Intelligenz bald überall 

Lernfähige Algorithmen in Embedded-Systemen

25. Februar 2019, 12:20 Uhr | Andreas Knoll
Klaus-Dieter Walter, SSV Software Systems: „Machine-Learning-Algorithmen in dezentralen Energie-Management-Systemen können die Elektromobilität handhabbar machen.“
© Componeers GmbH

Machine Learning verhilft Embedded-Systemen zu mehr Intelligenz und macht dadurch bestimmte Anwendungen und Funktionen wie hochautomatisiertes Fahren oder dezentrales Energiemanagement erst möglich. Klaus-Dieter Walter, Geschäftsführer von SSV Software Systems, erläutert die Hintergründe.

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Markt&Technik: Was können Machine-Learning-Algorithmen in Embedded-Systemen leisten?

Klaus-Dieter Walter: Sie können das Produkt, die Anlage oder die Umgebung, in dem oder der Embedded-Systeme jeweils eingebettet sind, deutlich intelligenter machen. Denken Sie in diesem Zusammenhang an das selbstfahrende Auto. Aber auch in anderen Bereichen, etwa im Internet der Dinge, in der Fabrik- und Prozessautomatisierung sowie in Energieversorgungs- und Verkehrsleitsystemen, sind unzählige Anwendungsmöglichkeiten für Embedded-Systeme auf Machine-Learning-Basis denkbar. Umgekehrt ist für mich manches ohne lernfähige Embedded-Systeme überhaupt nicht denkbar, weil sie dezentrale Intelligenz ermöglichen.

Betrachten wir als Beispiel die Elektromobilität: Hier werden vernetzte, Machine-Learning-fähige Embedded-Systeme sogar zur entscheidenden Komponente, um die Ladevorgänge in den Haushalten zu managen. Die Stromnetze und die Firmen, die sie betreiben, sind bisher überhaupt nicht auf einen Massen-Rollout mit Millionen elektrisch betriebenen PKWs vorbereitet. Das lässt sich auch nicht mal eben innerhalb weniger Jahre ändern. Insofern werden meines Erachtens Machine-Learning-Algorithmen für dezentrale Energie-Management-Systeme in praktisch jedem Haushalt mit E-Auto-Ladeanschluss zum Einsatz kommen. Die Algorithmen bekommen Sie dann als Mobilitäts-Management-Gateway zusammen mit der E-Mobility-Powerbank vom PKW-Hersteller als Zubehör, um den täglichen Ladestrombedarf und das jeweilige Stromangebot intelligent auszugleichen.


Was können Machine-Learning-Algorithmen bei der Verarbeitung von Sensordaten und -signalen bewirken? Inwieweit können sie auf dieser Basis das Verhalten von Maschinen beeinflussen?

Lernfähige Algorithmen in Embedded-Systemen können in Sensordaten versteckte Muster erkennen, die sich mit konventionellen Mitteln vielfach nicht identifizieren lassen. Dafür müssen wir die Daten nicht erst in eine Cloud streamen. Per Machine Learning kann ich beispielsweise in einem Fitness-Armband aus den triaxialen Trägheitssensordaten relativ einfach ableiten, ob Sie gerade eine Treppe auf- oder abwärts gehen und wie schnell Sie laufen oder gehen. Wenn ich die Daten eines Pulssensors hinzuziehe, kann ich sogar noch Ihren Fitnessgrad klassifizieren.

Auf Maschinen übertragen sind damit intelligente Überlastungsschutz-Lösungen möglich. Durch die Echtzeitanalyse der Stromsensordaten eines Antriebselements kann ein Machine-Learning-Algorithmus beispielsweise den jeweiligen Zustand der gesamten Antriebslösung fortlaufend bestimmen. Überlastungs-Situationen oder andere Anomalien, etwa eine Unwucht, lassen sich automatisch erkennen. Ein kritischer Zustand könnte sofort an die jeweilige Steuerung gemeldet werden, um Schäden zu vermeiden. Mittels Embedded-Systemen und maschinellem Lernen ist somit ein intelligenter Überlastungsschutz direkt in die Spannungsversorgung des Antriebs integrierbar. Die dadurch anfallenden Mehrkosten sind im Vergleich zum Nutzen relativ gering.


Inwiefern vereinfachen Machine-Learning-Algorithmen die Nutzung von Embedded-Systemen?

Wenn Sie die Nutzung auf den Anwender eines bestimmten Produkts beziehen, in dem ein Embedded-System zum Einsatz kommt, würde ich sagen, dass mit Machine Learning überhaupt erst Produkteigenschaften möglich werden, die es ansonsten in dieser Qualität nicht geben würde. Denken Sie beispielsweise an die Möglichkeit der Sprachsteuerung oder die automatische Objekterkennung – etwa im Verkehrszeichenassistenten eines modernen PKW – sowie die Fähigkeiten eines Embedded-Systems, die spezifischen Verhaltensmerkmale des Nutzers zu erlernen, mit der aktuellen Wettervorhersage zu verknüpfen und dadurch den Bedienkomfort eines technischen Systems erheblich zu steigern.

Man kann andererseits auch den Software-Entwickler, der eine bestimmte Lösung in einem vorgegebenen Embedded-System implementieren will, als Nutzer ansehen. Dieser Entwickler muss den Zusammenhang zwischen den Eingangs- und Ausgangsdaten des Embedded-Systems nicht mehr unbedingt über ein regelbasiertes Konzept realisieren, das zunächst einmal aus Erfahrungswerten entworfen und in Code umgesetzt wird. Er kann stattdessen auch einen universell nutzbaren, aber lernfähigen Algorithmus implementieren, der dann mit speziell aufbereiteten Daten für die jeweilige Aufgabe trainiert wird. Im Bereich der Objekterkennung mit künstlichen neuronalen Netzen gibt es hier sogar schon vortrainierte Modelle für Open-Source-Machine-Learning-Implementierungen. Ich würde das als „Trainieren statt programmieren“ bezeichnen und als bedeutende Vereinfachung für die Nutzung von Embedded-Systemen werten.


Inwieweit können Machine-Learning-Algorithmen auch in Embedded-Steuerungen eine Rolle spielen? Wenn ja, welche?

Sie spielen schon seit längerer Zeit eine bedeutende Rolle. Dies wird nur unzureichend wahrgenommen, weil „Embedded“ ja auch irgendwie mit „in einem Produkt verstecken“ zu tun hat. Denken Sie beispielsweise an einen Rasenmäh- oder Staubsaugroboter in einer Umgebung voller Hindernisse, der mit Hilfe lernfähiger Algorithmen seine Aufgabe so gut wie möglich ausführt und auch immer wieder den Weg zur Akkuladestation findet. Oder an ein Flurförderzeug, etwa einen automatischen Hubwagen in der Intralogistik, der völlig autonom durch eine riesige Werkhalle fährt, um Produkte von einem Lagerplatz zu einem Arbeitsplatz zu transportieren. In den Embedded-Steuerungen solcher Roboter kommen sogenannte Reinforcement-Learning-Algorithmen zum Einsatz. Dieses Machine-Learning-Verfahren wird auch mit Erfolg zur Programmierung von Spielen genutzt – siehe beispielsweise AlphaGo von Google DeepMind. Für die Embedded-Steuerungen in der intelligenten Robotik ist Machine Learning meines Erachtens daher ein wichtiger Technologiebaustein.


Welche Produkt-Neuvorstellungen gibt es von SSV auf der Messe embedded world in Sachen „Machine-Learning-Algorithmen in Embedded-Systemen“?

Wir konzentrieren uns inzwischen auf die praktische Anwendung von Machine Learning und den damit verbundenen Nutzen. Insofern zeigen wir erstmals ein Starterkit mit einem Embedded-Modul auf ARM-Basis und speziellen „Use Case Templates“. Dies sind generische Anwendungen für bestimmte Aufgaben wie etwa den digitalen Zwilling im Internet der Dinge. Bei diesem digitalen Avatar geht es ja unter anderem darum, mit Hilfe eines Datenmodells den aktuellen Zustand eines beliebigen Objekts im Internet abzubilden.

Durch den Einsatz von Machine-Learning-Algorithmen müssen die Sensordaten zur Zustandserkennung nicht mehr vollständig ins Internet gestreamt werden. Stattdessen wird lediglich die durch den Algorithmus ermittelte Zustandsinformation übermittelt. Dabei entsteht beispielsweise aus zig Megabyte Beschleunigungs-Messdaten ein einziges Byte als Informationsträger, das zur weiteren Entscheidungsfindung an den digitalen Zwilling in einer Cloud weitergegeben wird. Dafür reicht dann sogar eine schmalbandige Funkverbindung wie Narrowband-IoT oder LoRa aus.

SSV Software Systems auf der embedded world 2019:  Halle 3, Stand 439

 

 

 

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