Netzteile für die Medizintechnik

Nur mit Strom versorgen genügt nicht

6. Mai 2011, 10:13 Uhr | Frank Cubasch und Thomas Rieder

Dass es unter Umständen sogar lebensgefährlich für einen Patienten sein kann, wenn das medizinische elektrische Gerät, an das er angeschlossen ist, von einem Standard-Industrienetzteil versorgt wird, leuchtet ein. Ein Netzteil, das der Hersteller mit dem Label »Medizinnetzteil« bewirbt, ohne weitere Überlegungen in einem solchen Gerät einzusetzen, kann aber ebenso ernste Konsequenzen haben. Im Folgenden soll dies anhand der Isolationsklassen, der Luft- und Kriechstrecken, Performance-Kriterien sowie des Risikomanagementprozesses beleuchtet werden.

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Medizinische elektrische Geräte (ME-Geräte) kommen zum Beispiel in Arztpraxen, Ambulanzen, Krankenhäusern und Altenpflegeheimen zum Einsatz. Infolge dessen werden an die Stromversorgung medizinisch genutzter Geräte spezielle sicherheitstechnische Anforderungen gestellt. In Europa, USA sowie nahezu allen anderen Ländern gelten für die Entwicklung und den Betrieb von ME-Geräten sehr umfangreiche, teilweise ähnliche, gesetzliche Regelungen, Vorschriften und Normen. Die Sicherheit kann nur garantiert werden, wenn jede Komponente des Gesamtgerätes den entsprechenden Normen entspricht.

Im Gegensatz zu Standard-Industrienetzteilen sind die höheren Anforderungen zum einen dadurch begründet, dass bei Industrieanwendungen die Berührung der elektrischen Spannung regelrecht ausgeschlossen wird, während bei ME-Geräten dies teilweise erwünscht ist, beispielsweise bei einem Reizstrom-Therapiegerät oder einem Defibrillator. Ein weiterer Grund liegt in dem speziellen Schutzbedürfnis eventuell handlungsunfähiger Patienten.

Während ein gesunder Mensch durchaus in der Lage ist, sich gegen fließende Körperströme zum Beispiel durch Zurückzucken zu wehren, kann dies bei einem verletzten und eventuell bewusstlosen Patienten nicht angenommen werden. Der Patient kann des Weiteren durch die Einwirkung einer Narkose komplett handlungsunfähig sein beziehungsweise eine höhere Schmerzschwelle aufweisen und so potenzielle Körperströme schlechter wahrnehmen. Der Gesamtkörperwiderstand Z eines Menschen ist die Summe aus zwei Mal dem Hautwiderstand und dem Innenwiderstand des Körpers.

Bei einem Menschen geht man von einem Gesamtkörperwiderstand von ungefähr 2 kΩ aus. Da bei einem Patienten eventuell durch eine Operation oder einen Unfall die Haut entfernt oder verletzt wurde, fällt somit der schützende Übergangswiderstand der Haut komplett weg. In so einem Fall darf nur noch ein Wert von 1 kΩ angenommen werden. Bei Industriegeräten reicht es aus, die Grenzwerte dahingehend festzulegen, dass eine Gefährdung auszuschließen ist. Die hier zulässigen höheren Fehlerströme sind durch den Menschen deutlich, aber gefahrlos wahrnehmbar. Maximal ein kurzes schreckhaftes Zurückzucken ist meistens die Folge.

Im Medizinbereich ist dies nicht akzeptabel, so kann beispielsweise ein Zucken des Chirurgen während einer Operation durch eine »Elektrisierung« zu kritischen Situationen führen und somit den Patienten gefährden. Eine weitere Gefährdung im ME-Bereich entsteht, wenn elektrische Ströme durch zu gering isolierte elektrische Geräte direkt in den menschlichen Körper eingekoppelt werden. Bei fünf Prozent aller Patienten kann ein Strom von bereits 10 µA ein Herzkammerflimmern hervorrufen. Auch kann er zu Störungen von elektrischen Implantaten führen, zum Beispiel von Herzschrittmachern. Es entsteht also ein erhöhtes Schutzbedürfnis.

Verschiedene Isolationsklassen

Die strengen Richtlinien für die Sicherheit der Medizingeräte sind im Medizinproduktegesetz (MPG) geregelt. Dieses dient der Umsetzung des europäischen Rechts in die nationalen deutschen Vorschriften. Medizinische Geräte werden in drei Isolationsklassen der Anwendungsteile unterteilt. Als Anwendungsteil wird der Teil des ME-Gerätes bezeichnet, der direkt mit dem Patienten in Kontakt kommt. Nach der Isolationsklasse des ME-Gerätes richtet sich somit der maximal zulässige Erd- und Patienten-Ableitstrom der Applikation:

  • Die Isolationsklasse B klassifiziert Geräte, deren Anwendungsteil geerdet und nur für die äußere Anwendung am Patienten zugelassen ist.
  • Die Isolationsklasse BF bezeichnet Geräte, deren Anwendungsteil vom ME-Gerät isoliert ist und somit keine Erdung aufweist. Auch Geräte der Isolationsklasse BF sind nur für die äußere Anwendung am Patienten zugelassen.
  • Mit CF werden Geräte spezifiziert, die intrakardial verwendbare Anwendungsteile besitzen. Für diese Geräte bestehen die schärfsten sicherheitstechnischen Anforderungen. Nur Geräte, die der Isolationsklasse CF entsprechen, sind für die direkte Anwendung am Herzen geeignet.

Für die eingesetzten Netzteile ergeben sich somit spezielle Anforderungen hinsichtlich der zulässigen Ableitströme. Der Patientenableitstrom beziehungsweise Patientenhilfsstrom ist bei 100 µA (B, BF) und 10 µA (CF) zu begrenzen. Im Ersten Fehlerfall (zum Beispiel Unterbrechung des Schutzleiters) sind jeweils die fünffachen Werte zulässig. Die Messung erfolgt über eine Patientennachbildung mit einer festgelegten Impedanz. Auch werden an ein medizinisches Netzteil sehr hohe Anforderungen bezüglich EMV gestellt.

Magnetische und elektrische Störfelder können in ME-Geräten für Patienten lebens
gefährliche Störungen hervorrufen. So wird beispielsweise unterschieden, ob ein Netzteil in einer lebenserhaltenden Applikation (Beispiel: Herz-Lungen-Maschine) zum Einsatz kommt oder in einem Gerät zur Überwachung von Vitalfunktionen (Beispiel: Pulsoxymetrie) montiert ist. Ein kurzfristiger Ausfall, der nicht sicherheitsrelevant ist und vom Anwender erkannt wird, lässt sich hierbei tolerieren. Der Betrieb beispielsweise einer Herz-Lungen-Maschine hingegen muss dauerhaft sichergestellt sein. Auch gegenseitige Beeinflussung wird entsprechend geprüft.

Die hierbei heranzuziehende Norm ist die EN 60601-1-2. Dabei ist sowohl die Störaussendung (Emission) als auch die Störfestigkeit (Immunität) des Gerätes zu beachten. Drei wichtige Tests in diesem Zusammenhang sind die Prüfung auf Burst, Surge und Spannungseinbruch. Bei der Burst-Prüfung werden schnelle transiente Signale in das ME geleitet, wie sie zum Beispiel beim Schalten von Induktivitäten oder beim Prellen von Schaltern entstehen können. Die  Surge-Prüfung simuliert mittels Stromstoß einen Blitzeinschlag.

Bei der Prüfung auf Spannungseinbruch wird das Netz nach Normvorgaben für eine vorgegebene Zeit entweder komplett abgeschaltet oder reduziert. Bei allen diesen Prüfungen bewertet man das Betriebsverhalten des Prüflings (EUT). Es wird das Performance-Kriterium A, B oder C vergeben:

  • Performance-Kriterium A: Der Prüfling muss gemäß seiner Spezifikation unter dem Störeinfluss weiterarbeiten. Ein Ausfall oder ein Fehlverhalten wird nicht toleriert. Jedoch hat der Hersteller die Möglichkeit, die Betriebsqualität herabzusetzen.
  • Performance-Kriterium B: Während der Prüfung darf eine Beeinträchtigung des Betriebszustandes auftreten. Nach Beendigung der Prüfung muss sich ein bestimmungsgemäßer Betriebszustand nach der Spezifikation des Geräts selbstständig ohne Benutzer-eingriff wieder einstellen.
  • Performance-Kriterium C: Das Gerät weist während der Prüfung Funktionsstörungen auf. Der Benutzer muss nach Abschluss der Prüfung eingreifen, um das Gerät wieder in seinen normalen Betriebszustand zu setzen.

Größere Luft- und Kriechstrecken

Das Netzteil ist hierbei zum großen Teil für das Betriebsverhalten der gesamten Applikation verantwortlich. Setzt das Netzteil bei einer solchen Prüfung aus oder werden Störsignale ungefiltert durchgelassen, kann es den Zulassungsvorgang der kompletten Applikation gefährden. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal sind die einzuhaltenden Luft- und Kriechstrecken.

Bild 1: Um die gegenüber Industrienetzteilen deutlich größeren Luft- und Kriechstrecken einzuhalten, welche die IEC 60601-1 fordert, ist in diesem Fall der Trafo außen mit Klebeband umwickelt

Während für Industriegeräte, die nach IEC 60950 geprüft werden, bei Basisisolierung eine Luftstrecke von 2,0 mm beziehungsweise bei Kriechstrecken 2,2 mm vorgeschrieben sind, vergrößert sich der Abstand bei Medizingeräten, für welche die IEC 60601-1 gilt, auf bis zu 8 mm (Bild 1). ME-Geräte müssen im Gegensatz zu Industriegeräten allpolig gegen Überlast und Kurzschluss geschützt sein (Neutral- und Außenleiter; §8.11.5 der EN 60601-1).

Bei den medizinisch zugelassenen Netzteilen von Magic Power sind daher schon zwei Sicherungen im Eingang vorhanden. Der oder die Ausgänge des Netzteils sind mit Überlast-, Überspannungs- und Kurzschlussschutz in elektronischer Ausführung ausgerüstet. Je nach Kundenwunsch beziehungsweise Sicherheitsanforderung erfolgt die Rücksetzung automatisch oder durch Ausschalten der Versorgungsspannung.

Eine weitere Aufgabe des Netzteils ist es, die doppelte Isolierung zum Primärkreis herzustellen. Die Prüfspannung (Primär- zu Sekundärseite) wird bei doppelter oder verstärkter Isolierung von 3000 V (Wechselspannung; Industrie) auf 4000 V (Wechselspannung; Medizin) erhöht.

Es werden bei medizinisch genutzten Netzteilen auch spezielle Anforderungen an die verwendeten Isolationsmaterialien gestellt. Nach §8.8.4 der EN 60601-1 muss die Isolation feuchtigkeitsbeständig, brandbeständig, fest, dauerhaft und spannungsfest sein. Die Spannungsfestigkeit richtet sich nicht nach der Nennspannung sondern nach der tatsächlich auftretenden Spannung (Bemessungsspannung). Die Mindest-spannungsfestigkeit beträgt 500 V.

Risikomanagementprozess nötig

Ein gravierender Unterschied zu Geräten der Industrietechnik besteht auch hinsichtlich der Verpflichtung der Hersteller zur Führung eines Risikomanagementprozesses nach EN ISO 14971/21/. Darauf aufbauend muss der Hersteller eine Risiko-Nutzen-Abwägung im Bezug auf mögliche Nebenwirkungen seines Medizinproduktes erstellen. Dadurch soll verhindert werden, dass ein Medizingerät neben dem Nutzen auch unverhältnismäßig starke Nebenwirkungen aufweist und den Gesamtzustand des Patienten somit verschlechtert.

Die dritte Ausgabe der Medizingeräte-Grundnorm fordert die Beschreibung durch Schutzziele. Hierbei sollen die Risiken des Produktes systematisch analysiert, bewertet und kontrolliert werden. Dazu gehört beispielsweise auch, die laufende Produktion des ME-Gerätes durch qualitätssichernde Maßnahmen und eine lückenlose Dokumentation zu überwachen. Hier kann der Netzteilhersteller entsprechende Unterstützung bieten, indem er eine lückenlose Nachverfolgbarkeit der verbauten Elektronikkomponenten nachweist.

Tritt während des Produktionsprozesses oder im Betrieb ein Problem auf, lassen sich die betroffenen Geräte schnell ermitteln und Abhilfe schaffen. Dazu vergibt der Hersteller im Produktionsprozess des Netzteils zu Beginn eine Seriennummer, mit welcher sich der ganze Produktionszyklus inklusive aller Messwerte, Prüfberichte und verbauten Elektronikkomponenten nachverfolgen lässt.

Abschließend lässt sich sagen, dass ein Netzteil, das nach der EN 60601-1 geprüft und zugelassen wurde, zum Teil schärfere Tests durchlaufen muss als zum Beispiel in der EN 60950. Auch muss genau auf die Grenzwerte geachtet werden, wenn ein nach EN 60601-1 geprüftes Netzteil in ein System zur Lebenserhaltung eingesetzt wird. Eine reine Auswahl nach dem Kriterium »Medizinnetzteil« reicht hier nicht aus. Der Einsatz eines Industrienetzteils kann in einem Medizinge-rät unter Umständen für den Patient lebensgefährlich werden. Ein Medizin-etzteil ist eine speziell für eine bestimme Isolationsklasse (B, BF, CF) konstruierte und geprüfte Komponente und kann nicht durch eine Standardlösung ersetzt werden.

Über die Autoren:

Frank Cubasch (links) ist Geschäftsführer von Magic Power Technology und Thomas Rieder (rechts) ist dort Vertriebsingenieur.

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