Electronic Manufacturing Services

»Hohe Wertschöpfungstiefe ist die Stärke des Entwicklungsstandortes Deutschland«

19. November 2013, 14:36 Uhr | Karin Zühlke
Johann Weber, Zollner Elektronik: „Das Thema Entwicklungsunterstützung wird aus unserer Sicht in Zukunft immens wichtig sein. 80% der Produktionskosten werden im Zuge der Entwicklung festgelegt.“

Viele Auftragsfertiger bieten inzwischen nicht nur fertigungsnahes Engineering an, sondern unterstützen auch bei der Produktentwicklung. Und das aus gutem Grund, wie Johann Weber erklärt, Vorstandvorsitzender von Zollner Elektronik: »Produkte, die wir (mit-) entwickelt haben, ´passen´ besser in unsere Produktion.«

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Führt der Königsweg respektive Erfolgsweg in der mitteleuropäischen Fertigung ausschließlich über eine hohe Wertschöpfungstiefe?

Für Zollner ja. Nur so haben wir den Gesamtüberblick über das Produkt, über interne Optimierungen, die Supply Chain, Design-for-Manufacturing, Design-to-Cost, etc. Die hohe Wertschöpfungstiefe ist die Stärke des Entwicklungsstandorts Deutschland. Wir bei Zollner bieten keine Massenproduktion, sondern setzen auf ganzheitliche Betreuung, bedarfsorientierte Wertschöpfung über den gesamten Produktlebenszyklus und eine individuelle Anpassung im Rahmen der vertikalen Integration von der Baugruppe bis zum kompletten System.

Stirbt der klassische »Nur-Fertigungsbetrieb« - also die Lohnbestückung - in den nächsten Jahren aus?

Nein. Denn weiterhin wird die Produktion kleinerer Stückzahlen gefragt sein. Außerdem gibt es genug OEMs, die Teile extern fertigen. Tendenziell also ja: Diese Nur-Fertigungsbetriebe werden weniger werden, aber ganz sterben werden sie nicht. Nischen sind auch in Zukunft gerechtfertigt.

Ist tiefe Wertschöpfung eine Frage der (Unternehmens-)größe?

Lassen Sie mich das von zwei Seiten betrachten: Einerseits ist man als großes Unternehmen eher in der Lage, alles aus einer Hand zu bieten und Synergien aus verschiedenen Branchen- und Produkterfahrungen zu nutzen, andererseits haben Unternehmen mit geringer Wertschöpfungstiefe eine Chance, wenn sie spezialisiert sind. Als großes Unternehmen hat man eher die Flexibilität, um Marktschwankungen auszugleichen und den Marktanforderungen gerecht zu werden. Doch nicht die Wertschöpfung entscheidet, sondern das Know-how über die Wertschöpfungstiefe hinweg, das heißt, man muss nicht alles selbst machen.

Warum ist der Bedarf an Entwicklungsleistungen vom EMS überhaupt in den letzten Jahren so deutlich gestiegen?

Immer mehr Firmen lagern ihre Entwicklung aus und greifen immer früher auf Dienstleister zu. Aus diesem Grund ist der Bedarf an entsprechenden Partnern, die Kompetenz in diesem Bereich aufweisen können, natürlich gestiegen.

Wie tief Zollner als EMS mittlerweile bei einigen Kunden in die Entwicklung involviert ist, zeigt ein aktuelles Kundenprojekt aus dem Biotech-Segment: das Curetis System. Können Sie dazu etwas mehr sagen?

Wir haben das Curetis-Systems Unyvero im Auftrag des Start-up-Unternehmens Curetis AG aus Holzgerlingen in Baden-Württemberg mitentwickelt. Bei dem Entwicklungsprojekt handelt es sich um die komplette apparative Entwicklung eines komplexen Systems im Bereich der In-Vitro-Schnellbestimmung von Krankheitserregern für den klinischen Einsatz, das herkömmlichen Verfahren hinsichtlich der Analysegeschwindigkeit weit überlegen ist. Bei der Realisierung wurden unter anderem folgende für den Analyseprozess entscheidende Herausforderungen erfolgreich und effizient gelöst: Leistungs- und Datenübertragung auf ein schnell rotierendes System, Mikrodosierung von Reagenzien kleinster Volumina, schnelle und hochpräzise Aufheiz- und Abkühlzyklen. Eine durch das Gerät ermöglichte frühe, zielgerichtete Medikation hat sich bereits als lebensrettend erwiesen.

Nun gibt es ja neben den klassischen EMS-Unternehmen auch Auftragsfertiger mit OEM-Produkten. Haben solche Firmen bei der Entwicklungskompetenz Vorteile?

Nein eher sogar Nachteile, weil die Gefahr von Geheimhaltung kritischer betrachtet wird.

Zollner ist ja sehr breit aufgestellt. Inwieweit spiegelt sich das auch in Ihren Entwicklungsteams wieder? Wird dort vertikal nach Branchen entwickelt?

Getreu unserem Leitsatz „Wir entwickeln komplexe mechatronische Systeme - von der Idee bis zum Life Cycle Engineering“ haben wir die Organisation in der Produktentwicklung aufgebaut. Die Ressourcenverteilung berücksichtigt alle drei Teilgebiete der Mechatronik, also der Mechanik, Elektronik und Informatik, adäquat. Zusätzlich haben wir unser Angebotsportfolio um das Thema Biochemie erweitert. Die Teams sind sowohl branchen- als auch technologiespezifisch zusammen gesetzt und arbeiten interdisziplinär in Projekten. Dadurch entstehen Flexibilität, branchenübergreifende Synergien und Innovationen, die uns eine optimale Adaptierung an die jeweiligen Kundenanforderungen ermöglichen. Mit unserer homogenen Branchenverteilung legen auch in der Zukunft den Fokus auf verschiedene Bereiche. Das daraus geschöpfte Know-how, die daraus entstehenden Synergieeffekte nutzen wir für neue Entwicklungen und schaffen dadurch einen Mehrwert für unsere Kunden.

Welche Rolle spielt lokale Nähe zum Kunden bei der Entwicklung?
Wir betrachten uns als Global Player, sind aber dennoch auch Partner für kleine und mittelständische Betriebe direkt vor Ort. Die Nähe zum Kunden bei der Entwicklung ist für uns sehr wichtig, deshalb auch unser local-for-local-Ansatz, doch noch wichtiger als die direkte persönliche Nähe ist die enge, nachhaltige Partnerschaft.

Je enger und früher der EMS mit seinem Kunden zusammenarbeitet, umso besser für das zu fertigende Produkt, Stichwort Design for Manufacturing: Welche Vorteile bietet es also dem Kunden, wenn er den EMS frühzeitig in den Entwicklungsprozess einbindet?

Design for Manufacturing ist dabei nur ein Aspekt, der im Rahmen des NPI-Prozesses eine Rolle spielt. Der Produktpreis in der Entwicklung wird zu 80% durch das Design und die Materialauswahl bestimmt. Nur noch 20% können durch Einkauf und Produktion beeinflusst werden. Das bedeutet, dass entsprechende Expertise, wie z. B. Design to Cost und alle DfX-Maßnahmen schon viel früher eingesetzt werden müssen. Zu betrachten sind dabei ebenfalls die Verfügbarkeit und der Life-Cycle-Status der eingesetzten Komponenten.
Ein weiterer wesentlicher Vorteil ist die Unterstützung des Kunden bei den immer kürzer werdenden Time-to-market-Anforderungen. Zollner hat dafür ein breites Spektrum an Simulationswerkzeugen im Programm, die ihre Vorteile gerade bei kostenintensiven Designphasen ausspielen. Sie ermöglichen eine Reduzierung der Musterphasen und deren Verifizierung auf ein Minimum und gewährleisten damit einen schnelleren und kostengünstigeren Markteintritt.
Zudem führen branchenübergreifende Synergien durch den Einsatz erprobter Technologien zu einer Win-win-Situation zwischen unseren Kunden und Zollner. Produktentwicklung bei Zollner als E²MS bedeutet die Symbiose aus Ingenieursleistung und Produktions-Know-how, was eine nachhaltige Partnerschaft generiert.

Gibt es in anderen Regionen ebenfalls den Trend hin zu mehr Entwicklungsarbeit durch den EMS oder ist das ein rein europäisches Phänomen?   

Wir sehen diesen Trend momentan nicht nur in Europa. Anfragen nach Entwicklungsdienstleistung unterschiedlichster Ausprägung erhalten wir auch in China und in unserem US-Standort.
Das Thema Entwicklungsunterstützung wird aus unserer Sicht in Zukunft immens wichtig sein. 80% der Produktionskosten werden im Zuge der Entwicklung festgelegt. Produkte, die wir (mit-) entwickelt haben, »passen« besser in unsere Produktion. Dadurch können wir dem Kunden einen höheren Mehrwert bieten, außerdem eine höhere Prozessfähigkeit.

Die Erfahrung zeigt, dass global, speziell in Nordamerika und Asien, ein großer Bedarf an Dienstleistung im Bereich Produktion und NPI besteht. Daraus abgeleitet spielt das Thema Design-to-Cost natürlich hier eine sehr große Rolle. Um diesen Mehrwert für den Kunden zu schöpfen, braucht es eine ganzheitliche Betrachtung des Produktes, was ohne entsprechende Kompetenz im Bereich Produktentwicklung nicht möglich ist.

Man muss die Fragestellung auf jeden Fall differenzieren in Kunden aus der Region und Kunden aus anderen Regionen, die in der jeweiligen Region produzieren. Bei europäischen Kunden die in Asien entwickeln wollen, sehe ich einen ähnlichen Trend wie hier. Viele haben aber selbst eine Entwicklung z. B. in Asien aufgebaut.

Das Interview führte Karin Zühlke


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