Angesichts der unsicheren Weltlage und der Klimaerhitzung wird die Digitalisierung im Sinne der Industrie 4.0 vom »nice to have« zum »must have«: Sie hilft dabei, beidem entgegenzuwirken – im Rahmen dessen, was einzelne Unternehmen tun können.
Zwölf Jahre nach jener Hannover Messe, auf der die Vision Industrie 4.0 erstmals in eine breitere Öffentlichkeit gelangte, zeigte die diesjährige Veranstaltung, wie weit die Industrie auf dem Weg dorthin gekommen ist und welche Technologien für ein erfolgreiches Voranschreiten bereitstehen. Besonders weit fortgeschritten ist die digitale Transformation vor allem in größeren Unternehmen, wohingegen viele KMU noch Nachholbedarf haben. Und die nötigen Datenkommunikations-, Cloud-, Datenanalyse-, Robotik- und KI-Technologien sind vorhanden. Praxisbeispiele möglicher Use-Cases und Geschäftsmodelle gibt es ebenfalls zur Genüge. Insofern ist der Fachkräftemangel wohl das größte Hemmnis für die Digitalisierung. Aber selbst der lässt sich mittels Unterstützung durch Kompetenzzentren und Partnerunternehmen zumindest abmildern.
Die Gründe, die der digitalen Transformation entgegenstehen, sind also eher unternehmensintern, sprich: hausgemacht. Entscheidend sind nicht nur die Technologien und Business Cases, sondern auch und vor allem die Menschen und Prozesse, die für ihre Einführung und Umsetzung erforderlich sind. Ohne eine auf das jeweilige Unternehmen zugeschnittene Strategie und deren stringente Verwirklichung wird so manche Digitalisierungsinvestition ins Leere laufen und werden die gewünschten Produktivitätsfortschritte ausbleiben. Es braucht klare, von allen Abteilungen des Unternehmens geteilte Ziele, einen entsprechenden Masterplan und ein Change Management, das sowohl die Organisation der Prozesse als auch die Denkweise der Mitarbeiter im Blick hat und diese mitnimmt. Und es braucht ein lückenloses Cybersecurity-Konzept – in unruhigen Zeiten wie den jetzigen ganz besonders.
Apropos unruhige Zeiten: Innerhalb von zwölf Jahren Industrie 4.0 hat sich die Weltlage grundlegend geändert. Die Corona-Pandemie sowie der Krieg Russlands gegen die Ukraine haben Lieferketten nachhaltig gestört und für allerlei Knappheiten gesorgt, die wiederum die Inflation in die Höhe getrieben haben. Mehr noch: Die gesamte Weltordnung, die seit dem Ende des Kalten Krieges zwischen der Nato und dem Warschauer Pakt Gültigkeit hatte, ist aus den Fugen geraten und wird abgelöst von einer neuen, deren Grundzüge sich derzeit herauskristallisieren: Zwischen den USA und China ist ein neuer Kalter Krieg um die Vormachtrolle in der Welt entbrannt, dessen Intensität eher noch zunehmen dürfte, mitsamt immer wieder anschwellender Spannungen um Taiwan; Russland wird auf absehbare Zeit ein imperialistisch regiertes Land bleiben und für seine Nachbarländer eine Bedrohung darstellen; die internationalen Organisationen sind auf die veränderte Weltlage nicht vorbereitet; die Europäische Union hat keine erkennbare Strategie für den Fall eines erneuten Wahlsiegs von Donald Trump mit seinen absehbaren Folgen für das europäisch-amerikanische Verhältnis; die Klimaerwärmung schreitet erkennbar voran.
Dies ist der globale Rahmen, in dem die Industrie auf absehbare Zeit wirtschaften muss. Die Unternehmen stehen also unter dem Druck, ihre Bezugsquellen ebenso zu diversifizieren wie ihre Exportmärkte. Dafür leistet die Digitalisierung gute Dienste: Sie steigert, klug umgesetzt, nicht nur die Effizienz der Produktion, sondern verbessert und intensiviert auch die Beziehungen zu Kunden und Lieferanten; sie sorgt für transparente Lieferketten – und sie ermöglicht Unternehmen nicht zuletzt auch ein permanentes Monitoring, ob sie im Rahmen ihrer Energieeffizienzund Nachhaltigkeitsziele wirtschaften oder nicht.
Andreas Knoll
Leitender Redakteur
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