An den richtigen Stellschrauben drehen

Beim Einkauf nicht mit den Falschen verhandeln!

30. April 2024, 13:38 Uhr | Karin Zühlke
© Werify

An welchen Stellschrauben mittelständische Handelsunternehmen und Startups drehen können, um durch kluge Beschaffung herausfordernde Zeiten zu meistern: fünf Handlungsempfehlungen von Ralf Maurer, Gründer von Wertify Consulting.

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Die Corona-Krise mit ihren anhaltenden Nachwehen aus Lieferengpässen, Inflation und neuen internationalen Beschaffungsstrukturen stellt die deutsche Wirtschaft auf eine harte Probe. Dazu kommen weitere Herausforderungen wie das geplante Lieferkettengesetz und Berichtspflichten nach ESG. Je höher der Wettbewerbsdruck, desto wichtiger wird das Zusammenspiel aller Unternehmensbereiche. Auch und gerade im Einkauf verbergen sich Potenziale, die positiven Impact auf die Wettbewerbsfähigkeit haben.

Was ist eigentlich ein guter Deal?

Noch vor ungefähr drei Jahren lag die Antwort in den meisten Branchen auf der Hand: Schon im Vorfeld der Verhandlungen kannten versierte Einkäufer den Zielbereich, die Preisforderungen des Lieferanten und die preisliche Schmerzgrenze. Jede Krise brachte Veränderungen, die heute direkten Einfluss auf Einkaufsgespräche ausüben. Verhandelnde hadern mit der Frage, welche Preiserhöhung noch vertretbar ist. Bekomme ich überhaupt noch Ware, wenn ich zu hart verhandele? Was ist mit Shrinking-Verpackungen, also versteckten Preiserhöhung – akzeptieren oder zurückweisen? Und wie kann ich stabile Beschaffungsquoten am besten absichern?
Unternehmen dürfen den Einkauf in dieser Situation nicht allein lassen. Viele dieser Fragen müssen sie strategisch und gemeinsam mit dem Vertrieb beantworten. Das kann aber nur im Vorfeld passieren. Es bedarf einer grundlegenden Situations- und Marktanalyse, um für wichtige Lieferantentermine eine passende Strategie mit konkreten Zielgrößen vorzubereiten. Einige Händler schaffen es sogar, aus der Not eine Tugend zu machen, und nutzen die verwirrende Marktlage für einen kompletten Sortiments-Review. Sind etablierte Marken auch nach 15 bis 20 Prozent Preiserhöhungen immer noch erste Wahl beim Kunden? Gibt es vielleicht bessere Alternativen aus der zweiten Reihe? Wer sich diese Fragen im Vorfeld stellt, kann selbstbewusst in das Gespräch, auch mit großen Lieferanten und Marktführern, gehen.

Erfolgreich mit dem Falschen verhandelt

Manchmal hören Einkäufer nach einer schwierigen Verhandlung und einem vereinbarten Deal folgende Worte: Ich werde meinem Vorgesetzten unsere Vereinbarung vorstellen und bin zuversichtlich, die Zustimmung zu erhalten. Dann wissen sie, dass ihr Gegenüber kein umfassendes Mandat hatte. Diese Realsituation stellt gerade mittelständische Handelsunternehmen und junge E-Commerce-Anbieter vor große Herausforderungen. Häufig existieren mehr Hierarchie-Ebenen auf der Industrieseite als im Mittelstand, und selbst Direktoren mit großem Titel verfügen nicht immer über eine umfängliche Berechtigung. Um hier keine Ressourcen zu verschwenden, sollten Einkäufer klug recherchieren und im Vorfeld den Entscheidungsumfang abfragen. Bleibt dieser Weg verschlossen, kann auch die Einkaufsseite einen Vorbehalt herstellen und in wichtigen Situationen auf die Unterstützung von professionellen, externen Partnern zurückgreifen. So bleibt der Entscheider im Hintergrund, läuft aber nicht Gefahr, die Gesprächsführung in weniger kompetente Hände abgeben zu müssen.

Transparenz im Wettstreit mit Großunternehmen

In Zeiten von Ressourcenverknappung sind sogenannte Preferred Delivery-Agreements an der Tagesordnung. Corporates und Konzerne versuchen über meist vertrauliche Vereinbarungen Wettbewerbsvorteile bei ihren wichtigsten Lieferanten zu erzielen. Im Rahmen dieser Übereinkommen reservieren Hersteller Warenbestände im ERP-System und bearbeiten Bestellungen bevorzugt. Für den Mittelstand ist es eine Option, diese Verabredungen offen bei den Lieferanten anzusprechen. Damit bauen Unternehmer Transparenzdruck auf und weisen im Einzelfall auf juristische Folgen bei Verstoß gegen Wettbewerbsregeln hin. Alternativ oder ergänzend lohnt der Blick auf das eigene Sortiment. Lässt es sich über Lieferantenkonzentration so umgestalten, dass die Beziehung zu wenigen wichtigen Lieferanten für diese verbindlicher wird? An dieser Stelle zeigt sich klar, wie wichtig ein enges Zusammenspiel von Einkauf und Category-Management ist.

Ausbau der Eigenmarken

Die hohe Inflation führt in vielen Branchen zu Marktanteilsgewinnen der Eigenmarken. Doch wer sich heute für den Ausbau des Eigenmarkenportfolios entscheidet, sollte zukünftige Anforderungen mitdenken: Durch die geopolitische Lage bleibt die Beschaffung von Eigenmarken in Fernost erstens teurer und zweitens wenig planbar. Auch das geplante EU-Lieferkettengesetz wird nach Verabschiedung gerade für mittelständische Betriebe die Anforderungen für die Kontrolle von Beschaffungsprozessen sowie die Berichtspflichten hochschrauben. Händler und Großhändler sollten die Risikofaktoren dem erhöhten Margenversprechen gegenüberstellen und dabei professionelle Unterstützung von extern hinzuziehen – andernfalls kann das Eigenmarken-Abenteuer ein unschönes Ende nehmen.

Category-Review vs. Cost-Cutting

Viele Unternehmen treten aktuell, in Zeiten voller Läger und erhöhtem Finanzdruck, einseitig auf die Kostenbremse. Verständlich, aber auch gefährlich, denn es droht eine negative Spirale von Leistungseinschränkungen, Kundenverdruss und Umsatzrückgang. Eine sinnvolle Alternative zum einschneidenden Kostenabbau stellt eine systematische Category-Review dar. Gemeint ist ein prüfender Blick auf die Ertragspotenziale und die sich hieraus ergebenden Optimierungsmöglichkeiten. Einsparpotenziale verbergen sich im Einkauf, bei versteckten Erträgen im Warenbestand und in vielfältigen Sortimentsoptimierungen. Mit einer tiefen Ergebnisanalyse des Sortiments treten in der Regel Margensteigerungen von ca. 1,5 Prozent zutage.


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