Anforderungsmanagementsystem bei Balluff

Codebeamer unterstützt bei flexibler Entwicklungsarbeit

26. August 2024, 11:28 Uhr | Von Ralf Steck
Im Sinne von Industrie 4.0 nutzt Balluff Digital Twins seiner Kommunikationsmodule.
© Balluff

Die Einführung neuer Tools und Prozesse in Unternehmen ist schwierig – aber bei Industrie 4.0 geht es auch darum, veraltete Tools durch neue, aufgabengerechte zu ersetzen, wie die Ablösung von Word-Dateien beim Sensorhersteller Balluff durch Codebeamer von PTC für das Anforderungs-Management zeigt.

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Balluff mit Hauptsitz in Neuhausen auf den Fildern (nahe Stuttgart) bietet Sensoren und andere Komponenten an, die vor allem in der industriellen Automatisierung zum Einsatz kommen. Über 3900 Mitarbeiter entwickeln, fertigen und vertreiben die Balluff-Komponenten weltweit.

Der Softwareanteil im Balluff-Portfolio nimmt seit Jahren immer stärker zu, weshalb sich das Unternehmen im Jahr 2017 mit der Akquisition der iss innovative software services GmbH die entsprechende Kompetenz ins Haus holte. Die iss ist innerhalb der Gruppe für die Softwareentwicklung zuständig. Schon vor dem Zusammenschluss adressierte sie als wichtigste Kundengruppe die Automobil- und Zulieferindustrie. So brachte iss viel Erfahrung beispielsweise mit Embedded Systems in der Automobilindustrie in die Balluff Group. Bei iss arbeiten 50 Mitarbeiter.

Zu den Aufgaben von Dr. Isabelle Faus, Head of Software Methods, Tools and Products bei iss, zählt die Entwicklung und Umsetzung agiler Zusammenarbeit, von Tools und Methoden für die Softwareentwicklung sowie die Integration und Adaption agiler Methoden und Prozesse in klassische Entwicklungsprojekte.

Vor sechs Jahren war eine Microsoft-Word-Vorlage, die minimale Vorgaben und Strukturen enthielt, die Basis für das Anforderungsmanagement bei Balluff. Im Word-Dokument aus dieser Vorlage sammelte der Produktmanager Daten aus Vorgängerdokumenten sowie »alles, was ihm sonst noch so einfällt«, wie Dr. Isabelle Faus sagt. Das Dokument diente dann als Lastenheft und wurde durch Abspeichern in einem anderen Verzeichnis zum Pflichtenheft.

Diese Word-Dokumente hatten laut Dr. Isabelle Faus schwerwiegende Nachteile. So konnten in der Abstimmung zwischen Vertrieb, Produktmanagement und Konstruktion von jedem Beteiligten Anforderungen geändert werden, ohne dass dies allgemein kommuniziert wurde. Systematisches, anforderungsbasiertes Testen war nicht möglich, ebenso gab es keine Transparenz über den Projektstatus. Reviews mussten immer an einem zentralen Ort mit allen Beteiligten durchgeführt werden, was zusätzlichen Abstimmungsbedarf und Zeitverzögerungen zur Folge hatte.

In dieser Zeit wuchsen das Produktportfolio und die Variantenvielfalt immer schneller, was nur durch eine stärkere Wiederverwendung und Familienbildung zu bewältigen war. Gleichzeitig forderte das Management höhere Qualität und kürzere Entwicklungszeiten. Logische Folge wäre die Nutzung von Synergien und Bausteinen, was wiederum hohe Ansprüche an das Anforderungsmanagement stellt.

Denn nun zeigte sich die Nachteile der bisherigen Lösung noch stärker: Ein Portfolio-Programm, in dem jede Variante ein eigenes Projekt-Lastenheft hat, brachte die Word-Lösung an ihre Grenzen, auch wenn mithilfe einer zentralen Excel-Liste mit übergreifenden Anforderungen an das neue Portfolio Ordnung in die Struktur gebracht werden sollte. Fragen wie »Welche Anforderungen der zentralen Liste gelten für welches Projekt?« oder »Wie ist der Umsetzungsstatus der zentralen Anforderungen pro Projekt?« ließen sich nicht oder nur mit großem Aufwand beantworten.

Die wichtigsten Merkmale für ein systematisches toolbasiertes Anforderungsmanagement wurden identifiziert:

• zentrale Bibliothek
• zentrale Veränderungen für alle Projekte
• Item-basiertes, unabhängiges Arbeiten und Review
• Status-Workflows mit Berechtigungskonzept
• Nachverfolgbarkeit der Inhalte und gute Übersicht
• komfortable Filter- und Suchfunktion

In einer Evaluation von Anforderungs-Management-Systemen kristallisierte sich das ALM-System Codebeamer (Application Lifecycle Management) von PTC schnell als Favorit heraus, weil bei iss und Balluff schon Erfahrungen mit dem Produkt vorhanden waren. Zudem brachte das System die nötige Flexibilität bei der Definition von Workflows mit. Das flexible Rechtekonzept ermöglicht es, Verantwortlichkeiten sauber abzubilden, und nicht zuletzt ist es in Codebeamer einfach, Projektvorlagen zu erstellen. Es wurde daraufhin beschlossen, Codebeamer bei einigen Projekten testweise einzusetzen.

Gerade der letzte Punkt half, die vorhandenen Beharrungskräfte mancher Mitarbeiter zu überwinden. Denn die Erstellung der Projektvorlagen stellte große Anforderungen an die Beteiligten – vergaß man beispielsweise eine wichtige, regionale Kompatibilitätsanforderung, konnte dies im weiteren Verlauf große Probleme nach sich ziehen. Codebeamer bietet hier die Möglichkeit, Bibliotheken aufzubauen und diese nach bestimmten Merkmalen zu aktivieren. Beispielsweise kann ein Mitarbeiter als Verkaufsland »USA« und als Anwendungsbereich »Lebensmittelkontakt« auswählen, daraufhin werden die entsprechenden Standards automatisch ausgewählt und ins Pflichtenheft übernommen. Dort müssen sie noch einem Review unterzogen werden, aber die Gefahr, rechtlich vorgeschriebene Anforderungen zu vergessen, ist sehr gering.

Ein wichtiger Gesichtspunkt solcher Bibliotheken ist die Wiederverwendbarkeit: Anforderungen aus Standards brauchen nur einmal definiert werden, danach stehen sie immer wieder zur Verfügung. Das fördert zudem die Vereinheitlichung, steigert die Qualität und beschleunigt den Prozess.

Anforderungs-Management-Systeme wie Codebeamer von PTC sind in vielerlei Hinsicht eine Hilfe.
Anforderungs-Management-Systeme wie Codebeamer von PTC sind in vielerlei Hinsicht eine Hilfe.
© Gorodenkoff / stock.adobe.com; PTC

Die Pilotprojekte zeigten, dass Codebeamer für seine Aufgaben bei Balluff geeignet ist. Lasten- und Pflichtenhefte sind nun getrennte, aber miteinander verlinkte Dokumente, die in einen sinnvollen Workflow eingebettet sind. Die generische Bibliothek mit vorgegebenen Lasten und Pflichten ist erstellt, Codebeamer ist etabliert, Workflows sind definiert, und die Anwender sind geschult – eigentlich eine optimale Ausgangslage für die weitere Etablierung des Systems.

Es zeigten sich mit der Zeit allerdings einige Punkte, an denen das Konzept nicht so aufging, wie es geplant war: Codebeamer wird genutzt, die Vorteile sind Vielen aber noch nicht ganz klar. Die Schulung hatte für alle Mitarbeiter am selben Tag stattgefunden, manche begannen danach früher mit der Codebeamer-Nutzung, manche später. Vor allem Letztere hatten bis dahin vieles vergessen und taten sich entsprechend schwer. In den generischen Bibliotheken steckt nach wie vor viel unausgeschöpftes Potential; Themen sind nicht beendet, zu kompliziert oder wurden noch gar nicht angegangen. Schließlich nutzen nur wenige Freiwillige ein systematisches Testmanagement.

Dabei geriet das Projekt zeitweise aus dem Fokus, das Projektteam trennte sich und arbeitete an anderen Projekten, auch von der Geschäftsleitung wurde die Anfrage für ein Folgeprojekt mehrmals verschoben, andere Projekte erforderten mehr Aufmerksamkeit. Doch tatsächlich veränderten sich in letzter Zeit wieder die Rahmenbedingungen, und das Projekt »Requirements Engineering 2.0« wurde gestartet.

Im Fokus stand nun, dass alle Parteien möglichst schnell Erfolge sehen sollten. So wurde zunächst Feedback der bisherigen Erfahrungen eingeholt und dann gezielt für alle Beteiligten nach Vorteilen gesucht:

• Produktmanager: Welche konkreten Vorteile bietet das Lastenheft im Arbeitsalltag?
• Management und Projektleitung: tagesaktuelle Statusübersicht durch die integrierte Verknüpfung mit den Prozessen
• Zulassungsabteilungen und Supply Chain: klarer Überblick
• Qualität: Steigerung durch systematisches, anforderungsbasiertes Testen in Codebeamer
• Entwicklung: Was genau bringt das Pflichtenheft mit sich? An welchen Stellen braucht es ausführliche Dokumentation?
• Wie können alle Kollegen wirklich von Standards profitieren?

Nach und nach werden nun diese Themen adressiert und beispielsweise mit gezielten Schulungen unterstützt. Dr. Isabelle Faus fasst zusammen: »Man benötigt ein Team mit den passenden Fähigkeiten, einen klaren Auftrag und einen flexiblen Plan mit Etappenzielen. Wichtig ist es, den Kollegen schnell Vorteile bieten zu können. Und nicht zuletzt braucht es ein Tool, das diese Herangehensweise und die Bedürfnisse des Nutzers unterstützt – so wie Codebeamer.«

Der Autor:
Dipl.-Ing. Ralf Steck ist freier Fachjournalist für die Bereiche CAD/CAM, IT und Maschinenbau in Friedrichshafen.


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