Berger plädiert deshalb dafür, auch bei der Niederspannungsversorgung langfristig den Gleichstrom nicht außer Acht zu lassen. »Gleichspannungsversorgung ist für viele Anwendungsbereiche ein Gebot der Vernunft«, sagt der Elektrotechniker, der 2003 an die TU Ilmenau kam.
Welche Netzstrategien dafür geeignet wären – bei dem bewährten existierenden AC-Netz auf DC-Netze mit DC-Erzeugern und Verbrauchern überzugehen oder der Parallelbetrieb beider Systeme – sind indes nicht seine Forschungsthemen. Das Team an seinem Lehrstuhl beschäftigt sich überwiegend mit Schaltgeräten für die Elektroinstallationen sowie mit Isolierstoffen und da wirft der Gleichstrom bzw. die Gleichspannung einige Fragen auf.
Eine betrifft die Schalter. Wer zuhause einen Lichtschalter betätigt, kann zurecht erwarten, dass das Licht ausgeht. Das funktioniert zuverlässig, weil der im Schaltvorgang auftretende Lichtbogen zwischen den sich trennenden Schaltkontakten immer verlöscht, dank der Tatsache, dass der Wechselstrom zweimal im 50-Hz-Takt einen Nulldurchgang hat.
Nicht so bei Gleichspannung. Betätigt man hier den Schalter, fließt der Gleichstrom weiter, da er keinen Nulldurchgang hat, wo der Lichtbogen verlischt. Spezielle gerätetechnische Maßnahmen sind notwendig, um ein Verlöschen des Schaltlichtbogens zu erzwingen. Anderenfalls kann es zur Zerstörung des Schalters und zum Brand kommen. Deshalb tüfteln die Ilmenauer Wissenschaftler auch an neuen DC-Schaltkonzepten für Gleichspannungsnetze von der Niederspannung bis zur Hochspannung.
Ein weiterer Forschungsgegenstand am Lehrstuhl sind Kabel und hier insbesondere die elektrischen Felder, die sich zwangsläufig über dem Isolierstoff aufbauen. Bei Hochspannungskabeln ist die elektrische Feldverteilung bei Gleichspannung eine völlig andere als bei Wechselspannung. Deshalb sind die Isolierstoffe für Kabel der Hochspannungs-Gleichstromübertragung deutlich teurere Spezialanfertigungen, was sich aber durch die geringen Energieverluste über große Distanzen dennoch rechnet.
Und wie sieht es bei niedrigen Spannungen aus? Hier gibt es bisher keinerlei wissenschaftlich belastbare Aussagen und wenige praktischen Erfahrungen. Die Kabelhersteller interessiert natürlich zuallererst, ob sie ihre Wechselspannungs-Kabel auch in Gleichspannungsnetzen einsetzen können.
Bergers Antwort klingt ein wenig nach Radio Eriwan: »Im Prinzp ja« So sind Kabel zum Beispiel der Marke Ölflex Classic 110 nach VDE 0298-3 prinzipiell für Gleichspannungen bis 412,5/825 V geeignet. Bergers Team hat begonnen, diese Kabel von Lapp in einem speziellen Versuchstand experimentell zu untersuchen.
Dennoch gibt es ein dickes Aber: Erste Laborversuche deuten darauf hin, dass ein und dasselbe Kabel bei Gleichspannung anders beansprucht wird als bei Wechselspannung. Die Ursache liegt in der Abhängigkeit der Spannungsfestigkeit von der Temperatur – diese Festigkeit nimmt bei hohen Temperaturen bei Gleichspannungsbeanspruchung merklich ab. Weitere Tests sollen nun untersuchen, wie sich dies insbesondere auf die Alterung des Materials bei gleichzeitiger mechanischer Belastung auswirkt.
»Die Kabelhersteller müssen sich mit diesem Thema beschäftigen«, sagt Berger. Guido Ege, Leiter Produktmanagement und Produktentwicklung bei Lapp, stimmt zu: »Es ist sehr wichtig, diesen Zusammenhang zu kennen, und uns bei Lapp ist es wichtig, uns heute schon mit diesem Zukunftsthema auseinander zu setzen.« Ob es einmal ein eigenes Lapp-Portfolio für Gleichstrom geben muss, sollen die weiteren Versuche in Ilmenau klären. Immerhin gibt es schon ein erstes Produkt: Ölflex DC 130H.