Zukunft von EMS

Werden EMS-Unternehmen Systemintegratoren?

14. November 2013, 12:18 Uhr | Heinz Arnold
Auf der productronica 2013 trafen sich Geschäftsführer von EMS-Unternehmen und sprachen über die Zukunft der EMS-Branche.(v.l.n.r.) Roland Hollstein, Grundig Business Systems, Hans Magon, Asteelflash, Michael Velmeden, cms electronic, Karin Zühlke, Markt&Technik, Johann Weber, Zollner, Rüdiger Stahl, TQ Group, Pierre Ball, Lacroix Electronics.

Die EMS-Firmen vertiefen ihre Wertschöpfung, sie bauen Kompetenznetzwerke auf und übernehmen Aufgaben des Projekt-Managements. Die Zeiten der reinen Lohnfertigung sind in Zeiten steigender Produktkomplexitäten und immer kürzerer Produktlebenszyklen vorbei. Die Chancen und Risiken, die sich daraus für die EMS ergeben, diskutierten Branchenexperten unter Leitung von Karin Zühlke, Redakteurin von Markt&Technik, auf der productronica 2013.

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Die Wertschöpfungskette zu vertiefen – ist das der logische Schritt für ein EMS-Unternehmen? »Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten«, sagt Michael Velmeden, Geschäftsführer von cms electronics. Denn dann nimmt ja jemanden anderen etwas weg.« Und wenn derjenige, dem man etwas wegnimmt, der eigene Kunde ist, wäre das wohl für den EMS keine so gute Idee. Deshalb ist für Johann Weber die Antwort klar: »Eigene Produkte werden wir – mit Ausnahme unseres Further Drachens – niemals entwickeln.« Dennoch ist er überzeugt, dass die Zukunft darin liegt, möglichst früh zusammen mit den Kunden in die Entwicklung einzusteigen. Qualität, Design for Manufacturing, und Design for Test – das kann nur gewährleistet werden, wenn der EMS von Anfang an ins Boot geholt wird. »80 Prozent der Kosten entstehen in der Produktion«, so Weber. Deshalb sollte der EMS das Produkt vom Start der Entwicklung bis hin zum Service bekleiten. Aber eben als reiner Dienstleiter. Dieser Überzeugung ist auch Pierre Ball von Lacroix Electronics. »Wir betreiben mehr Technologie-Zentren als Fertigungen, um die Kunden in der Entwicklung zu unterstützen, aber es darf noch nicht einmal das Gefühl aufkommen, wir könnten zu unseren Kunden in Wettbewerb treten.«

Der EMS-CEO-Round-Table auf der productronica

Rüdiger Stahl

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Etwas anders sieht es Rüdiger Stahl von TQ Group. Auf der einen Seite stehe die Kernkompetenz des Kunden, auf der anderen Seite die aktuelle Entwicklung hin zu immer höherer Komplexität der Produkte. Deshalb erwarte der Kunde vom EMS bereits, dass er Expertenwissen zur Verfügung stelle. Dabei geht TQ den Weg, den Kunden einen Baukasten von Hardware- und Software-Elementen zu bieten, auf deren Basis er dann sein Produkt aufbauen kann. »Wenn wir Immer wieder neu das Rad zu erfinden müssten, könnten die Kunden mit den immer kürzer werdenden Lebenszyklen der Endgeräte nicht zurecht kommen, ihre Entwicklungszeiten würden zu lange und zu teuer.« Zudem nehmen die Kunden den EMS zunehmend auch in die Pflicht, ihr Risiko zu minimieren: »Kunden aus der Luftfahrtindustrie fordern schlüsselfertige Systeme. Das bietet die Chance, Wettbewerbsvorteil sowohl für den Kunden als auch für uns zu generieren.«

Zweigleisig fährt auch Grundig Business Systems. Roland Hollstein sieht in seinem Fall keine Widersprüche darin: »Unsere Produktion ist Dienstleister für uns als Produkthersteller genauso wie für unsere Kunden. Ein Konkurrenzverhältnis auf dieser Ebene gibt es zwischen uns und unseren EMS-Kunden nicht.«

Doch auch wenn es in Nuancen Unterschiede gibt, so waren sich die Teilnehmer der Diskussion doch einig, dass der Trend zur tieferen Wertschöpfung geht. Ein wichtiges Element ist dabei auch die Kundennähe. Gemeinsam schon früh die Entwicklung mit den Kunden voran zu treiben, das erfordert räumliche Nähe. Denn unterschiedliche Zeitzonen, unterschiedliche Sprachen und unterschiedliche Kulturen können zu Missverständnissen und zeitlichen Verzögerungen führen – dem Gegenteil von dem, was mit Entwicklungsunterstützung gemeint ist. Roland Hollstein: »Wir wissen wann wo und wie etwas passiert, diese Kompetenz nutzen die Kunden und sie bezahlen auch dafür.«

Eng mit der Erweiterung der Fertigungstiefe und häufig auch mit der Nähe zum Kunden steht der Aufbau eines Partnernetzwerkes in Zusammenhang. Denn die Kunden der EMS-Unternehmen kommen aus den unterschiedlichsten Branchen, selbst große EMSler wären überfordert, sich in jedem Bereich – von Automotive über Mechatronik bis zu Hochfrequenztechnik bis zur Biochemie Kompetenzen aufzubauen. »Die Antwort kann nur sein, ein Partner zu involvieren, das verlangen auch die Kunden«, sagt Hans Magon von Asteelflash. Und Johann Weber ergänzt: »Netzwerke Partnerschaften sind die Zukunft. Die Netzwerke zu managen ist der Schlüssel zum Erfolg.« Hans Magon von Asteelflash stimmt zu: »Die Kunden fordern, das wir die Rolle des Projektmanagers übernehmen, also involvieren wir auch Partner und übernehmen die Verantwortung.«

Doch wäre es für die Kunden nicht kostengünstiger, selber die Partner zu finden und einzubinden? Davon sind die EMS-Firmen nicht überzeugt, denn die Partner wollen ja nicht selber fertigen und die Kunden erwarten, dass jemand für das Projektmanagement verantwortlich ist. »Für sie kommt es schlussendlich auf die Total Cost of Ownership an«, sagt Pierre Ball. Wenn man nur Ingenieurbüros mit der Entwicklung beauftragt, dann könnten hohe Transferkostgen entstehen, um die Produkte in die Stückzahlfertigung zu bringen. »Wenn von Anfang an nicht auf Design for Manufacturing und Design for Testability geachtet wird, hat das hohe Kosten zur Folge.«

Der Trend geht also eindeutig in Richtung Systemintegration und die EMS-Firmen sind gefordert, mehr Verantwortung für den Gesamtprozess zu übernehmen und in immer neue Felder vorzudringen – ein Stichwort wäre Mechatronik – und sich neue Kompetenzen anzueignen oder zumindest über ein Partnernetzwerk zur Verfügung zu stellen. Zudem wollen die Kunden einen Teil des Risikos auf die EMS-Firmen verlagern. Die EMS-Hersteller auf dem Weg zur eierlegenden Wollmilchsau? »Da ist was Wahres dran«, antwortet Johann Weber. Michael Velmeden meint, dass ein EMS sich deshalb immer bewusst machen sollte, was noch in seinem Verantwortungsbereich liegen sollte, und was nicht mehr dazu gehört. »Die Gefahr liegt darin, sich zu verzetteln.«


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