Sicheres autonomes Fahren

Fußgängerverhalten mittels KI vorhersehen

18. August 2025, 15:00 Uhr | Iris Stroh
Die Paderborner Wissenschaftler*innen Dr. Sandra Gausemeier (re.) und Dr. Tim Lehmann (li.) erforschen neue Technologien für sicheres autonomes Fahren.
© Universität Paderborn/Thorsten Hennig

Ein Forschungsprojekt der Uni Paderborn entwickelt KI-Methoden, die Absichten von Fußgänger*innen anhand von Motorik und Neurodaten vorhersagen. Ziel ist es, autonome Fahrzeuge befähigen, Risiken früh zu erkennen und Unfälle zu vermeiden. Erste Ergebnisse werden 2027 erwartet.

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Ein Ball rollt auf die Straße, auf dem Bürgersteig steht ein Kind – bei Autofahrer*innen läuten die Alarmglocken. Die Folge: Sie bremsen, weil sie davon ausgehen, dass das Kind auf die Straße rennt. Auch in anderen potenziell gefährlichen Situationen sind Autofahrer*innen in der Lage, das Verhalten von Fußgänger*innen zu erahnen. Autonome Fahrzeuge, die das Straßenbild zunehmend prägen werden, können das nicht. Aktuelle Technologien reagieren zwar auf kritische Situationen, aber es fehlt an der Fähigkeit, Handlungen vorherzusehen. An der Universität Paderborn startet jetzt ein neues Forschungsprojekt, das diese Lücke schließen und autonome Fahrzeuge dazu befähigen will, die Absichten von Fußgänger*innen zu erkennen, noch bevor sie handeln.

Experimentelle Untersuchungen zum Entscheidungsverhalten von Fußgänger*innen

Die Zukunft des Verkehrs steht vor einer großen Herausforderung: Wie kann das Zusammenspiel von autonomen Fahrzeugen und Fußgänger*innen gelingen – effizient und sicher? Diese Frage treibt Dr.-Ing. Sandra Gausemeier und Dr. rer. medic. Tim Lehmann um. Ihre Idee: Autonome Fahrzeuge sollen Handlungsabsichten erkennen, indem sie eine Kombination aus KI-Methoden und Bewegungsanalyse verwenden. Der Ansatz ist neu und vielversprechend. Dr. Gausemeier ist Expertin für Fahrerassistenzsysteme in der Fachgruppe »Regelungstechnik und Mechatronik« am Heinz Nixdorf Institut. Die Forschung im Bereich der modellbasierten Entwicklung mechatronischer Systeme gehört also zum Alltag der Wissenschaftlerin. Dr. Lehmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsbereich Trainings- und Neurowissenschaften des Departments Sport & Gesundheit. Sein Spezialgebiet: Die Erforschung menschlicher motorischer Verhaltensweisen und der zugrundeliegenden neurokognitiven Prozesse. Die beiden Wissenschaftler*innen haben sich zusammengetan und führen für ihr Vorhaben u. a. experimentelle Untersuchungen zum Entscheidungsverhalten von Menschen durch. Diese dienen später als Grundlage für prädiktive, also voraussagende, Algorithmen in autonomen Fahrzeugen.

Kühne Ideen für die Wissenschaft

Für ihr Vorhaben sind die Wissenschaftler*innen mit dem Forschungspreis der Universität Paderborn ausgezeichnet worden. Die Hochschulleitung vergibt die mit 150.000 Euro dotierte Auszeichnung als Anerkennung außergewöhnlicher Forschungsprojekte abseits des Mainstreams und fördert damit kühne Ideen für die Wissenschaft. »Durch die Kombination von künstlicher Intelligenz und neurokognitiver Analyse will das Projekt einen Paradigmenwechsel in der Interaktion zwischen Menschen und autonomen Systemen herbeiführen. Das ist nicht nur von großer Relevanz für die Gesellschaft, sondern im besten Sinne visionär«, sagt Prof. Dr. Thomas Tröster, Vizepräsident für Forschung und akademische Karrierewege der Universität Paderborn.

Mehr als Kollisionsberechnungen

»Unser Ziel ist es, ein KI-basiertes System zu entwickeln, das künftige Handlungsabsichten von Fußgänger*innen anhand ihrer Motorik einschätzen, ihr Verhalten vorhersagen, Risikoprofile erstellen und somit kritische Situationen proaktiv vermeiden kann«, erklärt Dr. Gausemeier. Dazu sollen erstmalig experimentelle Untersuchungen zum Entscheidungsverhalten von Menschen in realen urbanen Szenarien durchgeführt werden. »Das geht weit über simulations- oder laborbasierte Studien hinaus und adressiert die komplexen und hochdynamischen Interaktionen zwischen Mensch und Maschine. Autonome Systeme sollen dann in der Lage sein, nicht mehr nur klassische Kollisionsberechnungen, sondern auch die situative Aufmerksamkeit und Ablenkung von Fußgänger*innen in die Manöverplanung einzubeziehen«, ergänzt Dr. Lehmann.

Mustererkennung zur Erfassung menschlicher Bewegungsabläufe

Die Verhaltensbestimmung anderer Fahrzeuge erfolgt u. a. anhand der Verkehrsregeln. Die Zahl der Handlungsmöglichkeiten ist damit auf wenige Optionen beschränkt. Fußgänger*innen haben solche starken Einschränkungen nicht, sowohl die Bewegungs- als auch Entscheidungsmöglichkeiten sind deutlich flexibler: »An dieser Stelle sollen Methoden des maschinellen Lernens (KI) eingesetzt werden, um mittels Mustererkennung die Komplexität der menschlichen Bewegungsabläufe über mehrere Sekunden zu verstehen und Handlungsabsichten mit hoher Verlässlichkeit vorherzusagen«, führt Dr. Lehmann aus.

Sicherheit aller Verkehrsteilnehmenden erhöhen

Für die Mustererkennung durch KI ist die Qualität der Trainingsdaten entscheidend. Dafür wollen die Wissenschaftler*innen ein mehrstufiges Verfahren entwickeln. Dazu Dr. Gausemeier: »Für die Datenerhebung sollen Testpersonen mit ,Eye Tracking‘, mobiler Elektroenzephalographie, also der Messung der Gehirnaktivitäten, multisensorischen mobilen Messsystemen und ,Motion Capturing‘ ausgestattet werden. Das erlaubt es uns, die Auswirkungen situativer Parameter und des kognitiven zerebralen Entscheidungsverhaltens hinsichtlich der daraus entstehenden Bewegungsabläufe zu klassifizieren.« Nach dem Training sollen die autonomen Systeme ausschließlich anhand der Onboard-Kamerabilder Absichten erkennen und daraus auf künftige Bewegungsabläufe schließen. »Mit diesem Lösungsansatz kann die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer*innen substanziell erhöht werden«, hält Prof. Tröster fest. Mit ersten Ergebnissen rechnet das Team Anfang 2027.


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