Implantierbares Mikrofluidsystem

Miniaturpumpe regelt Augeninnendruck

29. September 2015, 9:18 Uhr | Ralf Higgelke
© Fraunhofer EMFT

Erhöhter oder zu geringer Augendruck beeinträchtigt unser Sehvermögen und führt im schlimmsten Fall zur Erblindung. Bislang gibt es keine langfristig wirksame Therapie für Glaukom und Phthisis bulbi. Forscher entwickeln derzeit ein implantierbares Mikrofluidsystem, des den Augeninnendruck wirksam und dauerhaft stabilisieren kann.

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Glaukom (»Grüner Star«) und Phthisis bulbi sind unheilbare und tückische Augenerkrankungen. Während beim Glaukom das Kammerwasser im Auge nicht richtig abfließen kann und der Augeninnendruck dadurch steigt, wird bei der Phthisis bulbi zu wenig Kammerwasser produziert. Das Auge schrumpft in sich zusammen. Beim Glaukom etwa schafft man bislang operativ einen zusätzlichen künstlichen Abfluss in der vorderen Augenkammer. Das Problem: Bei rund einem Viertel der Patienten kommt es nach dem Eingriff zu Vernarbungen, die den Kammerwasserabfluss behindern – der Augendruck steigt wieder, die Operation muss wiederholt werden. Im Fall einer Phthise wird dem Patienten dagegen in regelmäßigen Abständen Flüssigkeit wie etwa Hyaluronsäure ins Auge injiziert – eine unangenehme Prozedur, die ein Erblinden über kurz oder lang
dennoch nicht verhindern kann.

Forscher der Fraunhofer-Einrichtung für Mikrosysteme und Festkörper-Technologien EMFT arbeiten an einem neuen Therapieansatz: Im Projekt »MikroAug« entwickeln sie zusammen mit mehreren Mittelständlern ein aktives Implantat, das den Augendruck effektiv und dauerhaft regulieren soll. Das Implantat besteht aus einem Mikropumpensystem, einer sensorbasierten Pumpensteuerung, einem integrierten Akku zur kontaktlosen Energieversorgung sowie einem Telemetriemodul zur Datenübertragung. Es lässt sich direkt auf dem Augapfel aufbringen. »Das Implantat soll der Patient natürlich nicht spüren und auch die Augenbewegung darf nicht eingeschränkt werden«, meint Christoph Jenke, Projektleiter an der EMFT. Die Systemkomponenten mussten daher miniaturisiert werden. Mit einer Größe von nur 7 mm x 7 mm x 1 mm haben die Forscher eine biokompatible Silizium-Mikromembranpumpe mit einer Förderrate von maximal 30 µl pro Sekunde entwickelt. Je nach Krankheitsbild kann sie das Auge benetzen oder Kammerwasser abpumpen. Dabei nutzen die Experten die natürlichen Abflusswege im Auge, das Gewebe vernarbt nicht.

In regelmäßigen Überwachungszyklen kann der behandelnde Mediziner nach einer konventionellen Augendruckmessung ambulant die Flüssigkeitsmenge auf den gewünschten Wert einstellen. Langfristig soll das System mit einem implantierbaren Sensor kombiniert werden und sich so automatisch regeln. Der neue Therapieansatz ist nicht nur schonender für den Patienten, sondern bietet weitere Vorteile: So lässt sich der Augendruck exakter einstellen als bei medikamentösen Behandlungen oder Operationen. »Da bei der Phthise die fehlende Augenwasserproduktion der ausschließliche Krankheitsauslöser ist, sind wir optimistisch, den Krankheitsverlauf stoppen und das Augenlicht dauerhaft erhalten zu können«, so Jenke. »Unser Implantat imitiert quasi die natürliche Kammerwasserproduktion eines gesunden Auges«.

Projekt »innBW implant« 

Fingernagelgroße bioelektronische Mikroimplantate können das Nervensystem lokal elektrisch stimulieren und dadurch zur Behandlung von Schmerzen, Migräne und Depression eingesetzt werden, aber auch bei Diabetes oder Bluthochdruck wirksam sein. Sie stehen jedoch noch ganz am Anfang ihrer Entwicklung. Ein Forschungsverbund aus vier Instituten der Innovationsallianz Baden-Württemberg (innBW) will das jetzt ändern. Das auf 3,5 Jahre angelegte Forschungsprojekt heißt »innBW implant« und ist am 1. Juli 2015 gestartet. In Deutschland und Europa ist dies das erste Förderprogramm, das die bioelektronische Medizin mit öffentlichen Mitteln unterstützt.

Ziel ist, möglichst kleine, flexible, elektrisch aktive Implantate mit integrierter Sensorik und Aktorik aufzubauen, die geeignet sind, krankheitsrelevante Nervensignale zu messen und therapeutisch wirksam zu modulieren. Sie können insbesondere bei der Behandlung von Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes und zur Diagnostik, Therapie und Rehabilitation von Hirnerkrankungen eingesetzt werden. Bei der elektrischen Stimulation von Nerven, welche die Bauchspeicheldrüse versorgen, soll außerdem der Nachweis erfolgen, dass mit einem Implantat der Regelkreis zwischen Blutzuckerspiegel und Insulinausschüttung auf technischem Wege wiederhergestellt werden kann, um mit medizintechnischen Mitteln bestimmte Arten von Diabetes zu behandeln. Mit den gleichen technischen Ansätzen ist die Entwicklung eines Neuroimplantats für die Therapie und Rehabilitation nach Schlaganfall und Hirnverletzung geplant.

innBW, Tel. 07121/51530842, www.innbw.de


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