Erklärbare KI im Sondermaschinenbau

Die KI kaschiert nachvollziehbar

31. Mai 2022, 15:58 Uhr | Ute Häußler
Beim Kaschieren von Profilen arbeiten bis zu 47 Roboter zeitgleich, die KI soll diesen Fertigungsprozess nachvollziehbar optimieren.
© Düspohl

Der mittelständische Maschinenbauer Düspohl setzt mit Fraunhofer IEM auf erklärbare künstliche Intelligenz für das Rüsten in einem komplexen Produktionsprozess. Markt&Technik sprach mit Geschäftsführer Uwe Wagner über den Einsatz und Nutzen von KI in der Fertigung sowie den schwierigen Weg dahin.

Herr Wagner, welche Art Maschinen produziert Düspohl und wer sind Ihre Kunden?

Uwe Wagner: Wir bauen Sondermaschinen für die Ummantelung von Paneelen, Leisten und Rahmen. Die Kaschiermaschinen können jede Art Werkstoff – von Kunststoff über Sperrholz bis MDF – mit einer Art Folie veredeln. Unsere Kunden sind zum Beispiel Fensterhersteller: Im Baumarkt können Sie dann Kunststoff-Fenster »Golden Oak« kaufen, die dank unserer Maschinen wie Holzfenster aussehen und sich auch so anfühlen.

Wie geht die Produktion, also das Kaschieren der Profile, vonstatten?

Um die Konturen zu ummanteln, werden die Maschinen so eingestellt, dass sie die Profile mit der gewünschten Folie »tapezieren«. Rollen in verschiedenen Formen und Größen werden dafür so platziert, dass sie beim Aufbringen der Folie die Luft von innen nach außen rausstreichen; ein Fenster muss ja glatt aussehen und darf keine Blasen haben. Die Ummantelungsrollen müssen eine bestimmte Reihenfolge durchlaufen und genau aufeinander abgestimmt sein. Das Ergebnis muss auch bei komplexen Profilen mit vielen Ecken tipptopp und faltenfrei sein, das Fenster soll ja aussehen wie aus dem Baumstamm gehobelt.

Welches Grundproblem soll künstliche Intelligenz in Ihrer Fertigung lösen?

Die Hauptfrage ist immer: Wie setze ich die Rolle? Den Beruf des Kaschierers gibt es nicht, das Wissen wird weitergegeben. Rollensetzen ist ein extrem komplizierter und langwieriger Prozess mit erheblichen Ausschussraten. Die Werker müssen die Rollen in Abhängigkeit von der Form, der Flexibilität der Folie, des Klebstoffs und weiterer Kriterien wie etwa der Temperatur ans Profil setzen. Dafür ist unendlich viel Verfahrens-Know-how und Erfahrung des Ummantelers notwendig. Es gab lange kein festgelegtes Regelwerk, da hieß es oft einfach »Das muss so«. Die KI soll das ändern.

Ohne Regelwerk ist weder Automatisierung noch der Einsatz künstlicher Intelligenz möglich.

Richtig. Wir haben uns im Jahr 2000 gefragt: Wie können wir automatisieren? Kunden hatten den Wunsch nach einem schnelleren und zielgerichteten Rüstprozess geäußert, mit niedrigeren Ausschussraten und auch deutlich weniger Abhängigkeit vom einzelnen Werker. Ich habe das Kaschieren dann zunächst selbst gelernt. Ich wollte genau verstehen, worauf es ankommt und welche Regeln und Faktoren wichtig sind.

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»Die künstliche Intelligenz ist in der Lage, das Regelwerk zu erkennen, und kann sich das Wissen des Ummantelers aneignen.«
© Düspohl

Wie sind die ersten Automatisierungsschritte mit Robotern bis zum Einsatz von künstlicher Intelligenz heute verlaufen?

Wir haben gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut IEM hier in Paderborn zunächst kleine Mitsubishi-Roboterarme angeschafft und ein Programm geschrieben, welches die Zielkoordinaten der Rolle ansteuert. Der Mensch muss dabei zunächst vorgeben, wo die Rolle hinsoll – jede Bewegung, jeder Winkel, jede Rotation wird gespeichert.
Dazu kommt: Rollen verschleißen, bekommen Rillen, der Gummi nutzt sich ab. Ein automatisiertes System muss im zweiten Schritt also auch Kenntnis über den aktuellen Zustand der Rollen haben; die Kontur wird jetzt vor jedem Rüstvorgang per Laser vermessen und mit dem CAD-Modell einer neuen Rolle abgeglichen. Für die fühlbare Maserung einer Holzoptik muss ebenso die Härte des Gummis korrekt gewählt werden.
Heute prüft die Maschine zu Beginn des Rüstens die jeweiligen Vorgaben für das Profil: Wie muss die Rolle aussehen? Welche Gummihärte wird benötigt? In welchem Fach lagert die passende Rolle? Sie sucht dann die richtige Rolle aus dem Magazin und passt nach der initialen Montage durch einen Werker die Einstellungen dafür an.

Wie viele Roboter müssen in der Kaschiermaschine synchron laufen?

Jede Rolle entspricht einem Roboter. Unsere größte Maschine arbeitet mit 47 Sechs-Achs-Robotern. Mitsubishi wollte damit sogar schon ins Guinness-Buch der Rekorde. Ursprünglich waren die Roboter auch nicht dafür entwickelt, feste Positionen anzufahren. Die Schwierigkeit liegt in der Synchronisation der Bewegung der Roboterarme In Echtzeit. Die Feststellung und Anpassung »Wo ist welcher Roboter gerade« frisst extrem viel Rechenkapazität.

Wie hilft die Automatisierung und die KI, den Rüstprozess zu beschleunigen?

Das automatisierte Rüsten mit KI-Unterstützung lässt die Rüstzeit von eineinhalb Stunden auf zehn Minuten sinken. Der Vorteil: Es ist nur ein Mitarbeiter nötig, der Vorgang ist anschließend beliebig oft wiederholbar und auch Nicht-Experten können das Auftragsschema in der Folge abrufen. Für den Hersteller der Profile bedeutet dies weniger Abhängigkeit vom Personal, was gerade in Pandemie-Zeiten wichtig ist, und natürlich einen viel schnelleren Rüstprozess. Das ist insbesondere wichtig, da die Diversität der Aufträge zunimmt, Losgröße 10 ist keine Seltenheit mehr. Damit entsteht mehr Rüstaufwand, der Ausschuss muss reduziert und der Initialaufwand so klein wie möglich gehalten werden.

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In der Kaschiermaschine können Profile, Rahmen und Leisten mit einer Art Folie überzogen werden. Plastikfenster wirken dann wie aus Holz gemacht.
© Düspohl

Wird KI den Job des Ummantelers überflüssig machen?

Momentan braucht der Hersteller immer noch einen erfahrenen Menschen, welcher der Maschine die Ersteinstellung und die Vorgaben gibt. Aber: wir haben die Daten. Die Maschinendaten sind digital am PC verfügbar, die Meldungen über Positionen und Kriterien erhalten wir als Datensatz. Die künstliche Intelligenz ist also in der Lage, das Regelwerk zu erkennen, und kann sich damit das Wissen des Ummantelers aneignen. In der ersten Instanz soll die KI durch die Analyse der Rüstpläne den Ummanteler ersetzen – wir haben da bereits vielversprechende Algorithmen und gehen bald in Testläufe. Darin inkludiert ist auch die Vorhersage des Rollenverschleißes. Anhand von Gebrauch, Laufmetern, dem regelmäßigen Scan sowie den Kriterien der Beanspruchung kann vorhergesagt werden, wann der Hersteller neue Rollen bestellen muss.

Was soll die »erklärbare KI« in Kooperation mit dem Fraunhofer IEM zusätzlich bewirken?

Im aktuellen Projekt »ExplAIn« ist es das Ziel, dass die künstliche Intelligenz in Zukunft selbst entscheidet, was das System lernen soll. Welche Daten sind relevant, was ist vernachlässigbar? Das spart Rechenleistung. Als Folge des ExplAIn-Projektes kann die KI dann während des Prüfprozesses Empfehlungen und Hinweise geben. Der Mensch muss dann nur noch bei kritischen Entscheidungen ins Boot geholt werden, ein erfahrender Bediener führt dementsprechend nötige Anpassungen durch.

Wie schlägt sich dieser Roboter- und KI-Service in Ihrem Geschäftsmodell nieder? Wieviel Ersparnis erreichen Ihre Kunden in der Produktion?

Diese zusätzlichen Fähigkeiten werden in den Kaufpreis der Maschine, der rund 1,1 Millionen Euro beträgt, und in die Wartung integriert. Wir haben mit diesen Funktionalitäten ein absolutes Alleinstellungsmerkmal am Markt. Derzeit befinden wir uns mit einem großen Kunden im Testbetrieb, zusammen mit 21 Maschinen eines Mitbewerbers und zwei unserer Standard-Anlagen. Und obwohl der RoboWrap noch nicht final abgenommen ist, erreicht er bereits rund 30 Prozent der gesamten Produktionskapazität. Das heißt, ein RoboWrap könnte bis zu sieben herkömmliche Kaschiermaschinen ersetzen. Bei drei Mitarbeitern pro Maschine im Vier-Schicht-Betrieb entspricht das 84 Werkern pro Tag.

Mit dieser KI-Entwicklung geben Sie ein gutes Beispiel dafür ab, wie der deutsche industrielle Mittelstand seine Expertise auch digital nach vorn bringen kann. Wie haben Sie das gemacht?

Die Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut hier vor Ort in Paderborn besteht schon seit den ersten Automatisierungsgedanken; wir sind alle Schritte von der Automatisierung über die Roboter bis zur KI zusammen gegangen. Das inkludiert viel Unterstützung und Förderung durch das Bundesministerium für Wirtschaft. Aber die wollen natürlich wissen, dass wir es ernst meinen. Grob gesagt müssen wir als Unternehmen für jeden Förder-Euro einen weiteren Euro in die Hand nehmen. Wir setzen zusätzlich zu den Forschungsgeldern und der Fraunhofer-Unterstützung viel Manpower, Material und Geld ein, um die Projekte nach vorn zu bringen – die ganze Initiative ist sehr managementgetrieben und -motiviert. (uh)


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