Die jüngsten US-Zölle auf chinesische Produkte zeigten bereits nach kurzer Zeit deutliche Auswirkungen auf die industrielle Entwicklung in China. Die Marktanalysefirma Interact Analysis hat fünf zentrale Effekte identifiziert: China als Produktionsstandort steht auf dem Prüfstand.
Die Zollpolitik der US-Regierung im Frühjahr hat sich spürbar auf mehrere Fertigungssektoren ausgewirkt – mit Folgen für die gesamte chinesische Wirtschaft. Zwar wurde ein Teil der Zölle in gegenseitigem Einvernehmen Mitte Mai vorerst für 90 Tage ausgesetzt. Aber die Auswirkungen sind nach wie vor spürbar – und könnten sich angesichts der Unwägbarkeit der US-amerikanischen Zollpolitik weiter verschärfen.
Die auf Marktanalysen spezialisierte Firma Interact Analysis hat fünf zentrale Effekte identifiziert, wie sich die US-Zölle auf die chinesische Industrie auswirken:
Die USA hatten 2024 einen bedeutenden Anteil an Chinas Elektronikexporten.
Im Jahr 2024 machten Chinas Exporte in die USA 14,7 % des gesamten Exportwerts aus. Über 40 % davon entfielen auf elektromechanische Produkte. Zu den wichtigsten Exportkategorien zählten Mobiltelefone und Kommunikationstechnik, elektrische Ausrüstungen, Computer- und Datenverarbeitungsgeräte sowie Haushaltsgeräte. Diese Sektoren sind stark vom US-Markt abhängig und exportieren jeweils 22 %, 17 %, 25 % bzw. 21 % ihres Outputs in die Vereinigten Staaten.
Zwar haben die USA kürzlich bestimmte Halbleiter und Elektronikprodukte temporär von Zöllen befreit. Auch ein möglicher Re-Exporthandel innerhalb eines 90-Tage-Zeitfensters verschafft kurzfristig Erleichterung. Dennoch bleiben die im Februar und März verhängten 20-prozentigen Zölle bestehen, und es könnten neue, sektorspezifische Zölle folgen. Die chinesischen Elektronikexporte werden damit weiter unter Druck stehen.
China wird voraussichtlich gezielte Maßnahmen ergreifen, um betroffene Hersteller zu unterstützen. Ein Regierungsbeitrag deutet auf regionale und unternehmensspezifische Programme hin, statt auf umfassende Branchensubventionen. Zusätzlich versucht China, durch genehmigte Maßnahmen zur »Modernisierung von Ausrüstung« und den »Austausch von Konsumgütern« die Inlandsnachfrage zu stärken. Bereits im zweiten Halbjahr 2024 wurden Käufe von Haushaltsgeräten subventioniert – und diese Maßnahmen dürften auch 2025 Bestand haben.
Die chinesische Industrie startete mit solidem Schwung ins Jahr 2025: Der Immobilienmarkt stabilisierte sich, die Industrieproduktion erholte sich schrittweise, und auch der Binnenkonsum zog an. Noch vor Bekanntgabe der neuen Zölle zeigte sich Interact Analysis zuversichtlich, dass sich die Erholung von Industrie und Automatisierung fortsetzen werde.
Die oben dargestellte Grafik zeigt den Aufwärtstrend bei der industriellen Produktion und dem Konsum seit Ende 2024. Die Zahlen zum industriellen Mehrwertzuwachs sind inflationsbereinigt – damit liegt das Wachstum 2024 in etwa auf dem Niveau von 2023, was zwei Jahre eines nur schwachen realen Wachstums bedeutet.
Im März 2025 stiegen Chinas Exporte im Jahresvergleich um 12,4 %. Allerdings berichten Hersteller inzwischen von pausierten oder stornierten Aufträgen seitens ihrer US-Kunden. Entsprechend wird für April ein Rückgang beim Exportwachstum erwartet. Dennoch dürfte die steigende Inlandsnachfrage die Gesamtentwicklung abfedern. Volkswirte rechnen mit weiteren Konjunkturimpulsen im zweiten Halbjahr 2025 – in einem Volumen von über 1 Billion CNY (mehr als 130 Milliarden US-Dollar). Ob diese Maßnahmen den Zolleffekten vollständig entgegenwirken können, bleibt abzuwarten.
Steigende Zölle dürften die Inflation in den USA durch höhere Importpreise weiter anheizen. Chinesische Lieferanten geraten dabei zunehmend unter Druck: US-Kunden verlangen Preisnachlässe, da sich deren Margen verengen. Gleichzeitig führt der Rückgang an US-Exporten zu einem Angebotsüberschuss in China – mit möglichen deflationären Tendenzen vor Ort.
Allerdings erwartet Interact Analysis nur begrenzte Auswirkungen auf den durchschnittlichen Umsatz pro Nutzer (ARPU) chinesischer Hersteller. Nach zwei Jahren intensiven Preiswettbewerbs und schrumpfender Margen sind weitere Preissenkungen kaum mehr durchsetzbar.
Obwohl die Spannungen zwischen den USA und China hoch bleiben, bestehen für Verhandlungen mit anderen Regionen mehr Spielräume. Multinationale Unternehmen setzen daher zunehmend auf die »China+1«-Strategie zur Diversifizierung ihrer Lieferketten.
Gleichzeitig beobachten Analysten auch einen verstärkten Trend zu Investitionen in China – viele globale Unternehmen forcieren die Lokalisierung ihrer Produktion, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Unternehmen mit hoher Abhängigkeit vom chinesischen Markt dürften ihre Produktion vor Ort kurzfristig nicht zurückfahren. Dagegen planen Konzerne mit breiter Asienpräsenz, ihre Kapazitäten außerhalb Chinas schneller auszubauen.
Auch führende chinesische Hersteller verlagern ihre Produktion ins Ausland – insbesondere nach Europa und Südostasien. Beispiele sind der E-Auto-Hersteller BYD, der Batterieproduzent CATL sowie Elektronikanbieter wie Luxshare und Goertek. Allerdings setzen diese Auslandstöchter nach wie vor weitgehend auf chinesische Lieferketten für Systemintegration und Maschinenbau.
Generell wirken sich Produktionsverlagerungen stärker auf die Endproduktfertigung als auf den chinesischen Maschinenbau aus. Südostasien und andere »China+1«-Regionen werden ein deutliches Wachstum bei Komponenten, Dienstleistungen und Aftermarket-Produkten verzeichnen – ein Trend, der sich auch in jüngsten Interviews regelmäßig zeigt.
Angesichts der schwächelnden Exportmärkte wollen chinesische Hersteller ihre Präsenz in Europa, Japan und Korea ausbauen. Das führt zwar zu mehr Wettbewerb vor Ort, eröffnet aber auch Chancen zur Kooperation.
Eine enge Zusammenarbeit mit lokalen Unternehmen ist ein gängiger Ansatz, um neue Märkte zu erschließen. So könnten chinesische Maschinenbauer etwa Komponenten oder Automatisierungssysteme lokaler Anbieter integrieren, um das Vertrauen der Kunden zu gewinnen. Selbst direkte Konkurrenten können durch komplementäre Produkte gemeinsame Portfolios entwickeln. Branchenbeispiele sind etwa die Kooperation des chinesischen Robotikherstellers Rokae mit Siemens oder die kürzlich verkündete Partnerschaft von EVE Energy mit KION Battery Systems im Bereich neuer Energien.
Schon im ersten Quartal 2025 zeigten sich Erholungsanzeichen in Chinas Industrie. Trotz Spielraum für Verhandlungen und weiterer Stimuli wird erwartet, dass die Zölle die globalen Fertigungsprognosen für 2025 dämpfen. Auch China dürfte sich dem globalen Trend anschließen müssen – mit verlangsamtem Tempo bei der industriellen Erholung.