Datenverwaltung

Therapie 2.0?

13. April 2016, 8:55 Uhr | von Prof. Dr. Christof Weinhardt
© Karl Storz

Das wissenschaftliche und wirtschaftliche Potenzial großer Datenmengen und ihrer Nutzung in der Gesundheitsbranche ist enorm. Tagtäglich entstehen durch Röntgenbilder, EKGs, MRTs, Blutbilder und ärztliche Befunde mehrere Terabyte heterogene Daten. Wie kann aus »Big Data« »Smart Data« werden?

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Die Daten aus diversen Gesundheitseinrichtungen wie Krankenhäusern, Arztpraxen und Therapiezentren befinden sich meist ungenutzt und isoliert auf einzelnen Servern oder werden gar nicht erst gespeichert. Eine bessere Vernetzung, intensivere Verknüpfung kombiniert mit korrekter und vertiefter Analyse, Aufbereitung und Bereitstellung - der Prozess, der Big Data zu Smart Data macht - könnte hingegen das Gesundheitswesen insgesamt revolutionieren. Patienten wie auch Gesundheitseinrichtungen selbst würden von der Erforschung, der Entwicklung und den entsprechenden Techniken profitieren. Ob bei der Untersuchung von Erbkrankheiten, der Überwachung von Vitalparametern oder in der personalisierten Medizin: Die problemlose Verfügbarkeit relevanter personenbezogener Daten kann den Unterschied ausmachen, ob Krankheiten korrekt und rechtzeitig erkannt werden und eine Behandlung gelingt oder wertvolle Zeit verloren geht.

Gesundheits-Apps

Diagnosen wären früher möglich, Therapien erfolgsversprechender und Krankenhäuser könnten wegen der "veredelten" Daten - also Smart Data - effektiver und wirtschaftlicher arbeiten.

Aber auch die einzelnen Ärzte können mit intelligenten Daten eine bessere und vor allem individuellere Versorgung ihrer Patienten erreichen. Dabei helfen unter anderem Daten, die von Gesundheits-Apps generiert werden. Diese Apps, deren Anzahl stetig steigt, verfügen mittlerweile über die verschiedensten Funktionen: vom Zählen zurückgelegter Schritte über das Umrechnen verbrannter Kalorien bis zur Überprüfung von Hautveränderungen und Muttermalen. Die mobilen Anwendungen zeichnen diese gemessenen Daten rund um körperliche Gesundheit, Ernährung und Lebensstil auf. Diese Gesundheitsdaten können bei der Prävention und Behandlung von Krankheiten helfen. So ist es möglich, Patienten individuell zu informieren, zu beraten und sie medizinisch besser zu versorgen.

Auch ältere Menschen können von den Gesundheits-Apps profitieren. Einige Anwendungen für Smartphones verfügen über Erinnerungsfunktionen und zeigen dem Nutzer regelmäßig den Zeitpunkt für die Einnahme und die richtige Dosis des notwendigen Medikaments an.

Besonders für chronisch Kranke bieten Gesundheits-Apps eine Chance, den Alltag mit der Krankheit zu meistern. Patienten, die z. B. unter Diabetes, Bluthochdruck, Herzkrankheiten oder chronischen Schmerzen leiden, müssen regelmäßig ihre Vitalwerte messen und notieren. Um sich leichter an den Therapieplan halten zu können, helfen unter anderem Blutdruck- und Pulsmessgeräte, die an ein Smartphone angeschlossen werden können. Die gemessenen Werte werden auf dem Gerät gespeichert und sind jederzeit abrufbar. Denkbar ist, dass diese Daten in Zukunft zusätzlich an den behandelnden Arzt geschickt werden, sodass dieser den momentanen Gesundheitszustand seines Patienten auch aus der Ferne beobachten und somit schneller auf eventuelle Veränderungen reagieren kann. Diese Apps sind somit ein Frühwarnsystem. Zwar ersetzen die mobilen Anwendungen den Arztbesuch nicht komplett, die Anzahl der Untersuchungen aber können sie reduzieren.

Doch da alle im Gesundheitswesen anfallenden Daten - und damit auch solche, die aus Gesundheits-Apps generiert werden - stets datenschutzrechtlich sensible Informationen enthalten, muss ihre Verarbeitung und Bereitstellung höchsten Anforderungen in Bezug auf Datenschutz und Datensicherheit standhalten, was eine große Herausforderung ist. Deshalb müssen so schnell wie möglich entsprechend datenschutzkonforme Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit Smart-Data-Techniken ihr volles Potenzial entfalten können. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, sich stets die Fortschritte vor Augen zu halten, die durch IT-gestützte Analysetools in der Medizin erreicht werden können. Vor allem im Bereich der personalisierten Medizin finden sich gute Beispiele wie Smart Data sowohl Diagnose als auch Therapie optimieren kann.

Der Weg zur personalisierten Medizin

So erzielt die personalisierte Medizin dank der Fortschritte im Bereich der Molekularbiologie sowie der Biotechnik verknüpft mit Big-Data-Techniken vor allem in der Onkologie große Erfolge. Für eine erfolgreiche Therapie muss der jeweilige Mediziner die individuellen Aspekte einer Behandlung berücksichtigen, da jeder Tumor einzigartig ist. Durch IT-gestützte DNA-Analysen können unter anderem potenziell wirkungslose Therapiemethoden mit starken Nebenwirkungen vermieden und dem Patienten unnötige und unangenehme Umstände erspart werden. Denn nur ein Teil der Krebserkrankten spricht tatsächlich auf eine herkömmliche Chemotherapie an. Patienten erhalten deswegen eine möglichst individuell angepasste und damit wirkungsvollere Behandlung.

Auch bei der Behandlung der Erbkrankheit Mukoviszidose setzt man mittlerweile auf die Zuhilfenahme von Smart-Data-Methoden. Mit einer IT-gestützten Gensequenzierung ist es möglich, Therapieansätze zu entwickeln, die auf den jeweiligen Patienten persönlich zugeschnitten sind. Dies führt zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität. In Anbetracht der niedrigen Lebenserwartung von Mukoviszidose-Erkrankten spielt die Früherkennung eine große Rolle, doch auch die optimale Behandlungsmethode ist ein entscheidender Faktor für die Überlebenschancen der Patienten.

Selbst für Infarkt-Betroffene kann Smart Data hilfreich sein. Mit der automatischen Analyse von EKG-Daten können Abweichungen und Unregelmäßigkeiten bei der Herzfrequenz frühzeitig festgestellt und über einen längeren Zeitraum einfach und zuverlässig beobachtet werden - und das unabhängig von der medizinischen Einrichtung oder dem behandelnden Arzt. Die Früherkennung einer Abweichung vom normalen Verlauf des EKG verringert das Risiko innerhalb eines Jahres einen neuen Infarkt zu erleiden um ein Vielfaches.

Vernetzte OPs

Smart Data führt aber nicht nur zu einer deutlichen Verbesserung der Patientenversorgung, sondern kann sich auch positiv auf die Wirtschaftlichkeit und Effektivität einer Gesundheitseinrichtung auswirken. Ein gutes Beispiel für die Optimierung der Abläufe in Krankenhäusern sind vernetzte Operationssäle, die effizientes Arbeiten fördern. Der OP-Bereich ist hochkomplex und der teuerste eines Krankenhauses. Er muss reibungslos und mit hoher Qualität funktionieren. Funktionsweise und Prozesse können durch Smart-Data-Techniken deutlich verbessert werden.Das Förderprojekt "InnOPlan - Innovative, datengetriebene Effizienz OP-übergreifender Prozesslandschaften" des Technologieprogramms "Smart Data - Innovationen aus Daten" des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) setzt genau hier an. Es möchte die Optimierung von Prozessen in und um den Operationssaal durch die intelligente Verarbeitung von Daten erreichen. So können klinische und logistische Arbeitsprozesse, wie die OP-Planung, die Operation selbst und die Verfügbarkeit von entsprechend qualifiziertem Personal und Geräten, verbessert werden.

InnOPlan
Das Projekt InnOPlan will Medizingeräte zu intelligenten Datenlieferanten weiterentwickeln. Um die so erzeugten und meist unstrukturierten Daten verarbeiten zu können, entwickelt InnOPlan Methoden und Werkzeuge, die in einem weiteren Schritt die Daten mit klinischen Prozessen innerhalb und außerhalb des Operationssaals vernetzen. So können klinische Workflows, die OP-Planung sowie die Verfügbarkeit von Geräten optimiert werden.

 

Konkret erforscht InnOPlan wie Medizingeräte beschaffen sein müssen, damit sie zu intelligenten Datenlieferanten werden. Das Projekt verfolgt das Ziel, die bereits sehr leistungsfähigen Medizinprodukte so zu erweitern, dass diese nicht nur ihre technische Funktion erfüllen, sondern eine zusätzliche Datenintelligenz geschaffen wird. Klinische Prozesse können dank strukturierter Informationen noch vernetzter und effizienter gestaltet werden. Aus großen Datenmengen werden dann nützliche Informationen herausgefiltert und zur Verfügung gestellt. So kann beispielsweise der Arzt, der die nächste Operation plant, bereits im Vorfeld erkennen, wann die noch laufende Operation beendet sein wird. Anhand der von den Geräten analysierten Daten kann der momentane Status der Operation erkannt und der nächste Schritt geplant werden. Dieser Vorgang ermöglicht es, die äußerst kostspieligen Leerzeiten der Operationssäle zu vermeiden.

Die Beispiele zeigen, dass die Weiterentwicklung der Techniken, die bereits in unseren Alltag eingezogen sind - beispielsweise durch Gesundheits-Apps - zukünftig eine individuellere Patientenversorgung ermöglichen. Dank der Smart-Data-Techniken lässt sich das Gesundheitswesen aber nicht nur aus Sicht der Patienten revolutionieren. Die neuen Entwicklungen haben auch Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit von Gesundheitseinrichtungen. Vor allem in Hinblick auf den demografischen Wandel und die immer weiter ansteigenden Kosten in der Patientenbehandlung sind Smart-Data-Techniken unabdingbar, um das Gesundheitssystem zukunftsfähig zu machen. Voraussetzung ist, dass wichtige Fragen rund um den Datenschutz und die Datensicherheit adäquat adressiert werden. An rechtskonformen Lösungen arbeitet das Technologieprogramm Smart Data.

Über den Autor:

Prof. Dr. Christof Weinhardt leitet die Begleitforschung des Technologieprogramms "Smart Data - Innovationen aus Daten" des Bundeswirtschaftsministeriums. Er ist Direktor am FZI Forschungszentrum Informatik.

Digitalisierte Medizin
Das deutsche Gesundheitswesen steht seit Jahren vor der großen Aufgabe, die Kosten zu senken und gleichzeitig durch eine bessere Organisation und Patientenorientierung im Wettbewerb attraktiv zu sein. Die anlaufende Digitalisierungswelle bietet die Möglichkeit diese Herausforderungen durch die Unterstützung moderner Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) zu bewältigen. Im Health-Care-Sektor und insbesondere in medizinischen Einrichtungen wie Krankenhäusern werden IKT-Lösungen bisher vorrangig genutzt, um vereinzelt Prozesse zu verbessern. Die Digitalisierung zielt nun auf eine gesamtheitliche Integration vieler vereinzelter Prozesse durch automatisierte Abläufe und vereinfachte Datenzugriffe. Sie geht somit weit über die IT-Unterstützung einzelner Prozesse hinaus bis hin zu vollständigen Behandlungspfaden.

 


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