Interview: Big Data in der Medizin

»Ein Datenberg allein hilft niemandem«

13. Dezember 2017, 10:03 Uhr | Melanie Ehrhardt
Diesen Artikel anhören

Fortsetzung des Artikels von Teil 1

»Kein Arzt wird es schaffen, damit Schritt zu halten.«

Die Digitalisierung ist auch ein wirtschaftlicher Treiber. Was bedeutet das für die Medizinbranche?

Wie auch in anderen Branchen entwickeln sich für die Gesundheitswirtschaft neue Chancen für datengetriebene Geschäftsmodelle. Daten aus medizinischen Geräten im Zusammenspiel mit medizinischem Wissen, Diagnosen und so weiter können beispielsweise dazu führen, dass Medizingräte intelligenter werden und Ärzte so in Zukunft bei der Diagnose unterstützen, weil sie etwa Röntgenbilder bis zu einem gewissen Grad mittels intelligenter Algorithmen eigenständig verstehen.

Mit Big Data und künstlicher Intelligenz sollen zukünftig auch Krankheiten und deren Verläufe vorhergesagt werden – alles im Sinne des Patienten. Aber es gibt auch das Recht auf Nicht-Wissen. Wie kann diese Freiheit erhalten bleiben, ohne dadurch Benachteiligung in Kauf nehmen zu müssen?

Das steckt ebenfalls in dem Prinzip der Patientensouveränität. Aktuell führen wir aber vor allem die Debatte darüber, wie wir an die Daten kommen, wie wir sie vernetzen und wie der Patient die Kontrolle darüber behält. Aber in Zukunft werden wir uns sicher auch mit der Frage auseinander setzen müssen, wie wir das Recht auf Nicht-Wissen abbilden. Im Grunde ist es ja nur die andere Seite der Münze des Rechts auf Wissen und des persönlichen Datenzugriffs.

Wo sollten wir eine Grenze ziehen, wenn es um die Anwendung von Big Data im Gesundheitswesen geht?

Eine einheitliche Grenze werden wir da nicht ziehen können. Wir müssen den einzelnen in die Lage versetzen, selbst zu entscheiden, was in der medizinischen Versorgung und Forschung mit seinen Daten passieren soll. Dafür muss der Bürger oder Patient adäquat informiert werden und in der Lage sein, seine persönlichen Präferenzen auf einfache Weise zu steuern.

Der Patient bestimmt also  selbst, was mit seinen Daten passiert und zieht für sich seine Grenze …

… ja, genau. Das pauschal zu entscheiden, wäre der falsche Ansatz und extrem schwierig. Denn das hängt auch mit persönlichen Einstellungen zusammen. Dazu gehört es  auch, dass eine gegebene Einwilligung wieder rückgängig gemacht werden kann und dass Daten gelöscht werden müssen, wenn das gewünscht wird.

Big Data soll die Behandlung nicht nur besser, sondern vor allem individuell und persönlicher machen. In Zeiten, in denen Patienten oft das Gefühl haben, abgefertigt statt behandelt zu werden, ist das ein großes Versprechen. Big Data ist jedoch weder Arzt noch Pfleger, wie soll das funktionieren?

Auch hier muss man präzise unterscheiden. Zum einen hilft uns Big Data dabei, die individuelle Situation eines Patienten und seine persönliche Erkrankung besser zu verstehen und die für ihn beste Behandlung zu finden. Was Sie ansprechen, ist, dass Arzt und Pfleger mehr Zeit für ihre Patienten haben. Das schaffen wir natürlich, indem Big Data bei der Diagnose hilft. Die Zeit, die der Arzt unter anderem beim Durchforsten von Datenbanken oder der Pflege von Patientenakten spart, investiert er im besten Fall in seine Patienten.

Je mehr Versorgungsdaten wir haben, desto früher können Krankheiten erkannt und behandelt werden – so der Plan. Dafür reicht es aber nicht aus, nur Daten zu sammeln. Wie wird aus Big Data Smart Data?

Es hilft uns natürlich nicht, wenn wir nur einen großen Datenberg haben. Denn der alleine schafft noch keine Mehrwerte – für niemanden. Dafür braucht es die richtige Infrastruktur, Interoperabilität und leistungsfähige Algorithmen, die uns helfen, aus den Daten die richtigen Schlüsse zu ziehen. Das ist jedoch keine rein technische Frage, die medizinische Expertise spielt dabei ebenfalls eine ganz entscheidende Rolle. Was wir uns von Big Data erhoffen, schaffen wir nur, wenn IT-Industrie und Gesundheitswesen zusammenarbeiten.

Im Krankhaus werden also auch in Zukunft noch Ärzte arbeiten?

Auf jeden Fall! Aber der Arzt ist dann hoffentlich in der Lage, mit dem Forschungsstand mitzuhalten. Prognosen zufolge verdoppelt sich ab 2020 das  Wissen aller 73 Tage. Kein Arzt wird es schaffen, damit Schritt zu halten.

Müsste sich da dann nicht auch die medizinische Ausbildung verändern?

Ein Arzt muss nicht zwangsläufig programmieren können und er muss auch kein Data Scientist sein, aber zumindest ein Verständnis für Big Data mitbringen. Ich bin mir sicher, dass vor allem die jüngeren Generationen digitalen Technologien gegenüber deutlich aufgeschlossener sind. In einer Befragung, die wir mit Ärzten, die Mitglied im Hartmannbund sind, in diesem Jahr durchgeführt haben, hat sich das sehr klar gezeigt.

Frau Hagen, vielen Dank für das Gespräch!


  1. »Ein Datenberg allein hilft niemandem«
  2. »Kein Arzt wird es schaffen, damit Schritt zu halten.«

Lesen Sie mehr zum Thema


Das könnte Sie auch interessieren

Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu BITKOM e. V.