Vor diesem Hintergrund lohnt ein Blick auf das Vertriebsmodell für die Raspberry-Pi-Produkte: Ursprünglich hatte die Pi Foundation mit RS Components und Farnell weltweit zwei Distributoren an Board. Mittlerweile ist die Avnet-Tochter Farnell der weltweite Exklusiv-Distributor. RS hat die Pi-Produkte nicht mehr im Lieferprogramm. Gründe dafür nannte das Unternehmen auf Nachfrage von Markt&Technik nicht.
Farnell hat als Distributor nicht nur eine zentrale Vertriebsrolle, sondern ist nach eigener Aussage »ein lizenzierter Hersteller und Vertriebspartner, d. h. wir bauen Raspberry-Pi-Boards und verkaufen sie auch«, führt Simon Wade aus. Wobei Farnell keine eigenen Fertigungen unterhält, sondern im Auftrag bei EMS-Firmen produzieren lässt. Wo genau die Produktion stattfindet, da lässt man sich nicht im Detail in die Karten schauen. Bekannt ist aber beispielsweise, dass wie erwähnt Sony Manufacturing in UK Raspberry Pis fertigt.
Das Vertriebsmodell umfasst ferner eine stattliche Anzahl an sogenannten Resellern oder auf Deutsch Wiederverkäufer. Im Unterschied zu Farnell sind sie keine lizensierten Hersteller und beziehen ihre Ware direkt von Farnell. »Die zugelassenen Wiederverkäufer werden direkt von Raspberry Pi Trading ausgewählt und die Vereinbarung besteht zwischen ihnen. Als Teil dieser Vereinbarung kaufen sie ihre Produkte über Farnell ein«, erläutert Wade.
Gefragt nach dem Procedere, wie Wiederverkäufern ihre Ware in Zeiten knapper Verfügbarkeit zugeteilt wird, antwortet Wade salomonisch: »Die Boards werden dann an die Wiederverkäufer versandt, wenn diese sie brauchen, was dem traditionellen Geschäftsmodell von Farnell entspricht. Wir wollen den Markt nicht mit Raspberry Pi 4 überschwemmen, was aus verschiedenen Gründen niemandem nützt. Daher werden wir unsere normale Vorgehensweise beibehalten und die Produkte zur Verfügung stellen, wenn die Wiederverkäufer sie anfordern.«
Inwieweit es dabei weiterhin eine bewusste Priorisierung der Industriekunden geben wird, lässt Farnell offen. Einen guten Zugang zu den Industriekunden hat Farnell jedenfalls schon aufgrund seines Business-Modells, das sich eigentlich in erster Linie an B2B richtet. Die Grenze zwischen Hobby-Maker, also B2C, und professionellem Entwickler – B2B – verwässert aber zunehmend, was sicherlich auch ein Aspekt ist, warum der Pi in der Industrie immer beliebter wird.
Zu den von Simon Wade erwähnten Wiederverkäufern gehört, wie bereits erwähnt, auch der Distributor reichelt elektronik. »Wir sind Approved Reseller der Raspberry Pi Foundation«, betont Ulf Timmermann. Je nach Ländergröße gebe es lediglich ein bis drei autorisierte Reseller, so Timmermann weiter. Reichelt elektronik erhält wie alle Reseller seine Pi-Ware von Farnell. »Alle Reseller haben entsprechend ihrer Größe die Bestellungen dort platziert. Die Ware wird momentan gleich verteilt«, erklärt Timmermann. Er räumt aber gleichzeitig ein, dass die Industrieschiene »etwas anders« laufe.
Reichelt elektronik ist in beiden Genres zuhause. Zur Klientel gehören sowohl private Käufer als auch Industriekunden. Rund 70 Prozent des Umsatzes resultiert laut Timmermann aber mittlerweile aus dem B2B-Segment. Und Timmermann ist stolz darauf, dass er den Raspi schon kurz nach dessen erster Vorstellung ins Vertriebsprogramm geholt hat. Inzwischen sind die Single-Board-Computer bei Reichelt eine eigene Produktschiene. »Wir sind ein wunderbares Bindeglied zwischen der Raspberry Pi Foundation und den Industriekunden. Wir können auch technische Hilfestellung bieten und sozusagen die Bedürfnisse der Kunden übersetzen.«
Wer kein Reseller ist, kann den Raspberry Pi als Händler dennoch verkaufen, indem er bei einem Reseller oder auch direkt bei Farnell bestellt und die Ware mit entsprechendem Aufschlag veräußert. Daher sind auf den gängigen Online-Plattformen momentan immer wieder auch die begehrten Raspberry-Pi-4-Boards punktuell und in Einzelstücken verfügbar, allerdings für ein Vielfaches der UVP.
Ob die Foundation beim Vertriebsmodell auch künftig verstärkt auf Industriekunden setzt oder in Anbetracht der überbordenden Nachfrage gar ihr Geschäftsmodell ändert, bleibt aktuell noch nebulös. Konkret möchte sich dazu keiner der Befragten äußern. Neue Erkenntnisse hierzu könnte das jährliche Treffen der Rasbperry Pi Foundation im Herbst in Camebridge bringen. Derweil hält man sich lieber bedeckt, denn schließlich hängt ein Großteil der Reputation des Pi nach wie vor an der Maker-Gemeinschaft – und die ist eine sehr stimmgewaltige Community.