Auf der anderen Seite gilt die Kabeltechnik aber immer noch als teuer und für weite Strecken nicht geeignet. Allerdings muss ganz genau hinschauen, wie die jeweiligen Bedingungen aussehen. Was ganz wichtig ist: »Unsere HGÜ-Kabel darf man nicht mit 380-kV-Kabeln vergleichen, sondern sie entsprechen technisch eher 110-kV-Kabeln«, erklärt Kreusel. »In dieser Spannungsebene sind Kabel nicht Ungewöhnliches, in Städten wird das ja schon häufig gemacht.« Allerdings kosten die Kabel mehr als die vergleichbaren Freileitungen – aber der Unterschied ist nicht mehr ganz so groß. »Sind die Rahmenbedingungen günstig – für die Verlegung geeigneter Boden, wenig Steigungen im Gelände – und wenn eine HGÜ für die Leistung ausreicht, also unter für diese Technik optimalen Bedingungen, dann können wir bis auf einen Faktor 2 an die Freileitung heran kommen«, sagt Kreusel.
Weil aber viele immer noch vermuten, ein Kabel wäre von vorne herein zehn bis fünfzehn mal so teuer wie eine Freileitung, stoße dieses Konzept immer noch auf Skepsis. »Insbesondere durch unsere Projekte zur Anbindung von Off-shore-Windparks konnten wir zeigen, dass die neue Technik funktioniert, da liegt ein Kabel über lange Strecken einfach im Boden«, so Kreusel.
Das sei der Grund, dass sich die Energieversorger und die Netzbetreiber intensiv mit dem Thema beschäftigten. »Wir führen jetzt die Diskussion, was die möglichen Techniken betrifft, sehr offen, es gibt kaum noch Vorbehalte«, freut sich Kreusel. Es sei inzwischen Konsens, dass die HGÜ in Europa künftig eine Rolle spielen wird, das sah vor fünf Jahren eben noch ganz anders aus. »Dieser Meinungsumschwung innerhalb eines kurzen Zeitraums ist schon beeindruckend«, resümiert Kreusel. Auch wenn er bedauert, dass eine geplante HGÜ-Strecke in der aktuellen Planung des EnLAG leider herausgefallen sei: »Das ist eine verpasste Chance.«
Allerdings steht eines fest: Wenn das Gelände für die Verlegung von Kabeln weniger geeignet, wenn etwa größere Steigungen zu überwinden sind, dann kommt die Verlegung eines Kabels vergleichsweise sehr teuer, dann muss die HGÜ-Leitung mit den herkömmlichen Drehstromfreileitungen in Wettbewerb treten. »Eine HGÜ-Freileitung zu betreiben, ist ab ungefähr 500 km gegenüber einer Drehstromleitung wirtschaftlich günstiger«, so Kreusel.
Doch zurück zur selbstgeführten Stromrichtertechnik: Sie weist einen weiteren großen Vorteil auf, denn erst mit der selbstgeführten Stromrichtertechnik wurde es überhaupt möglich, Windparks zu vernünftigen Kosten ans Netz anzubinden. »Mit der klassischen HGÜ könnte man keine Windparks hochfahren«, erklärt Kreusel. Außerdem kommt ein weitere Effekt zum Tragen. Im Falle eines Fehlers im Netz kann die selbstgeführte Technik die Spannung über eine gewisse Zeit stabilisieren, eine klassische HGÜ würde sofort abschalten.
Ein weiter Vorteil: Mit der selbstgeführten Stromrichtertechnik lässt sich auf beiden Seiten der HGÜ-Leitung – unabhängig davon, ob es sich um Kabel oder Freileitungen handelt – eine voll ausgebildete Blindleistungskompensation (Static Var Compensation, kurz SVC) aufbauen, die das Netz stabilisiert.
Die selbstgeführte Technik eignet sich also ganz allgemein für die SVC in existierenden Drehstromnetzumgebungen. Weil die Solar- und die Windkraftwerke die Leistung fluktuierend ins Netz einspeisen, suchen die Netzbetreiber dringend nach Möglichkeiten, die Netze auch unter diesen schwierigen Bedingungen weiterhin stabil zu halten. Dazu eignet sich die Blindstromkompensation ideal. »Das hat der SVC-Technik im Bereich der Drehstromübertragung einen neuen Schub gegeben«, freut sich Kreusel.