50 Jahre Geldautomat

Bargeld an jeder Straßenecke

26. Juni 2017, 10:02 Uhr | Von Jörn Bender und Silvia Kusidlo, dpa
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Schecks waren leicht radioaktiv

Ein Massenphänomen waren die ungewohnten Maschinen, die nun anstelle des Kassierers am Bankschalter Geld auszahlten, zunächst freilich nicht. Als in Deutschland die Kreissparkasse Tübingen am 27. Mai 1968 den bundesweit ersten Geldautomaten aufstellte, konnten diesen nur 1.000 ausgewählte Kunden nutzen. Sie durften bis zu 400 D-Mark abheben, brauchten dafür aber ein ganzes Bündel an Ausrüstung: einen Spezialschlüssel für den Tresor, eine Identifikationskarte aus Plastik und Auszahlungsbelege in Form von Lochkarten.

EC-Karten mit Magnetstreifen gab es noch nicht. In Shepherd-Barrons Automaten mussten Kunden einen mit einer leicht radioaktiven Substanz imprägnierten Scheck schieben. War das nicht gefährlich? Nein, meinte der Erfinder: Er habe berechnet, dass man 136.000 dieser Schecks essen müsse, bevor deren Radioaktivität krank mache.

Eigentlich sollten die Schecks eine sechsstellige Geheimnummer (PIN) zur Identifizierung haben, erinnerte sich Shepherd-Barron:

»Aber meine Frau sagte über den Küchentisch hinweg, sie könne sich nur vier Ziffern merken. Ihretwegen wurden also die vier Ziffern der Weltstandard.« Und sind es bis heute.

Sonst haben moderne Geldautomaten mit ihren Vorgängern wenig gemein.

Ein entscheidender Unterschied: Den Geräten der ersten Generation fehlte die Verbindung zu einem Zentralcomputer, um Informationen abzugleichen. Jeder Geldautomat war gewissermaßen eine Insel.

Neuland betrat 1978 die Kreissparkasse Köln, die einen der ersten Automaten in Deutschland installierte, der am Banknetz hing. Einziges Manko, wie der Automatenhersteller – die heutige Wincor Nixdorf – 2003 einräumte: »Der Geldcomputer war in der Bank selbst installiert und damit nur während der Schalteröffnungszeiten zugänglich. Den Kunden erschloss sich die Nutzung deshalb nur zögernd.«

Der Durchbruch in Deutschland kam, als die Automaten wie schon in Spanien und Schweden im Foyer sowie im Außenbereich der Banken installiert wurden und damit rund um die Uhr nutzbar waren. In einer im Juni 2002 veröffentlichten Allensbach-Umfrage erklärten 72 Prozent der Deutschen den Geldautomaten zur beliebtesten technischen Alltagsneuerung («Den kann ich gut gebrauchen») - weit vor Mikrowelle (59 Prozent), Handy (58 Prozent) und Computer (56 Prozent).

Shepherd-Barron, der sich auch mit Schneckenzucht und Walrufen beschäftigte, starb im Mai 2010 mit fast 85 Jahren. Sein erster Bankautomat in Enfield ist längst abgebaut, nur eine Plakette erinnert noch daran. Reich wurde der Schotte mit seiner Erfindung nicht – er hatte sie sich nie patentieren lassen.

In einem Punkt irrte der clevere Schotte: Shepherd-Barron erwartete, dass es heute überhaupt kein Bargeld mehr geben würde. Tatsächlich gibt es in Deutschland inzwischen sogar Drive-in-Geldautomaten, an denen Autofahrer Geld abheben können, ohne auszusteigen.

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