir holen die Daten aus der virtuellen Plattform ab, fertigen die bestellte Konfiguration und liefern sie anschließend direkt an den Endkunden.« DHL hat diese Paket-Briefkästen seit gut einem Jahr im Angebot. Dem Paketkasten wird ein Schlüssel zugewiesen, alternativ lässt sich der Kasten auch per Handy oder Tag öffnen. DHL-Retouren können ebenfalls über diesen Paketkasten zurückgeschickt werden. Intention und Geschäftsmodell wurden hier konsequent durch die Kette zu Ende gedacht. Anders im Beispiel, das Dr. Friedrich Nolting schildert, Geschäftsführer der Aegis-Tochter diplan: »Bosch hat ein neues Werk für Handwerker-Gerätschaften aufgebaut, das nach allen Regeln der Industrie-4.0-Kunst funktionieren soll: Darin besteht die Möglichkeit, sehr flexibel zu arbeiten. Das Werkstück sucht sich sogar über Werkstückträger und Transportsysteme selber den nächsten freien Arbeitsplatz.«
Soweit so gut. Allerdings, so Nolting, sei in diesem Fall der Industrie-4.0-Gedanke nicht konsequent zu Ende geführt, weil das Geschäftsmodell fehlt, denn in diesem Werk wird nicht Losgröße 1 gefertigt, sondern es werden nur große Stückzahlen hergestellt, die dann wiederum von den großen Händlern abgerufen werden. Wo also ist der Nutzen eines solchen Werkes? »Das Industrie-4.0-Konzept wird hier erst dann funktionieren, wenn sich der Endkunde sein Produkt selbst konfigurieren kann«, bekräftigt Nolting. Und das wiederum würde den Zwischenhandel ausknocken, der allerdings in dieser Branche eine sehr große Marktmacht hat: Derzeit gehen rund 50 Prozent der Handwerker-Güter über die Online-Plattform ebay. Auch Amazon ist in diesem Metier stark vertreten.

»Die Frage für die Zukunft ist, wo die Kundenverbindung bzw. Kunden-Ownership verankert sein wird«, gibt Aurelius Wosylus an dieser Stelle zu bedenken. »Wir müssen uns fragen, wo bzw. bei wem der Verkaufsfaktor liegt. Beim Handy z.B. ist es nicht mehr die Hardware-Marke, sondern das Betriebssystem. Das heißt Google, es bindet den Kunden und nicht die Hardware-Firmen.« Im Fall von Googles Hauptkonkurrenten Apple ist das allerdings nicht zutreffend: Der Konzern hat es geschafft, sowohl die Hardware-Marke als auch die Software und Geschäftsmodelle daraus als Quasi-Standard zu etablieren.  

 


  1. Industrie 4.0 wird die Lieferkette durcheinander wirbeln
  2. »Im Großen und Ganzen ist alles schon da«
  3. Haftungsfragen bei der Datenübergabe

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