Europa ist nach den Worten von CEO Phil Gallagher sozusagen ein Sweetspot für Avnet. Wir haben ihn zum Interview getroffen und mit ihm u. a. über die Bedeutung von Europa für Avnet, das Speedboat-Konzept, Avnets Engagement im Automotive-Sektor und die Zukunft der Distribution gesprochen.
Markt&Technik: Die Lieferketten sind seit zwei Jahren sehr fragil, aber auch die Nachfrage immens. Wie hat sich das Geschäft bzw. das Wachstum für Avnet in den letzten Monaten entwickelt?
Phil Gallagher: Wir sind gerade in der Quiet Period, da wir unser Fiskaljahr abschließen. Ich kann also nur unser 3. Quartal kommentieren. Aber wenn man sich das anschaut, war unsere Leistung in Europa fantastisch: ein Plus von 20 Prozent im Jahresvergleich, und innerhalb dieses Wachstums führt Zentraleuropa mit ca. 30 Prozent im Jahresvergleich. Aber auch andere Regionen wie Asien und Amerika performen sehr gut und sind auf dem Weg zu einem guten Wachstum.
Welche Bedeutung hat Europa im Vergleich zu Asien, im Vergleich zu den USA bezogen auf den Marktanteil?
In Asien bewegen wir uns bei 40 bis 43 Prozent. Amerika liegt Mitte 2023 bei 25 Prozent und auf Europa entfallen demnach etwa 35 Prozent des gesamten Geschäfts – und wiederum in etwa die Hälfte davon macht Zentraleuropa aus.
Zentraleuropa, also vor allem Deutschland, ist also ein sehr fruchtbarer Boden für Avnet.
In der Tat. Durch die zwei größten vertikalen Märkte, Industrial und das weite Feld Transportation/Automotive, ist das sozusagen ein Sweetspot für Avnet.
Das Speedboat-Konzept, das Avnet in Europa fährt, ist weltweit einzigartig. Wie sieht die Zukunft dieses Konzepts aus? Wollen Sie das so weiterführen?
Natürlich wird das Konzept immer mal wieder hinterfragt. Aber unsere Sicht der Dinge ist klar: Jede Region der Welt ist in gewisser Weise einzigartig. Es wäre einfach zu glauben, dass jeder Markt gleich ist, aber das ist er nicht, und jede Region ist ein wenig anders. Und innerhalb einer Region unterscheidet sich Europa wiederum von Asien, da es viele verschiedene Länder gibt, die unterschiedliche Erwartungen an Amerika stellen. Die Speedboats haben sich als sehr erfolgreich erwiesen. Wir haben also EBV und Avnet Silica als Markennamen, die sich beide auf die Bereiche Halbleiter und industrielle Automatisierung, Automotive und Transportation konzentrieren. Avnet Abacus ist übergreifend unser IP&E-Spezialist (IP&E: Interconnect, Passive & Electromechanical, Anmerkung der Red.). Und schließlich haben wir mit Avnet Embedded ein Speedboat, das Design und die Herstellung von Boards übernimmt – auch speziell für Kunden entwickelt.
Also, ein klares Bekenntnis zum Speedboat-Konzept.
Ja, Stand heute werden wir in Europa auch weiterhin mit dem Speedboat-Konzept am Markt sein.
Ich habe auch den Eindruck, dass Ihre Kunden das Konzept schätzen.
Da stimme ich Ihnen absolut zu. Aber auch unsere Lieferanten fühlen sich damit gut aufgehoben, denn sie bekommen einen besseren Fokus auf ihre Linien, weil wir keinen Bauchladen voller Linien anbieten. Und weil Demand-Creation ein so wichtiger Teil dessen ist, wie wir unsere Hersteller bei den Kunden platzieren, ermöglicht uns das, Demand-Creation und das Design-in zu maximieren.
A propos Nachfrage: Die scheint ja sehr groß zu sein, wenn man die Riesen-Investition in das neue Lager in Bernburg in Sachsen-Anhalt betrachtet. Können Sie uns ein paar Eckdaten zum neuen Lager nennen?
Ja, in der Tat, wir erwarten ein deutliches Wachstum der Industrie auf globaler Ebene. Europa und Deutschland wird sicher einen guten Anteil daran haben. Wir müssen also vorausschauend planen.
Auf einer Grundstücksfläche von ca. 190.000 m2 entsteht ein Hochleistungs-Distributionszentrum mit mehreren Logistikhallenabschnitten und vorgelagerten Sozial- und Verwaltungsgebäuden sowie entsprechenden Straßen- und Wegeflächen und grundstückseigene Parkplätze für PKWs und LKWs. Die Gebäudehöhe beträgt je Halle zwischen ca. 14 und 35 Meter Außenhöhe. Insgesamt werden in einem ersten Bauabschnitt Logistikflächen von 56.000 m2, Büroflächen von 4600 m2 sowie ein Produktveredlungscenter mit einer Fläche von ca. 1100 m2 geschaffen. Mögliche Erweiterungsflächen sind vorgesehen. Bis 2031 sollen hier insgesamt rund 700 Arbeitsplätze entstehen. Mit seiner verkehrsgünstigen Lage bietet Bernburg eine schnelle und effektive Anbindung zum Frachtflughafen Leipzig/Halle.
Was genau wird dort gelagert?
Das sich im Bau befindliche Hochleistungs-Distributionszentrum in Bernburg wird unser dritter Hub neben Poing und Tongeren in Europa werden. Vornehmlich werden wir von hier aus unsere Halbleiterbereiche unterstützen, aber Genaueres kann ich momentan leider noch nicht sagen.
Wann ist die Fertigstellung geplant?
Die haben wir für 2025 avisiert.
Und es handelt sich um ein vollautomatisches Lager?
Das Lager ist teilautomatisiert, in etwa 70 Prozent der Wertschöpfung ist automatisch, 30 Prozent manuell, denn wir dürfen nicht vergessen, dass 80 Prozent unserer Sendungen mit Value-Added Services wie Etikettierung, Programmierung etc. versehen werden. Das lässt sich nicht einfach automatisieren.
Sie werden dort viel Personal benötigen. Ist es nicht schwierig, Leute dorthin zu bekommen?
Das Umfeld ist in Bezug auf Arbeitskräfte sehr gut. Wir werden mehrere hundert Mitarbeiter benötigen, aber das ist ja auch gut für diese Region. Die Leute freuen sich, wenn sie einen guten Job haben.
Investiert wurde auch in Freiburg – was genau hat es damit auf sich?
Freiburg ist kein Lager, sondern eine Produktionsstätte. Damit werden wir unsere Produktion bei Avnet Embedded ungefähr verdoppeln. Die Eröffnung ist bereits für den 1. Juli geplant.
Ein großes Thema hier in Europa, und speziell in Deutschland, ist die Nachhaltigkeit. Welche Bedeutung misst Avnet als US-amerikanisches Unternehmen dem bei?
Nachhaltigkeit ist bei uns, wie bei vielen anderen auch, in dem umfassenderen Thema ESG – also Umwelt, Soziales und Governance – verankert und global für uns immens wichtig. Wir verfolgen regional und global Ziele, Initiativen und Aktivitäten, die unsere Auswirkungen auf die Umwelt reduzieren sollen. Alles das und mehr veröffentlichen wir jährlich in unserem Sustainability-Report, der letzte von 2022 ist im Januar dieses Jahres erschienen. Die verbesserte Energieeffizienz, Einsatz erneuerbarer Energien in unseren Gebäuden oder Konsolidierung von Standorten sind nur einige von vielen Aspekten. Wir arbeiten auch mit unseren Kunden und Lieferanten an nachhaltigen Technologien und unterstützen beim Einsatz und bei der Entwicklung wie z. B. bei Elektrofahrzeugen, Ladestationen, Energiemanagement oder LED-Beleuchtung. Gerade Europa und besonders Deutschland sind hier ein Treiber für Nachhaltigkeit, daher haben wir auch unsere Ressourcen in der Region erweitert. So arbeiten unsere Teams hier aktuell an der Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.