Das Gesundheitswesen ist ein weiterer Bereich, in dem das Imec aktiv ist. Chris van Hoof, Imec-Fellow und Director Personal Health Solutions, kann auch einfach erklären, warum das Forschungszentrum auf diesem Sektor forscht, denn es gibt zig Beispiele für weit verbreitete Krankheiten, bei denen Patienten durch die Mikro-/Nanoelektronik Hilfe erfahren können. Dazu zählt beispielsweise COPD (Chronic Obstructive Pulmonary Disease, chronische, obstruktive Lungenerkrankung), an der laut Hoof weltweit rund 174 Mio. Patienten erkrankt sind. Über 100 Mio. Patienten wiederum leiden an Schlaf-Apnoe und 26 Mio. an Herzinsuffizienz. Alle hätten das Problem, dass es für diese Krankheiten keine Behandlungsmöglichkeiten aus der Ferne gibt. Daran will das Imec etwas ändern, indem es neue medizinische Diagnosegeräte entwickelt.
Und es gibt auch bereits diverse Beispiele, wie das Forschungsinstitut sein Mikro/Nanoelektronik-Know-how nutzt, um medizinische Geräte zu entwickeln. Dazu zählt beispielsweise ein komfortables EEG-Headset, das Imec zusammen mit seinem Holst-Centre entwickelt hat, aber auch ein Cell-Sorter mit integrierter Zellcharakterisierung. Hoof weiter: »All diese Entwicklungen durchlaufen intensive klinische Forschungsstudien.«
Jetzt hat sich das Institut aber einem neuen Thema zugewandt. Dabei soll eine Methodik entwickelt werden, die dem Menschen hilft, sein Verhalten zu ändern. Der Hintergrund ist einfach zu verstehen. So verweist Hoof auf die Tatsache, dass zum Beispiel 90 Prozent der Menschen zu viel Natrium zu sich nehmen und 36 Prozent nicht jeden Tag mindestens einmal Obst essen, vom Konsum von süßen Sachen mal ganz abgesehen. Aber auch andere Statistiken belegen, dass Handlungsbedarf besteht: Beispielsweise haben Untersuchungen ergeben, dass 34 Prozent der EU-Bürger sich zu wenig bewegen, in den USA sind es sogar 52 Prozent. Eine weitere Studie hat ergeben, dass 25 Prozent der jungen Leute unter Stress bei der Arbeit leiden. Dazu kommen noch die Probleme mit Rauchen und viel Alkohol. Dementsprechend hält Hoof fest, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis dieses Fehlverhalten zu ernsthaften Erkrankungen führt. Oder anders formuliert: Gelingt es, dieses Verhalten schon früher zu ändern, können viele Erkrankungen vermieden werden. Aber: Jeder weiß, wie schwer es ist, sein Verhalten zu ändern, selbst wenn einem bewusst ist, dass das Verhalten ungesund ist.
In der Forschungsinitiative mit dem Namen iChange arbeitet das Forschungsinstitut mit Verhaltensforschern, Psychiatern und Psychologen zusammen, um eine Toolbox zu entwickeln, die eine Verhaltensänderung leichter ermöglicht. Wobei Hoof betont, dass diese Toolbox den Anwender nicht immer nur ermahnen soll, beispielsweise mit dem Rauchen aufzuhören, sondern sie soll auch in der Lage sein, ihn zu positiven Dingen zu animieren. Diese Toolbox fungiert quasi als persönlicher Coach, und der muss in der Lage sein, sich auf den jeweiligen Anwender einzustellen. Denn die Menschen sind unterschiedlich, jeder braucht seine eigene Art der Motivation. Braucht der eine die so genannte starke Hand, hängt es beim anderen vom richtigen Anreiz ab, und der dritte benötigt einfach nur einen guten Ratgeber. Hoof: »Was bei mir funktioniert, muss nicht auch bei einem anderen funktionieren. Und was heute bei mir funktioniert, kann morgen auch nicht mehr funktionieren.«
Um dieser Anforderung zu genügen, reicht es für eine Toolbox natürlich nicht aus, nur Daten wie Name, Geburtstag, Geschlecht, Gewicht und Größe zu kennen. Denn auf Basis dieser Daten kann kein System zum persönlichen Coach werden. Das heißt, in Zukunft müssen auch Daten wie Herzschlag, Bewegungsprofil, Daten über das persönliche Befinden, Lebensraum, Stress, Ess- und Trinkverhalten, aber auch Daten aus Studien beispielsweise über den Zusammenhang zwischen sportlichen Aktivitäten und emotionalem Wohlbefinden etc. einbezogen werden. Hoof: »Diese digitale Phänotypisierung ermöglicht die notwendige Personalisierung.« Und dabei kann Mikroelektronik helfen. Hoof: »Damit wäre es möglich, dem Anwender zur richtigen Zeit die richtige Empfehlung zu geben.«
Bislang wurden innerhalb des Forschungsprojekts schon einige wichtige Studien angeleiert. Beispielsweise haben sich die Forschungspartner bereits dem Thema Stress im Rahmen der Sweet Study befasst. Dabei wird Stress im Arbeitsumfeld untersucht, der mithilfe von Sensorbändern (objektive Erfassung physiologischer Signale) aber auch Fragebögen erfasst wird. An der Studie nehmen 826 Menschen aus sieben Unternehmen teil, 5 TByte Daten wurden erzeugt. Diese Daten wurden bereits ausgewertet, so dass Ergebnisse vorliegen, die beispielsweise die Schlafqualität in Abhängigkeit von sportlichen Aktivitäten, Ausbildungsgrad oder Geschlecht aufzeigen. Aber auch Abhängigkeiten von Ausbildungsgrad und Stress wurden errechnet. Auf der vorhandenen Datenbasis wurden Algorithmen zur Vorhersage von Stress entwickelt und die wiederum mit Ergebnissen aus der Selbsteinschätzung verglichen. Und laut Hoof stimmen die Ergebnisse in den meisten Fällen überein. Eine ähnliche Studie läuft derzeit zum Rauchverhalten, bei dem tägliche/wöchentliche Routinen erkannt werden sollen. Laut Hoof wurde bereits eine Pilotstudie von zwei Wochen abgeschlossen. Jetzt soll ein größerer Versuch anlaufen, bei dem das Verhalten von 100 Rauchern über einen Zeitraum von vier Wochen erfasst werden soll. Hoof hofft, dass sich noch mehr dem Forschungsprojekt iChange anschließen werden, und erklärt abschließend: »Innovationen auf der Technologieseite und bei der Datenanalyse werden es ermöglichen, das persönliche Verhalten zu ändern.«