Die Line-Card erweitern, geografisch expandieren, das Systemlösungsgeschäft ausbauen und über Akquisitionen wachsen – mit neuer Struktur und neuem CEO will der Anbieter von Elektronikbauteilen durchstarten.
Eine neue Struktur soll Hy-Line 35 Jahre nach der Firmengründung helfen, um jetzt schneller wachsen zu können und in neue Gebiete vorzustoßen – technologisch und geografisch.
Zuvor hatte das Unternehmen aus drei selbstständigen GmbHs bestanden, die Computer Components, die Power Components und die Communication Components. »Diese Struktur war den Anforderungen des heutigen Marktes nicht mehr angemessen«, erklärt Jeroen Rijswijk, seit Oktober letzten Jahres Geschäftsführer der Hy-Line Technology und CEO der Hy-Line Holding. Seit 1. September 2023 besteht nun die neue Hy-Line Technology, die über einen »Side-Step-Merger« aus den drei GmbHs hervorgegangen ist. An der Holding hat sich nichts geändert, sie übernimmt administrative Aufgaben wie Marketingkommunikation, IT-Services und Buchhaltung für Hy-Line Technology und die Tochter in der Schweiz, die Hy-Line AG.
»Die einzelnen Unternehmen, aus denen Hy-Line bisher bestand, brachten einfach nicht genügend kritische Masse mit, um für weiteres Wachstum zu sorgen«, sagt Jeroen Rijswijk. Sie hätten die Investitionen gar nicht aufbringen können, um neue Systeme zu entwickeln und die dafür erforderlichen Mitarbeiter einstellen zu können. »Also haben wir die Kleinstaaterei abgeschafft und eine durchgehende Struktur geschaffen. Das hat zudem den Vorteil, dass unsere Ingenieure aus den verschiedenen Gebieten enger zusammenarbeiten können – was sehr wichtig ist, weil in den Systemen die einzelnen Disziplinen verschmelzen und unsere Spezialisten sowieso eng zusammenarbeiten. Übrigens wird es dadurch auch einfacher, im Krankheitsfall oder bei Urlaub Vertretungen zu finden.«
Zudem passt diese Organisationsform besser zu den Strukturen, die sich die Kunden von Hy-Line inzwischen selbst gegeben haben: Auch sie haben Abteilungen zusammengelegt und erwarten, entsprechend mit ihren Partnern und Zulieferern so besser kommunizieren zu können. »Sie haben es jetzt also nicht mehr mit mehreren Hy-Line-Firmen zu tun – ein einziger Mitarbeiter von uns kann nun alles verstehen, was für ein bestimmtes Projekt benötigt wird«, so Rijswijk.
Die Umstrukturierung des Unternehmens sei jetzt weitgehend abgeschlossen und damit die Grundlage dafür geschaffen, um die Vorgaben an Wert- und Profitabilitätssteigerungen zu realisieren, die der Investor Blue Cap erwartet. Er war im September 2021 zusammen mit einer substanziellen Beteiligung des Managements bei Hy-Line eingestiegen – und erwartete für das erste volle Geschäftsjahr 2022 ein Wachstum des EBITDA und des Ergebnisses pro Aktie um über 20 Prozent.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Wachstumsstrategie besteht nun darin, in weitere Technologiebereiche vorzustoßen und die Line-Card zu erweitern. Zudem setzt Rijswijk nicht nur auf organisches Wachstum, sondern sucht ausdrücklich nach Übernahmekandidaten. Was, wie er zugibt, auch nicht ganz einfach sein wird: »Die Unternehmen, die in Frage kämen, müssten unser Technologieportfolio gut ergänzen und sie müssten natürlich auch von der Unternehmenskultur passen.« Am liebsten wären ihm Übernahmen im Ausland, was dann auch gut zu dem Ziel passen würde, neue Standorte in Europa zu eröffnen.
Doch nicht alles ist neu an der Strategie: »Man kann uns weiterhin mit einer Gemeinschaftspraxis vergleichen, die Spezialisten aus verschiedenen Fachdisziplinen hat. Und nun wollen wir sogar noch tiefer in die Technologie vordringen und unser Lösungsgeschäft ausbauen«, so Rijswijk. Das sei besonders für Kunden interessant, die sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren wollen und deshalb erwarten, fertig entwickelte Subsysteme zu bekommen, die sie einfach in ihre Geräte einbauen können, ohne sich um Technologien kümmern zu müssen, die ihnen keine Wertschöpfung bringen. »Dazu sind wir mit unserer eigenen Entwicklungsabteilung bereits sehr gut positioniert«, ist er überzeugt.
Ein Beispiel dafür sind die Displays. »Von den Materialien und Glas, das wir über unsere Partner in Europa und Asien beziehen, über die Stecker und Gehäuse bis hin zu vollständigen HMI-Systemen erstrecken sich unsere Kompetenzen«, erklärt Rudolf Sosnowsky, CTO der Hy-Line Technology.
Umfassende Kompetenzen sind auf diesem Gebiet auch erforderlich, denn die Hersteller entwickeln sie in Hinblick auf hohe Stückzahlen – also den Consumer-Markt. Sosnowsky: »Diese Produkte müssen wir dann wieder auf die Anforderungen der professionellen Marktsektoren wie Industrie und Medizin anpassen, was nicht trivial ist.«
Am liebsten ist es ihm, mit den Kunden von Anbeginn eines Projekts zusammenzuarbeiten und tief ins technische Gespräch einzusteigen. Was erwarten sie sich genau von dem Bildschirm? Muss er bei Tageslicht arbeiten und müssen Spiegelungen auf jeden Fall vermieden werden? Welchen Umwelteinflüssen ist er ausgesetzt? »Die Kunden möchten selbstverständlich immer einen schicken Bildschirm, wie sie ihn von den Smartphones und in ihrer häuslichen Umgebung kennen«, weiß Sosnowsky. »Doch die Anforderungen im professionellen Umfeld sind eben andere.«
Das kann so weit gehen, dass den Bildschirmen in der Medizintechnik auch Blut oder andere Körperflüssigkeiten nichts anhaben dürfen. Zudem verfügt Hy-Line über tiefgehende Kenntnisse in der Touchscreen-Technik. »Unsere Spezialisten übernehmen auch die Feinabstimmung der Touchscreens, das ist ein wichtiger Punkt«, erklärt Sosnowsky. Weil ein sehr enger Kontakt zu den Zulieferern besteht, könnten die Ingenieure von Hy-Line in 98 Prozent der Fälle alle Probleme rund um die Displays im eigenen Haus lösen.
Sehr wichtig ist auch, dass Hy-Line den gesamten Zertifizierungsprozess als Dienstleistung übernehmen kann. Wie dies im Detail geschieht, wo die Mitarbeiter von Hy-Line nur beraten oder begleiten, hängt jedoch von den Anforderungen des Kunden, des Projekts und dem Anwendungsbereich ab. In vielen Branchen ist es für die Anwender wichtig, fertig zertifizierte Systeme zu erhalten und sich den eigenen Zertifizierungsaufwand sparen zu können, um etwa Systeme zu erhalten, die den EMV-Richtlinien entsprechen.
Dasselbe trifft auch auf die weiteren Subsysteme zu, beispielsweise auf die Lithium-Ionen-Batterien. Auf Basis von HY-Di (Hy-Lines eigenes Batteriesystem) können die Entwickler der Kunden ein arbeitsfähiges System zusammenstellen. Die Entwickler können dann zusammen mit den Applikationsingenieuren von Hy-Line auf dieser Basis genauer ermitteln, wie das kundenspezifische System schlussendlich aussehen soll.
Über das Geschäft mit den kundenspezifischen Entwicklungen generiert Hy-Line derzeit 20 Prozent des Umsatzes, »mit stark steigender Tendenz«, wie Jeroen Rijswijk erklärt. Das freut ihn besonders, weil die Wertschöpfung und die Margen dort höher liegen als im reinen Distributionsgeschäft. Hier sieht er eine der Stärken von Hy-Line. » Früher haben wir uns im Lösungsgeschäft nur auf Bildschirme konzentriert; seit unserem Zusammenschluss haben wir auch unsere anderen Technologiebereiche integriert. Dass wir ein so gutes und enges Verhältnis zu unseren Lieferanten in Asien haben, trägt wesentlich dazu bei«, so Rijswijk. In der Medizinelektronik reicht der Bedarf von den Displays und der Visualisierung der Daten über das Messen der Körperfunktionen und der Vitalparameter bis zur Funkanbindung, stationären Stromversorgung und der Versorgung über Batterien. Die Batterien sind besonders wichtig, weil viele medizinische Geräte heute so weit wie möglich portabel sein sollen.
In der Medizintechnik kommt es aber auch auf die Vernetzung der verschiedenen Geräte und auf die Verteilung der Daten an. Hierauf hat Hy-Line einen weiteren Schwerpunkt gelegt, etwa wenn es um Live-Aufnahmen aus dem Operationssaal geht. »Dafür bieten wir z. B. die Video-over-IP-Technologie an, mit der Daten weltweit verteilt und gemanagt werden können«, erläutert Rijswijk. Das sei ein schöner Wachstumsmarkt, allerdings mit einer Einschränkung: Die Entwicklungen dauern lange, »mindestens drei Jahre, bis Muster verfügbar sind. Und bis die Serienproduktion aufgenommen werden kann, dauert es noch einmal, es ist also ein langer Atem erforderlich«.
Und welche Technologien sieht Hy-Line als die Treiber für zukünftiges Wachstum an? Da fallen Jeroen Rijswijk und Rudolf Sosnowsky gleich mehrere Bereiche ein. Im Zuge der Elektrifizierung von Fahrzeugen und der dafür benötigten Instrastruktur kommt der Leistungselektronik eine immer höhere Bedeutung zu, insbesondere den relativ neuen Bauelementen aus GaN und SiC. Quer durch viele Branchen und Sektoren kommt es darauf an, nicht nur viele, sondern auch möglichst genaue Daten zu sammeln, sodass viele Sensoren und vor allem viele Kombinationen von verschiedenen Sensoren die erforderlichen Daten in der erforderlichen Qualität liefern können. Besonders in rauen Produktionsumgebungen wird künftig Augmented Reality eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Es muss nicht immer gleich die AR-Brille sein. Sehr hilfreich könnten laut Rudolf Sosnowsky transparente Displays in den Abdeckhauben der Produktionsmaschinen sein. Sie sind bis zu 40 Prozent transparent, sodass die Bediener sehen, was in der Maschine vor sich geht; gleichzeitig können virtuelle Bilder eingeblendet werden, um dem Bediener zusätzliche Informationen zu geben.
Und quer durch alle Bereiche zieht sich die Technologie, die nach Ansicht der meisten Experten das Potenzial hat, die Art und Weise, wie künftig produziert wird, von Grund auf zu ändern: künstliche Intelligenz. »Die KI wird auch bei uns eine enorme Rolle spielen«, ist Sosnowsky überzeugt.
Unabhängig davon, wie sich all die Zukunftstechnologien in der Realität entwickeln werden, zeigt dies auf jeden Fall: An Möglichkeiten, in neue Technologiefelder vorzudringen, dürfte angesichts der bekannten Megatrends kein Mangel herrschen, wie Sosnowsky erklärt. »Insgesamt kommt uns dabei entgegen, dass wir eine schlagkräftige Truppe mit viel Erfahrung sind, die sehr agil auftritt – wir wollen durch Kompetenzen überzeugen und nicht über den Preis.« Deshalb ist auch Rijswijk überzeugt, mit der neuen Struktur jetzt so richtig durchstarten zu können. Da wird sich auch der Investor freuen.