Elektronik: Ursprünglich sollten die Ergebnisse der „Electronics Leader Group“ bezüglich einer konkreten europäischen Förderungs-Roadmap am 16.12.2013 vorgestellt werden, leider warten wir immer noch. Wann gibt es da endlich Ergebnisse?
Ploss: Es gibt Fortschritte in der Willensbildung. Einmal gibt es die Gruppe, die sich für die 450-mm-Fertigung einsetzt, und dann die, denen es nicht um die Massenproduktion geht, sondern um die More-than-Moore-Technologie im Hinblick auf die Nutzung entlang der Wertschöpfungskette, fokussiert auf die Industrien bei denen Europa eine starke Position inne hat, wie zum Beispiel Automotive, Luftfahrt und Umwelttechnik. Es ist bislang leider zu keiner gemeinsamen Aussage gekommen, wie man beides vereinbaren könnte. Ich erwarte hier einen Kompromiss, der die drei führenden Forschungszentren in Leuven, Dresden und Grenoble berücksichtigt. Ich bin zuversichtlich, dass wir bald zu einer grundsätzlichen Einigung kommen. Die nächste Herausforderung ist dann ein Umsetzungskonzept.
Elektronik: Und wann wird es jetzt fertiggeschrieben?
Ploss: Ich hoffe, dass wir im ersten Quartal zum Abschluss kommen. Das Förderprogramm ECSEL kommt zum Laufen und dafür braucht Europa eine klare Roadmap.
Elektronik: Der neue Koalitionsvertrag liegt ja nun auch auf dem Tisch. Wie beurteilen Sie ihn im Hinblick auf die Unterstützung der Mikroelektronik?
Ploss: Die Willenserklärung ist gemacht, das freut mich. Wichtig ist jetzt, dass Taten folgen. Wir sollten schnell in die Konsultationsphase einsteigen; es haben sich schon einige Unternehmen bei uns zusammengefunden zum Thema ECSEL und zu der Frage „Welche Mikroelektronik-Position sollte man aus deutscher Sicht beziehen?“. Wir sind als Industrie beratungspflichtig. Das heißt nicht, dass wir der Politik sagen, was sie tun muss, sondern was aus unserer Sicht sinnhaft ist.
Elektronik: Die Willenserklärung umfasst ja nur einen Satz im Gegenzug zu z.B. drei Seiten digitale Agenda und Breitbandausbau…
Ploss: Also das stört mich jetzt weniger. Die Frage ist, wie stellen wir Mikroelektronik als wichtig und faszinierend dar. Wenn Sie ein Gerät aufmachen, sehen Sie kleine Plastikteilchen, das reißt niemanden vom Hocker – im Gegensatz zu den offensichtlichen Vorteilen eines Breitbandnetzes. Wir unterstützen gerne die Politik, Geschichten von Bedeutung zu erzählen. Wir sind gerne Teil der Energiewende und machen diese besser. Wir sind gerne Teil des Internets der Dinge, der Connected Mobility und anderer Themen. Was wir noch lernen müssen, ist zu kommunizieren, was die Mikroelektronik Tolles leisten kann.
Denken Sie an das Kofferradio vor 20 Jahren. Im dem Gehäuse befanden sich lauter einzelne Transistoren. Die Kompetenz für das Radio lag früher bei Grundig oder Telefunken. Heute ist alles auf einem Chip integriert, sprich die Kompetenz des Radios ist zum Halbleiterhersteller gewandert. Das Grundkonzept der Systemintegration bedeutet, das System vor der Haustür zu haben.
Elektronik: Am 29. Mai 2013 hatte EU-Kommissarin Nellie Kroes nach Brüssel geladen zum Thema EU-Zukunftsstrategie von Micro- und Nanoelekronik. Da kamen Minister und Staatssekretäre aus ganz Europa. Deutschland ließ sich leider nur durch Herrn Morlok aus Sachsen vertreten, da man im Wirtschaftsministerium niemanden gefunden hatte, der nach Brüssel reisen wollte. Wie kommentieren Sie denn dass?
Ploss: Zunächst positiv. Bei dem Treffen ging es primär um die 450-mm-Fertigung, getrieben durch ASML und andere Equipment-Hersteller. Das ist aber nicht Deutschlands wichtigstes Mikroelektronik-Thema. Für uns sind Mikroelektronik-Systeme, -Anwendungen und differenzierende Technologien wichtig. 450 mm ist sehr hochwertig, 20 nm CMOS ist sehr hochwertig, aber wie differenzierend ist das? Ich bin lieber dort unterwegs, wo ich keinem hinterher eile. Beim Thema 450 mm laufen wir hinter TSMC und Intel her. Sinnvoller wäre, zu überlegen, wo wir schneller und besser als andere sind. Deutschland und Europa sind beispielsweise bei Embedded-Lösungen gut positioniert. Sollte sich allerdings das politische Umfeld dahingehend entwickeln, dass wir nicht mehr Zugriff auf diese Technologien haben, dann müssen wir unsere Forschungs- und Entwicklungslandschaft hier so gestalten, dass wir in absehbarer Zeit wieder Autonomie erreichen.
Elektronik: Jetzt wurde in Brüssel aber über die Gesamtstrategie gesprochen. Da ging es ja nicht nur um 450 mm. Und wenn Sie die Embedded World jetzt beispielhaft erwähnen, dann liefern Sie mir fast eine Steilvorlage: Denn auch die für die deutsche Industrie ja durchaus relevante Messe geht ja in der öffentlichen Wahrnehmung mehr oder weniger unter, sicherlich auch deswegen, weil keine politischen Zugpferde zur Eröffnung erscheinen wie zu einer CEBIT, wo dann große taiwanische PC-Hersteller ausstellen. Warum glauben Sie ist das so?
Ploss: Wie ich schon sagte, weil wir dazu keine gute Geschichte erzählen können. Wenn wir eine Geschichte zur Embedded oder SPS erzählen und meine Oma dann sagt: „Das ist toll, was du da machst, das braucht die Welt“, sieht alles ganz anders aus. Wahrscheinlich wird sie sagen, „Sowas ist phantastisch, aber ich habe kein Wort verstanden“. Wir müssen Technik erfahrbar machen. Demnächst gibt es das Haus der Zukunft in Berlin, das wir sponsern. Wir wollen dort keine Leistungsshow Infineon aufbauen. Wir wollen eine Begeisterungsinitative für angewandte Technik und für den Nutzen der Technik.
Elektronik: Warum tun Sie das?
Ploss: Damit sowohl unsere Großeltern als auch unsere Enkelkinder sich wieder mehr für Technik begeistern können. Dabei geht es nicht um die, die sowieso Ingenieurwesen oder Physik studieren wollen, sondern vor allem um die, die interessiert an Technik sind, aber eigentlich etwas anderes machen wollen. Diese Menschen brauchen wir. Seit wir über erneuerbare Energien und Mobilität reden statt über Halbleiter, kommen die jungen Absolventen zu uns, d.h. wir erzählen Geschichten von Bedeutung.