Hat sich das Kundenverhalten bzw. die Anforderungen, die die Kunden an Sie stellen, mit den steigenden technischen Herausforderungen verändert?
Auf alle Fälle. Der Systemgedanke steht im Mittelpunkt. Die Kunden wollen mit uns nicht über einzelne Bauteile sprechen, sondern darüber, wie sie zu einer Lösung für ihre Applikation kommen. Das ist natürlich eine Herausforderung für die FAEs. Sie müssen weg vom »Chip-Denken« hin zu einer applikationsübergreifenden Denke. Hier ein Beispiel: Möchte ein Kunde einen BLDC-Motor mit einer PWM ansteuern, erwartet er heute neben der puren BOM zur Lösung auch ein komplettes Eco-System mit Betriebssystem, Entwicklungstools und evtl. externen Dienstleistern.
Als wahres Eldorado für die Distribution gelten die erneuerbaren Energien - von den Speichertechnologien bis hin zur Solarkraft -, wobei auf die Goldgrube »Solar« mittlerweile Schatten gefallen sind. Wie zukunftsträchtig sind diese Segmente aus Ihrer Sicht?
Der Solarmarkt ist nach wie vor sehr interessant, aber er wird sich verändern. Was wir hier beobachten, ist ein Paradigmenwechsel: vom bisher gängigen Rentabilitätsmodell durch die Rückspeisung ins Stromnetz hin zur Unabhängigkeit von der öffentlichen Stromversorgung. Im Zuge dessen werden sich auch die technischen Anforderungen ändern. Die Energiespeicherung - beispielsweise in Form von Brennstoffzellen - rückt ins Zentrum der Überlegungen.
Für uns eröffnen sich hier ganz neue Potenziale, beispielsweise im Bereich der Lade- und Entladeelektronik. Auch hier gilt: Der Kunde erwartet von uns, dass wir seine Anforderungen verstehen und ihn entsprechend bei der Umsetzung seiner Applikation unterstützen.
Haben Sie in diesem Segment bereits Kunden?
Wir arbeiten mit Leitkunden im Solar-, aber auch Windkraftbereich zusammen, die derzeit Konzepten zur Energiespeicherung erarbeiten. Wir unterstützen diese Kunden bei der Umsetzung der Elektronik. Details können wir dazu momentan leider nicht bekannt geben.
Mit der Mechanik, also beispielsweise der Brennstoffzelle selbst, werden wir uns aber auch in Zukunft nicht beschäftigen.
Wenn wir von Innovationen in punkto Energieeffizienz sprechen, dann sind wir schnell beim Modebegriff »Energy Harvesting« angelangt. Wie beurteilen Sie das Potenzial für solche Anwendungen?
Energy Harvesting ist im Prinzip nichts anders als Power-Management - und auch getrieben durch den Consumer-Bereich. Der Verbraucher ist in den letzten Jahren viel energiebewusster geworden. Das spiegelt sich u.a. in der Forderung nach energieautarken Geräten wieder.
Aber kommen wir zurück auf das Power-Management: Dieses Segment werden wir weiter ausbauen, denn hier gibt es meines Erachtens noch einiges Wachstumspotenzial. Der Bereich ist breit gefächert von der Spannungsversorgung bis hin zur Infrastruktur - also wie kommt der Strom von Norden nach Süden? Hier gibt es noch viele ungelöste Fragen und Raum für Innovationen!
Vor gut einem Jahr hat Silica ein Lighting-Team gegründet. Wo stehen Sie mit diesem Team jetzt?
Wir verfügen mittlerweile über eine breite Basis von aktiven Kunden in diesem Bereich. Unser Engagement im Lighting-Sektor sehe ich als langfristiges Investment. Der Markt entsteht gerade erst, und wir sind mit im Boot, das ist entscheidend.
Sind LEDs inzwischen nicht als Commodity-Geschäft wenig lukrativ?
Natürlich muss man hier zwischen Standard-LEDs und High-Brightness-(HB-)LEDs unterscheiden. Aber es ist richtig: Die LED alleine zu verkaufen, ist nicht alles. Auch in diesem Bereich (HB) haben wir es mit einem Preisverfall zu tun, der eine Assoziation zum Commodity-Geschäft nahe legt. Gleichzeitig schnellt der Bedarf an Lighting-Lösungen exorbitant in die Höhe. Um die Wertschöpfung für uns zu optimierten, bringen wir neben dem Lighting-Know-how unser Halbleiterexpertise mit ein, um so intelligente Lösungen für Lichtsteuerung zu ermöglichen, denn die wenigsten Kunden kaufen nur die Lichtquelle. Der Großteil der - potenziellen - Kunden will zusätzlich auch die Stromquelle oder/und die Ansteuerelektronik aus einer Hand.
Bei der Beleuchtung liegt noch viel Potenzial brach, vor allem in Verbindung mit Sensornetzwerken. Allein in der Beleuchtung von öffentlichen Flächen und Straßen wäre hier noch einiges möglich.
Wenn es um Innovationen geht, wird gerne auch das Wireless-Segment genannt. Wie schätzen Sie diesen Bereich - für die Distribution - ein?
Embedded Connectivity zählt laut unserer Trend-Umfrage, die wir vor kurzem durchgeführt haben, zu den meist genannten Schlagwörtern. Hier sind wir im Mittelstandssegment seit einigen Jahren aktiv. So ist Silica Mitglied der EtherCAT-Usergroup, wo wir aktiv bei der Pflege und Verbreitung des EtherCAT-Standards mitarbeiten. Innovative Lösungen in diesem Bereich bieten wir beispielsweise über unsere Partnerschaft mit Xilinx.
Sehr interessant ist übrigens auch die Nearfield Communication, die z.B. verstärkt die Bezahlung an POS-Terminals ohne Chip-Karte ermöglich soll. Man hält beispielsweise einfach das Smartphone ans Terminal und kann so geld- und kartenlos bezahlen. Im Smartphone-Segment wird die Distribution sicher keine Rolle spielen, das ist und bleibt Direktgeschäft. Aber bei den POS-Terminals können wir durchaus mitspielen.
Nun ziehen die Innovationen auf Bauelemente-Ebene gleichzeitig eine höhere Integration nach sich, und damit reduziert sich die Anzahl der eingesetzten Bauteile deutlich. Heißt das also künftig weniger Geschäft für die Distribution?
Nein, das kann man so nicht sagen, weil durch den Systemgedanken auch die Wertschöpfung für die Distribution steigt. Sicher reduziert sich die Anzahl der Bauteile auf einem Board, aber durch höhere Integration und zusätzliche Funktionen bei gleichzeitiger Miniaturisierung werden die Komponenten zuverlässiger, hochwertiger und bieten dadurch natürlich eine höhere Wertschöpfung.
Sie haben es vorhin schon angesprochen: Große Kunden wie Smartphone-Hersteller sind und bleiben Direkt-Accounts der Hersteller. Wird der Kuchen für die Distribution in Europa trotzdem größer werden?
Dessen bin ich mir sicher. Die Bedeutung der Distribution wird weiter steigen. Das Direktgeschäft in Europa wird weiter abnehmen. Der Vertrieb über die Distribution ist schlichtweg der günstigste Vertriebskanal für den Halbleiterhersteller.
Aber auch das Bild der Distribution ist inzwischen ein völlig anderes: In den letzten Jahren ist die Reputation der Distribution gewaltig gestiegen. Dazu beigetragen haben neben der technischen Expertise vor allem die Logistikservices, durch die die Distribution immens punkten kann, denn Logistik zählt nicht zu den Kernkompetenzen der Komponenten-Hersteller. Auch bei Direktkunden greifen die Hersteller bisweilen gerne auf unsere Logistik-Unterstützung zurück, dadurch eröffnen sich für die Distribution neue Potenziale für Geschäftsmodelle, bei denen sich durch die Balance aus technischer Betreuung und logistischer Kompetenz eine klare Wertschöpfung für den Kunden ergibt.