Nach Einschätzung des Leiters des Greifswalder Fusionsexperiments Wendelstein 7-X führt der jüngste Durchbruch US-amerikanischer Kollegen nicht zu einer wesentlich schnelleren Entwicklung eines Kernfusionskraftwerks.
Er gehe weiterhin davon aus, dass der Bau eines Kraftwerks in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts realistisch sei, sagte Thomas Klinger der Deutschen Presse-Agentur. »Wenn man Vollgas gibt.«
Mitte Dezember hatten Forschungsergebnisse aus den USA Aufsehen erregt. Laut dortiger Regierung hatten Wissenschaftler beim Verschmelzen von Atomkernen erstmals mehr Energie erzeugt als sie direkt hineingesteckt hatten. Aus Politik und Wissenschaft kamen im Anschluss teils optimistischere Prognosen als die von Klinger, was den Bau eine Kraftwerks angeht.
Interessant ist, dass der Durchbruch mit Hilfe der relativ jungen - und für diesen Zweck eigentlich gar nicht entwickelten - Laserfusionstechnik erzielt wurde. Ihr eigentlicher Zweck war es, zu simulieren, was bei der Explosion von Wasserstoffbomben genau abläuft und wie sie verbessert werden können.
Sind also die Techniken für die friedliche Nutzung der Kernfusion, die auf den Einschluss des Plasmas in Magnetfelder beruhen nun ins Hintertreffen geraten? Das mit Hilfe der Lasertechnik ein Durchbruch gelungen ist, soll nicht bestritten werden - doch es gibt viele, die ihn nicht für entscheidend halten. Die älteren Techniken, mit denen bereits sehr viele Erfahrung gewonnen werden konnte, wie ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor in Cardache/Frankreich), der nach dem Tokamak-Prinzip aufgebaut ist, und Wendelstein 7-X in Greifswald, der nach dem Stellarator-Prinzip arbeitet, sind auf einen guten Weg. Dagegen steht die Laserfusionstechnik vor vielen gänzlich neuen Herausforderungen, die nicht leicht zu überwinden sein werden - es gibt sogar einige triftige Punkte, die langfristig eher gegen die Lasertechnik sprechen.
Auch Klinger hatte von einem wissenschaftlichen Durchbruch gesprochen. Allerdings seien die technologischen Hürden weiterhin gigantisch, wenn auch ihre Bewältigung nicht unmöglich. Das gelte sowohl für die von den US-Kollegen angewandte Fusion mittels Lasern als auch für die Magnetfusion, an der in Greifswald gearbeitet wird. »Ich kann mir sehr gut eine Welt vorstellen, in der es das eine wie das andere gibt.« Wie schnell man über die technologischen Hürden komme, sei im Vorfeld schwer zu sagen.
Bei der Kernfusion werden Atomkerne anders als in Reaktoren von herkömmlichen Atomkraftwerken verschmolzen statt gespalten. Theoretisch ließen sich damit sehr große Energiemengen erzeugen - und das wesentlich ungefährlicher als bei der Kernspaltung und klimaneutral. Kritiker monieren, dass die Kernfusion zu teuer sei, Prognosen zur möglichen Nutzung ständig nach hinten verschoben würden und die Technik für die Energiewende zu spät komme.