Inwieweit spiegelt sich die wachsende Bedeutung der Software auch personell wider?
Zum 1. März haben wir eine neue Director-Position geschaffen. Die Funktion soll dieses Thema weiter vorantreiben und auch identifizieren, was in unserem Ecosystem noch fehlt, z. B. zusätzliche Software-Spezialisten oder Partner.
Von Applikationsseite sehen wir beispielsweise bei Motor Control und Automotive großes Potenzial, die Kunden – auch – softwareseitig zu unterstützen, um mit ihren Produkten schneller auf den Markt zu kommen.
Es haben sich Veränderungen im Vertrieb von Avnet Embedded angedeutet. Welche Rolle spielt EBV dabei in Zukunft?
Der Vertrieb von Avnet Embedded wurde umgestellt. Wir haben uns innerhalb von Avnet entschlossen, das Geschäft von Avnet Embedded über die Speedboats zu spielen. Bei der EBV sind wir damit im ersten Schritt in Zentraleuropa gestartet.
Zum einen gibt es uns Zugang zu Themen und Kunden, mit denen wir in der Vergangenheit noch nicht oder nicht umfassend zusammengearbeitet haben. Denn diese Kunden befinden sich unter Umständen in der Wertschöpfungskette hinter den Kunden, mit denen wir typischerweise arbeiten. Diese Kunden benötigen z. B. eine Steuerungseinheit für einen Traktor, oder Steuerung und Display für ein medizinisches Gerät.
Das ist natürlich ein anderer Vertriebsansatz. In diesem Fall geht es mehr darum, das grundsätzliche Problem des Kunden zu verstehen und nicht eine Beratung auf der Komponentenseite durchzuführen. Für uns bedeutet das: Wir entwickeln uns von Vertriebsseite mehr in Richtung System Sales. Das heißt aber auch: Wir müssen die Kollegen entsprechend schulen, sie müssen verstehen, wie solche Vertriebsprozesse ablaufen.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Dieses Systemgeschäft ist sehr nachhaltig – kundenspezifische Designs sind nicht einfach zu verändern. Außerdem hatte die Avnet Embedded traditionell eine relativ überschaubare Kundenbasis. Als EBV können wir eine deutlich größere Zahl von interessanten Kunden ansprechen und dabei helfen, diese Themen zu skalieren. Auf der anderen Seite lernen wir – unsere Account Manager und FAEs – neue Themen dazu und können den Kunden in Bereichen Lösungen anbieten, die wir bisher nicht anbieten konnten.
Das ist ein Geschäft, das in Summe sehr gute Wachstumsraten prognostiziert und zwei bis drei Mal so schnell wie der Halbleitermarkt wächst. Wir sehen in diesem Geschäft einen sehr guten Hebel, das Gesamtgeschäft auszubauen.
Wird Avnet Embeded als eigenes Speedboat dann überhaupt weiter Bestand haben?
Ja – Avnet Embedded wird aber anders ausgerichtet sein. Für uns ist Avnet Embedded mehr ein Hersteller. Die Vertriebsorganisationen sind EBV, Avnet Silica und Avnet Abacus. Dahinter sitzt eine Business-Development-Funktion und eine Produktorganisation, die sicherstellt, dass die Anforderungen des Kunden verstanden werden, eine Spezifikation erstellt und umgesetzt wird.
Dennoch wurde in den letzten Jahren innerhalb der Speedboats immer wieder konsolidiert. Steht das Speedboat-Modell, das in der Ausprägung nur in Europa existiert, grundsätzlich infrage?
Nein, sonst hätte man diesen Schritt ja bereits getätigt. Im Gegenteil. Avnet in Europa ist die erfolgreichste Organisation innerhalb der Avnet-Gruppe. Es steht also nicht zur Debatte, das Modell zu korrigieren. Für uns geht es eher darum, dass wir die Stärken des Speedboats-Modell noch besser nutzen und auf Themen, die unter Umständen bisher noch weniger im Fokus stehen, auszuweiten.
Wir haben in den letzten drei Jahren zum Beispiel auch die Zusammenarbeit mit Avnet Abacus ausgebaut, wohingegen eine Zusammenlegung der Vertriebsmannschaft der beiden Divisionen keinen Sinn machen würde. Denn der Vertriebsprozess für Passive und Elektromechanik ist ein anderer als bei Halbleitern.
Die Allokation bzw. Knappheit im Halbleitersegment hat die Branche 2021 Kraft und Nerven gekostet. Wie geht es aus Ihrer Sicht 2022 weiter?
Ich denke daran, was im Markt derzeit passiert, da wird sich auch dieses und nächstes Quartal nicht viel ändern. Ich gehe davon aus, dass die Verknappung bestehen bleibt. Den Herstellern zufolge werden sich speziell im ersten Halbjahr keine entscheidenden Veränderungen in der Verfügbarkeit ergeben. Momentan scheint die Preiserhöhungswelle nicht zum Stillstand zu kommen, aber sich zu verlangsamen.
Ich gehe davon aus, dass wir zwischen Sommerpause und electronica Korrekturen sehen werden. Hintergrund ist, dass speziell bei den neueren CMOS-Technologien – 40 Nanometer und kleiner – die Kapazitätserhöhungen im zweiten Halbjahr zu greifen scheinen. Das bedeutet, dass sich das Backlog zu korrigieren beginnt und mehr Ware verfügbar wird. Meiner Ansicht nach werden auch viele Kunden noch mal ihre Bestellungen prüfen, wenn sie aus dem Sommerurlaub zurückkommen.
Momentan sind die meisten Kunden extrem vorsichtig, einen Auftrag anzufassen, weil sie nicht ihre Priorität im System verlieren wollen.
Also doch ein kleiner Lichtblick?
Nur punktuell. Denn insbesondere bei älteren CMOS-Technologien wird es eher schwierig. Das wird uns bis ins Jahr 2023 verfolgen, und ich könnte mir vorstellen, dass da die eine oder andere Abkündigungswelle kommt. Und ziemlich klar ist, dass Power bis Mitte 2023 extrem unter Druck stehen wird.
Mit welchen Planungshorizonten gehen Sie demnach in 2022 vor?
Das ist momentan für dieses Jahr extrem schwierig. Wir können momentan nur auf Sicht fahren. Wir gehen davon aus, dass irgendwann der Knick kommt. Es stehen sehr viele offene Aufträge bei den Herstellern, die auch überfällig sind. Es könnte also durchaus sein, dass wir – wie andere Distributoren auch – quasi von heute auf morgen sehr viel Ware geliefert bekommen. So etwas passiert üblicherweise dann, wenn das Geschäft für die Hersteller in Asien nach unten geht. Für uns ist es sehr wichtig, dass wir die Bedarfe genau anschauen und validieren und das, was wir in Richtung Hersteller platziert haben, kontinuierlich überwachen. Das ist ein Umfeld, wo Sie neben der Diskrepanz zwischen Hersteller- und Kundenaufträgen auch mit dem Thema »nicht stornierbare Aufträge« konfrontiert werden.
Laut Gartner sind die durchschnittlichen Verkaufspreise (ASPs) von Halbleitern wie Mikrocontrollern und ICs und einer Vielzahl von anwendungsspezifischen Halbleitern 2021 um 15 Prozent oder mehr gestiegen. Welche Auswirkungen hat das für die Distribution?
Der Punkt ist: Häufig kommen diese Preisankündigungen sehr kurzfristig. Bis wir diese weitergeben können, haben wir immer eine Zeitverzögerung. Das bedeutet, dass wir in diesem Zeitraum erst einmal weniger Marge generieren können. Natürlich sind die Kunden auch unglücklich darüber; etwa die Automotive-Branche hat sich daran gewöhnt, jedes Jahr 5 bis 7 Prozent Produktivitätsfortschritt zu erzielen. Letztes Jahr war das erste Mal, dass sich auch diese Branche signifikant mit Preissteigerungen auseinandersetzen musste.
Typischerweise haben die meisten Kunden im Moment akzeptiert, dass wir uns in einem Verkäufermarkt befinden. Aber wir sitzen als Distributor in der Mitte und haben keinen Benefit davon. Unser Umsatz, unser Backlog wird zwar größer, aber es ist nicht so, dass wir in dieser Zeit mehr Geld verdienen, denn 80 Prozent unseres Geschäfts sind Projektgeschäft. Da ist die Preisspanne relativ klar verhandelt.
Wir versuchen, unseren Kunden soweit wie es geht den Rücken frei zu halten. Aber am Ende des Tages müssen auch wir natürlich unser Geld verdienen.