Grundlagen zur Einführung eines Mehrspannungs-Bordnetzes

Freie Bahn für 48 Volt

20. November 2015, 13:35 Uhr | Von Markus Rau und Dr. Matthias Lenhart-Rydzek
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Schutzkonzepte empfohlen

Grundsätzlich muss man, je nach Auftrittsort in einem typischen Strompfad (Bild 3), zwischen parallelen und seriellen Lichtbögen unterscheiden. Der parallele Lichtbogen entsteht klassisch durch einen Kurzschluss gegenüber dem Massepotenzial. Die fließenden Ströme sind sehr hoch und im Wesentlichen nur durch den Lichtbogen- und Leitungswiderstand begrenzt. Die Schmelzsicherung ist daher potenziell in der Lage, den Stromkreis zu unterbrechen und somit den Lichtbogen zu löschen. Dies geschieht jedoch nur, wenn der Kurzschluss lange genug besteht. Bei schleichenden Kurzschlüssen ist ein Auslösen der Schmelzsicherung im Falle eines parallelen Lichtbogens nicht zwingend gewährleistet.

Der serielle Lichtbogen ist dadurch gekennzeichnet, dass durch den zusätzlichen Spannungsabfall am Lichtbogen der Laststrom verringert wird. Folglich werden serielle Lichtbögen durch Überstromsicherungen (z.B. Schmelzsicherungen) nicht gelöscht.

Aufgrund der benötigten Mindestleistung kann unterhalb einer gewissen Schwelle kein Lichtbogen brennen. Eigene Forschungen haben gezeigt, dass Verbraucher mit Nennleistungen von über 450 W stark lichtbogengefährdet sind. Die Leistung potenzieller 48-V-Aggregate, wie etwa eines aktiven Wankausgleichs, einer elektronisch unterstützten Lenkung oder eines Klimakompressors, ist größer als 450 W, teilweise sogar erheblich. Geeignete Schutzkonzepte sind also unbedingt notwendig und werden dringend empfohlen.

Leider gibt es für Kraftfahrzeuge heute noch immer keine Lösung von der Stange. Dennoch existieren vergleichsweise einfache und praktikable Möglichkeiten für die sichere Erkennung und Löschung von Störlichtbögen. Die Komplexität der erforderlichen Lösung ist dabei abhängig vom Lastprofil der jeweiligen elektrischen Last. Einfache Verbraucher, wie beispielsweise passiv ausgeführte Heizsysteme, bedürfen beispielsweise einer besonderen Aufmerksamkeit, da keine Elektronik zur Spannungsüberwachung vorhanden ist.

Schaltungsbeispiel für die sichere Erkennung und Löschung von Störlichtbögen: Ein Detektor auf Basis der Wheatstoneschen Messbrücke ist aus diskreter Elektronik aufgebaut und kommt ohne Mikrocontroller aus
Bild 4. Schaltungsbeispiel für die sichere Erkennung und Löschung von Störlichtbögen: Ein Detektor auf Basis der Wheatstoneschen Messbrücke ist aus diskreter Elektronik aufgebaut und kommt ohne Mikrocontroller aus.
© Leoni

Messbrücke als wirksamer Detektor

Eine von Leoni als Prototyp umgesetzte Idee ist in Bild 4 zu sehen. Die Funktionsweise basiert auf dem Prinzip der Wheatstoneschen Messbrücke. Zwei von vier hochohmigen Messwiderständen sind unmittelbar am Verbraucher angeordnet, die anderen beiden in einem Leistungsverteiler. Zur Auswertung der Zustände, basierend auf einer Potenzialverschiebung im Plus- oder Massepfad, ist eine kleine Elektronik im Leistungsverteiler vorgesehen. Eine Sensorleitung stellt die Verbindung zwischen den Messwiderständen am Verbraucher und der Elektronik her. Die Widerstände müssen nicht zwingend Bestandteil des Verbrauchers sein, sie können auch im Stecker oder im Kabelbaum am Stecker­eingang integriert werden. Die Auswerteelektronik erkennt die Brückenverstimmungen und löscht den Lichtbogen durch die Abschaltung des Systems. Eine Schwelle für die Mindesthöhe der Lichtbogenspannung und eine Ansprechverzögerung bei der Erkennung des Lichtbogens sind einstellbar, um kurze Spannungsschwankungen aufgrund von Störeinflüssen von Generator und Verbraucher zu unterdrücken.

Eine interessante Funktionserweiterung dieser Lösung ist die Verwendung einer geschirmten Leitung im Pluspfad des Verbrauchers. So kann der Schirm die zusätzlich notwendige Sensorleitung ersetzen. Dies ermöglicht auch die Erkennung einer beschädigten Leitungsisolation, sobald der offen liegende, sensitive Schirm mit der Karosseriemasse in Berührung kommt. Somit ist ebenfalls ein Schutz vor dem Auftreten von parallelen Lichtbögen gegeben. Eine weitere Detektionsmöglichkeit des parallelen Lichtbogens besteht in der Messung des Verbraucherstromes an der Pluseinspeisung des Lastpfades. Hierfür bietet sich als Messort ein elektronischer Leistungsverteiler an, bei dem als Schaltelement anstelle eines Relais ein Halbleiter verwendet wird. So umgeht man nicht nur die Lichtbogenproblematik beim Öffnen eines Schalters unter Last, sondern kann bei geeigneten Transistoren auch gleichzeitig den Strom erfassen. Steigt nun der Strom im Lichtbogenfall an, kann die Elektronik durch den Vergleich zwischen Ist- und Soll-Werten zwischen einem regulären Betriebsfall und einem Störfall unterscheiden und den Lichtbogen gezielt löschen. Für den Serieneinsatz von elektronischen Schaltungen im Fahrzeug-Bordnetz bleibt allerdings das Kosten-Nutzen-Verhältnis abzuwägen. Abhängig von der Anzahl der Komponenten, die in die höhere Spannungsebene gelegt werden, sind hier auch passive Maßnahmen zur Lichtbogenprävention in Betracht zu ziehen.

Spezielle Anforderungen an 48-V-Leistungsverteiler

Im Bereich der Leistungsverteiler gilt es ebenfalls einige Modifikationen vorzunehmen, um den Anforderungen an die höhere Spannungsebene gerecht zu werden. Die wesentlichen Unterschiede zwischen den Boxen im 12-V-Bordnetz und den 48-V-Varianten sind im Gehäusematerial, den erweiterten Luft- und Kriechstrecken sowie in der erhöhten Korrosionsneigung zu finden.

Aufgrund der erhöhten Bordnetzspannung kommt es zu einer verstärkten Ausbildung von elektrisch leitenden Strecken, selbst über vermeintlich isolierendes Material hinweg. Bei den Gehäusen für 48-V-Leistungsverteiler ist demnach dringend auf die Verwendung von Kunststoffmaterialien mit geeigneten CTI-Werten (CTI= Comparative Tracking Index) zu achten. Auch im Boxen-Design muss auf eine Anpassung der Luft- und Kriechstrecken geachtet werden. Leoni empfiehlt den gezielten Einbau von Rippen und Kerben, um eine ungewollte elektrische Verbindung über die Lebensdauer hinweg zu unterbinden. Ebenfalls auf die höhere Spannung zurückzuführen ist eine entsprechend höhere Korrosionsneigung, die sich sowohl in den Kontaktsystemen als auch im Leistungsverteiler als problematisch erweisen kann. Labortests haben gezeigt, dass eine ausreichende Belüftung der Box deutliche Vorteile gegenüber einer hermetisch geschlossenen Variante mit sich bringt.

Der sicheren und zuverlässigen Einführung des 48-V-Energie-Bordnetzes steht also unter Berücksichtigung der beschriebenen Besonderheiten und Designrichtlinien nichts im Wege. Mehrspannungs-Bordnetze stellen damit eine interessante und effiziente Möglichkeit dar, die Energiebilanz der Fahrzeuge zu verbessern. Neben den beschriebenen kraftstoffsparenden Funktionen wie Rekuperation oder E-Boost und den damit verbundenen höheren Wirkungsgraden trägt auch der Kabelsatz des 48-V-Systems selbst seinen Teil zur CO2-Reduzierung bei. Da die erforderlichen Leitungsquerschnitte kleiner sind, werden sie dünner und leichter. Eine Einsparung von bis zu zwei Kilogramm im Gesamtfahrzeug ist realistisch.

 

Die Autoren

Markus Rau
 
studierte Elektrotechnik in Erlangen. Danach nahm er seine Tätigkeit bei der Leoni Bordnetz-Systeme GmbH auf, wo er innerhalb der R&D Produkte für das Bordnetz entwickelte. Heute ist er Projektleiter für neue Technologien im Team von Dr. Matthias Lenhart-Rydzek.

 
Dr. Matthias Lenhart-Rydzek
 
leitet innerhalb der zentralen R&D der Leoni Bordnetz-Systeme GmbH das Team New Technologies. Zuvor studierte er Physik in Würzburg, wo er auch auf dem Gebiet „transparenter und elektrisch leitfähiger Metalloxid-Mehrschichtsysteme“ promovierte.

 

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