Medical Taiwan 2019

»Technologischer Fortschritt muss auch zum Einsatz kommen«

12. Juli 2019, 8:30 Uhr | Frank Riemenschneider
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Fortsetzung des Artikels von Teil 1

KI und Big Data im realen Einsatz

Ohne KI, aber mit den weltweit höchsten Erfolgsraten bei der Implantierung von Cochlea-Implantaten (CI) kann Josha Kuang Chao Chen, Leiter der entsprechenden Abteilung am Far Eastern Memorial Hospital, aufwarten. Das System besteht aus einem Mikrofon, einem digitalen Signalprozessor, einer Sendespule mit Magnet und dem eigentlichen Implantat, das sich aus einem weiteren Magneten, einer Empfangsspule, dem Stimulator und dem Elektrodenträger mit den Stimulationselektroden zusammensetzt.

Die Elektroden werden in die Cochlea (Hörschnecke) eingeführt. Die Empfangsspule wird im Schädelknochen nahe der Ohrmuschel unter der Haut platziert. Die Sendespule des Prozessors haftet mithilfe der Magneten auf der Kopfhaut über der Empfangsspule des Implantats. Die Spannungsversorgung erfolgt durch die Kopfhaut mittels elektromagnetischer Induktion. Die Signalübertragung erfolgt mit Hochfrequenzwellen. Während andere Implantate erst nach sechs Wochen aktiviert werden können, (wegen Post-OP-Schwellungen und anderen Komplikationen), ist das von Chen entwickelte System bereits 1 Tag nach der OP einsatzbereit.

Start-up-Förderung durch die Regierung

Zurück zur Messe: In Hsinshu, dort wo auch die weltgrößte Foundry TSMC angesiedelt ist, wurde mit massiven Fördergeldern der Regierung ein Inkubator für Start-ups mit dem Schwerpunkt Healthcare aufgesetzt. Zwei Anwendungen stechen derzeit heraus: Die Firma Acroviz hat eine KI-basierende Anwendung entwickelt, die auf Basis von Neuronenstrukturen im Gehirn und deren Abbildungen in einem MRT-Bild bereits im Alter von 40-45 Jahren das Demenz-Risiko prognostizieren und mögliche proaktive Gegenmaßnahmen vorschlagen kann.

RedEye hat ein Gerät entwickelt, das Blut im Stuhl oder Urin erkennt. Blut im Urin beziehungsweise im Stuhl kann auf eine Erkrankung der Nieren oder der Blase hinweisen beziehungsweise ein Anzeichen für Darmkrebs sein. In Deutschland läuft die Darmkrebs-Früherkennung ja so ab: Männer zwischen 50 und 54 haben einmal im Jahr Anspruch auf einen Stuhltest beim Arzt und nach dem 55. Geburtstag alle zwei Jahre. Dieser wird von den Kassen auch bezahlt. Das RedEye-Gerät wird einfach in das Toilettenwasser getaucht, misst und speichert die Ergebnisse in der Cloud. Ist der Test positiv, fordert das Gerät den Anwender auf, den Test zu wiederholen und zum Arzt zu gehen. Der Selbsttest ist nicht nur billiger als der in Deutschland übliche Labortest, sondern kann auch öfter als 1x im Jahr angewendet werden, was zu einer kürzeren Reaktionszeit auf eine etwaige Erkrankung hin führt.

Die Firma Miko stellte ein System aus, mit dem dutzende Infusionen auf einer Station von einem zentralen Dashboard oder sogar per Smartphone-App überwacht werden können.  Die App zeigt für jede Infusion den Inhalt und den aktuellen Status (Restkapazität, Durchflußrate Ende in Minuten und Sekunden, Inhalt etc.) an. Die Daten können nach Patient oder verbleibender Restlaufzeit sortiert werden, die Übertragung erfolgt drahtlos und verschlüsselt.

Apropos App: In Taiwan kann jeder Mensch über das HIS (Health Information System) auf seinem Smartphone auf seine gesamten medizinischen Daten zugreifen. Selbst ganze CT-Scans können animiert in der App angezeigt werden, sodass auch der Hausarzt die Untersuchungsergebnisse aus der Klinik sieht. Der Patient kann ihm diesen Zugriff aber auch verweigern, denn er entscheidet, wer wann auf seine Gesundheitsdaten zugreifen kann.

Digitalisierung im Labor

Last but not least stellte das Taipeh City Hospital eine KI-basierte Anwendung für digitale Pathologie aus. Die digitale Pathologie umfasst die Erfassung, Verwaltung, Weitergabe und Interpretation von Pathologieinformationen - einschließlich Folien und Daten - in einer digitalen Umgebung. Digitale Dias werden erstellt, wenn Glasdias mit einer Abtastvorrichtung erfasst werden, um ein hochauflösendes digitales Bild zu liefern, das auf einem Computerbildschirm oder einer mobilen Vorrichtung betrachtet werden kann.

Mithilfe von automatisierten digitalen Pathologiescannern mit hohem Durchsatz ist es möglich, einen ganzen Objektträger unter Hellfeld- oder Fluoreszenzbedingungen in einer mit einem Mikroskop vergleichbaren Vergrößerung aufzunehmen. Digitale Folien können über Netzwerke mit speziellen Softwareanwendungen für die digitale Pathologie gemeinsam genutzt werden. Automatisierte Bildanalysetools können auch eingesetzt werden, um die Interpretation und Quantifizierung der Biomarkerexpression in Gewebeschnitten zu unterstützen.

Der rasante Fortschritt der WSI-Technologie (whole slide imaging), zusammen mit den Fortschritten bei Softwareanwendungen, LIS / LIMS-Schnittstellen und Hochgeschwindigkeits-Netzwerken, haben es ermöglicht, die digitale Pathologie vollständig in die Arbeitsabläufe der Pathologie zu integrieren. Pathologen haben so die Chance, schnell und unkompliziert, transparent und konsistent zu arbeiten. Das steigert Effizienz und Produktivität. Und in Zukunft? Da ermöglicht die digitale Pathologie eine verbesserte translationale Forschung, computergestützte Diagnose (CAD) und personalisierte Medizin umfassen.

Fazit

Gehe ich in München in eine der führenden Universitätskliniken, komme ich mir nach dieser Reise dort etwas wie in der Ära der Pferdekutschen vor. Nachdem die Politik in Deutschland ja über Dekaden glaubte, man brauche angesichts der Automobil- und Maschinenbau-Industrie hier keine IT mehr und diese nach Asien abgewandert ist, wird dort die IT-Expertise unter anderem im Gesundheitswesen bereits heute nicht nur organisatorisch sondern auch therapeutisch und diagnostisch eingesetzt. KI-Anwnedungen und Big-Data-Analyse findet man im realen Einsatz, jedes führende Krankenhaus hat offenbar dazu seine eigene Software-Schmiede im Haus. Medizin 4.0. heißt in Taiwan heute und jetzt.

 


  1. »Technologischer Fortschritt muss auch zum Einsatz kommen«
  2. KI und Big Data im realen Einsatz

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