Seit der Vorstellung der bioelektronischen Medizin im Fachmagazin Nature im Jahr 2013 und dem ersten Aufruf zur Einreichung von Forschungsideen von GSK hat sich eine rasch anwachsende wissenschaftliche Gemeinschaft gebildet, die die medizinischen Fragen und technologischen Herausforderungen des Forschungsfeldes zu lösen versucht [2]. Thomas Stieglitz von der Universität Freiburg sieht aber noch einige Hürden auf dem Weg zur Marktreife: »Die Anforderungen an Qualität und Dokumentation sind bei implantierbaren, aktiven Medizinprodukten hoch, die Stückzahlen im Vergleich zur klassischen Mikroelektronik gering«. Es müsse zudem über einen langen Zeitraum die Verfügbarkeit der Komponenten sichergestellt werden. Auch die geforderte Anzahl von Patienten in klinischen Studien sieht Stieglitz kritisch. Diese könnte vor allem jungen Unternehmen »im Hinblick auf die Kosten schnell das Genick brechen«.
Von elektrischen Pillen kann man bisher kaum sprechen. Bei den meisten Anwendungen handelt es sich um Mikro-Implantate, die dann zum Einsatz kommen, wenn Medikamente nicht mehr wirken. Warm anziehen muss sich die Pharmaindustrie also noch nicht. Im Idealfall versteht sie die Entwicklungen aber ohnehin nicht als Kampfansage. Denn von einem Machtkrieg zwischen Mikroelektronik und Pharma ist keinem Patienten geholfen. »Wenn jedoch komplementär oder unterstützend Elektozeutika einen Teil ihrer Versprechen einlösen, dann könnten Teile derjenigen Gruppen der oben genannten Erkrankten behandelt werden, die bislang als therapierefraktär eingestuft werden, « sagt Stieglitz und ergänzt: »Technisch werden sich Lösungen finden, die vielleicht weniger komplex sind als die versprochenen, die aber zu einer Steigerung der Lebensqualität führen können.« Mediziner und Techniker müssten dafür gemeinsam die Wirkmechanismen erforschen und erkennen. »Das wird parallel zu Anwendungen vor sich gehen wie jetzt schon bei der Tiefen Hirnstimulation für Patienten mit Morbus Parkinson.« Dort werde auch schon ein dramatischer Erfolg erzielt, obwohl noch nicht alle Details in den Mechanismen optimiert sind.
Quellen
[1] A. Stett: Bioelektronische Medizin. In: VDE Expertenbericht Biomedizinsche Technik (2015), S. 60 – 61
[2] T. Stieglitz, R. von Metzen, A. Stett: Bioelektronische Medizin – Eine Einführung in eine neue Disziplin (30.05.2018), https://www.microtec-suedwest.de/news-termine/newsuebersicht/item/1268-bioelektronische-medizin-eine-einfuehrung-in-eine-neue-disziplin (Stand: 29.01.2019).
[3] electronica Blog Team: Elektrozeutika: Strom statt Pillen (25.08.2016), https://blog.electronica.de/2016/08/25/elektrozeutika-strom-statt-pillen-2/ (Stand: 29-01.2019).
[4] S. von der Weiden: Stromstöße sollen Rheuma und Asthma heilen (18.08.2014), https://www.welt.de/gesundheit/article131331054/Stromstoesse-sollen-Rheuma-und-Asthma-heilen.html (29. 01.2019).
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Dieser Beitrag stammt aus der Medizin+elektronik Nr. 2 vom 26.03.2019. Hier geht’s zur vollständigen Ausgabe. |