Ladungsträger sammeln sich auf Kabeln oder auf anderen schlecht leitenden Gegenständen meist durch Reibungselektrizität. Damit sich die Spannung nicht auf kritische Werte erhöht, sollte die Ladung möglichst schnell abfließen können. Das Geheimnis des antistatischen Kabels ist deshalb die Ableitfähigkeit des Mantelkunststoffs. Die Aufgabe der Lapp-Ingenieure bestand darin, diese zu steigern beziehungsweise den Oberflächenwiderstand zu verringern.
Ein Material ist ableitfähig, wenn der spezifische Widerstand mehr als 104 Ωm und weniger als 109 Ωm beträgt. Eine zweite Größe ist der Oberflächenwiderstand. Dieser muss zwischen 104 Ω und 109 Ω liegen, gemessen bei 23 °C und 50 Prozent relativer Luftfeuchtigkeit, beziehungsweise zwischen 104 Ω und 1011 Ω bei 30 Prozent relativer Luftfeuchtigkeit.
Festgelegt ist dies in der TRBS 2153, die sich mit der Vermeidung von Zündgefahren beschäftigt. Die ATEX-Richtlinie 2014/34/EU beschreibt den Explosionsschutz auf europäischer Ebene. Die Umsetzung der ATEX-Richtlinie erfolgt in jedem europäischen Mitgliedsstaat in eigenen nationalen Gesetzen und Verordnungen. In Deutschland erfolgte dies durch die Explosionsschutzverordnung (11. ProdSV) sowie die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV). Daraus leitet sich die TRBS (Technische Regeln für Betriebssicherheit) ab.
Das neue antistatische Kabel liegt innerhalb dieser Grenzen. Das belegen umfangreiche Messungen im hauseigenen Testlabor in Stuttgart. Es simuliert harte klimatische Bedingungen wie Trockenheit, Feuchte, Hitze und Kälte. Produziert wird das Kabel in Grimaud in Frankreich, wo die Lapp-Gruppe die Fertigung von Sonderkabeln konzentriert hat. Bei ausreichender Nachfrage können diese Kabel aber auch in Stuttgart gefertigt werden.
Patentgeschütztes Verfahren
Um die Ableitfähigkeit zu steigern, mengen die Ingenieure dem Kunststoff ein Additiv bei. Die Befürchtung, darunter könnte die elektrische Isolation des Kabels leiden, ist unbegründet, denn die Isolation der Leiter erfolgt immer über die Aderisolation, also den Kunststoff, der die Leiter umhüllt. Der äußere Mantel eines Kabels hat keine isolierende Aufgabe, sondern dient dem mechanischen Schutz, etwa gegen Öl, Chemikalien oder wie in diesem Fall gegen Bohrschlamm sowie bei Biegung, Torsion und Reibung. Der Kabelhersteller hat mit dem Hersteller des Additivs, einem großen Kunststoffproduzenten, eine Exklusivvereinbarung: Derzeit darf nur Lapp dieses Material für Kabel nutzen.
Die Zusammensetzung des Additivs ist patentgeschützt, ebenso der aufwendige Prozess, in dem das Additiv in der richtigen Menge und Durchmischung dem Kunststoff beigegeben wird (Bild 3). Eine weitere Herausforderung war, nicht nur die oben genannten Voraussetzungen zur Vermeidung von Zündgefahren zu erfüllen, sondern auch die NEK 606 – eine besonders strenge Norm, die Eigenschaften von marinen Kabeln und den Schutz gegen Bohrschlamm regelt. Beide Eigenschaften zu vereinen ist die eigentliche Innovation.
Weitere Branchen im Fokus
Der antistatische Kabelmantel ist auch für andere Industriezweige interessant, in denen Explosionsgefahr ein Thema ist. Das ist überall dort der Fall, wo Öl, Gas oder zündfähige Chemikalien im Spiel sind, aber auch in der holzverarbeitenden Industrie, wo Holzstäube eine Gefahr darstellen, oder bei der Verarbeitung von Mehl in der Lebensmittelbranche. Die antistatische Wirkung des neuen Kabelmantels lässt sich dort durch metallische Kabelverschraubungen an Schaltschränken wie Skintop Brush noch steigern. Die Ladungsträger auf dem Kabelmantel werden über diese Verbindung abgeleitet, ähnlich wie bei einer Erdung über Metallbänder.
Das Material, das der Kabelhersteller entwickelt hat, ist universell als Kabelmantel in explosionsgefährdeten Anlagen einsetzbar. Auf Nachfrage ist zum Beispiel die Anschluss- und Steuerleitung Ölflex 865P ebenfalls mit diesem ableitfähigen Mantelmaterial lieferbar. Diese Leitung ist beständig gegen Öl-und Bohrschlamm nach NEK TS 606, eignet sich für hohe Beanspruchungen in Energieführungsketten und erlaubt eine platzsparende Verlegung dank reduziertem Außendurchmesser. Bei entsprechender Nachfrage der Kunden wird der Kabelspezialist weitere Kabeltypen mit antistatischen Eigenschaften entwickeln und als Katalogware anbieten. Solche Kabel wären dann für viele weitere Kunden erschwinglich und attraktiv.