Was sagen Sie zur Zukunft des Automotive-Marktes? In der EU werden ja ab 2035 keine Benzin- oder Dieselfahrzeuge mehr verkauft werden dürfen. Was bedeutet das für Ihr Automobilgeschäft hier in Europa, das ja traditionell sehr stark ist?
Der Automobilsektor ist in Europa sehr interessant, weil EBV seinerzeit wirklich den Weg für Avnet geebnet hat. Wir haben EBV im Jahr 2000 übernommen, und EBV war bereits im Automobilgeschäft tätig, hauptsächlich im Bereich Software und Programmiergeräte für die OEMs. Heute haben wir in jeder Region der Welt einen Schwerpunkt im Bereich Automotive und Transportation, welcher auf europäischer Basis um die 20 Prozent unseres Geschäfts ausmacht.
Mit dem Anstieg der Elektrofahrzeuge, aber auch der ADAS, also der Fahrassistenz und der gesamten Elektronik im Auto, gibt es einen »Long Tail« an Kunden im Automobilbereich, die genau in unseren Sweetspot fallen. Es geht also nicht nur um das Fahrzeug, sondern auch um alles, was mit dem Fahrzeug zusammenhängt, z. B. die Ladestationen. Für uns ist die Entwicklung also auch weiterhin positiv.
Im Detail heißt das, der Elektronikanteil in einem E-Auto ist für uns ca. 15 Mal höher als bei einem normalem PKW-Diesel. Das bedeutet also, dass mit dem Wechsel hin zur Elektromobilität unsere Kunden zehn- bis 15-mal mehr Bauteile von uns beziehen, als sie es heute mit normalen Autos tun.
Ich verstehe, aber meinen Sie, dass die europäischen Hersteller in einer guten Ausgangsposition für die Wende zur Elektromobilität sind?
Ja, das sind sie. Viele Leute sagen, dass sie den Markt verpassen, aber das ist nicht der Fall. Wenn man sich uns alle anschaut, ist es den meisten von uns egal, was für einen Antrieb wir im Auto haben. Wir wollen von A nach B kommen. Und für uns ist die Qualität des Autos wichtig. Und da sitzt das Know-How in Deutschland. Dafür sind die Deutschen weltbekannt. Und das wird den großen deutschen Marken helfen, einen vernünftigen Marktanteil zu gewinnen.
Also glauben Sie nicht, dass es notwendig ist, das Automobilgeschäft durch andere Bereiche zu ersetzen?
Nun, ein Wandel wird sowieso passieren. Der Markt wird sich sehr schnell verändern.
Wenn man sich anschaut, wie viele vertikale Bereiche sich erweitert oder verändert haben oder wie weit verbreitet die Elektronik heute ist … Dabei ist es immer noch schwer, manchen Leuten zu erklären, was ein Halbleiter ist. Dabei – wenn man sich die Anwendungen ansieht, sind sie überall im Alltag vorhanden. Ich meine etwa intelligente LEDs, Sicherheitssysteme, elektrische Rollläden, Sofa, Waschmaschine, Kühlschrank, E-Bikes. Die Ausbreitung der Elektronik wird also ohnehin zunehmen. Wir brauchen also nichts zu ersetzen.
Auch kleinere Distributoren sind inzwischen zu Lösungsanbietern geworden, denn nur die Logistik alleine ist vielleicht nicht die Zukunft der Distribution. Wie beurteilen Sie das?
Ich bin wirklich begeistert von der Entwicklung der Distribution. Wir befinden uns im Zentrum der Technologie-Lieferkette. Ich nenne es Upstream und Downstream. Wir haben die wohl besten Lieferanten der Welt, die die innovativsten Technologien entwickeln. Und dann gibt es da noch die Kunden, über die wir in den letzten 40 Minuten gesprochen haben, die vertikale Märkte und Anwendungen nachfragen. Ich denke, wir als Distributoren sind wertvoller als je zuvor. Und ich denke, dass die Pandemie und die Unterbrechungen der Lieferkette, sei es der Suezkanal, der Frost in Texas oder die Brände in Japan, in den letzten 18 Monaten bis zwei Jahren die Zulieferer und unsere Endkunden veranlasst haben, ihre Lieferketten zu überdenken.
Von der Design- bis zur Lieferkette sind wir also mittendrin. Ich weiß, dass es für viele Kunden in den letzten zwei Jahren schwierig war, ihre Komponenten zu bekommen. Aber wir stellen fest, dass mehr Kunden zu uns kommen als zuvor, weil sie die Lieferketten für selbstverständlich hielten. Und als diese zusammenbrachen, brauchten sie wirklich Hilfe. Ich bin also sehr optimistisch, was die Rolle des Vertriebskanals Distribution in der Zukunft angeht.
Betrachten wir die Kundenseite, da gibt’s immer wieder Stimmen von Großkunden, v. a. EMS, die lieber direkt einkaufen würden.
Ich bin seit 40 Jahren dabei, wir als Avnet seit 100 Jahren. Es geht immer hin und her. Zunächst einmal kenne ich alle großen EMS gut und kenne die CEOs gut. Sie sind unsere größten Kunden. Also nein, im Gegenteil, ich denke, sie werden sich mehr auf uns stützen. Für einige von ihnen wird es immer eine Rolle spielen, direkt zu kaufen, und das ist in Ordnung. Aber mehr Kunden außerhalb der EMS-Branche, insbesondere in der Automobilbranche, kommen zu uns, weil sie die von uns angebotenen Dienstleistungen benötigen, und viele von ihnen kommen über unsere Zulieferer zu uns, weil die Zulieferer keine eigenen Lieferketten aufbauen wollen. Wir sind für sie die Partner, die das übernehmen. Sie bringen uns also tatsächlich zu einigen dieser großen Tier-One-Kunden. Es ist also immer ein bisschen ein Ying und Yang, aber nein, ich glaube, es wird eher in die andere Richtung gehen.
Abschließend und zusammenfassend – wie sehen Sie die Zukunft der Distribution?
Wie gesagt, zunächst einmal bin ich begeistert von der Position, in der wir uns befinden. Wenn man sich all die Dinge ansieht, über die wir gerade gesprochen haben, die Verbreitung von Elektronik, so viele verschiedene neue Anwendungen, und wir spielen bei allen davon mit. Ich denke, was sich verändern wird, ist nicht das, was wir tun, sondern wie wir es digital tun und wie wir mehr zu einem Omnichannel-Ansatz übergehen und dem Kunden das Erlebnis bieten, zu Avnet zu kommen und mit uns Geschäfte zu machen, egal auf welche Art und Weise er das möchte, sei es online, durch einen Anruf bei einem Innendienstmitarbeiter, dem Account-Manager oder was auch immer.
Wie also können wir weiterhin ein digitales Erlebnis bieten, das zu den besten seiner Klasse gehört und das wirklich transformierend sein wird? Dann werden wir wahrscheinlich über KI sprechen, denn KI ist derzeit in aller Munde, und wer weiß, wohin uns das Thema künstliche Intelligenz noch führen wird. Und wir nutzen bereits einiges davon, und wir wollen auch hier an vorderster Front bleiben.
Aber auch die Größe des Unternehmens ist wichtig, vor allem jetzt, da alles erst lokal, dann regional und schließlich global wurde. Bei all diesen Zusammenbrüchen in der Lieferkette wollen immer mehr Kunden ein Lager in ihrer Nähe haben.