Besserer Insassenschutz im Pkw

Kinderleben retten mit KI

11. August 2023, 11:00 Uhr | Irina Hübner
In einer medizinisch begleiteten Testreihe mit Kindern im Alter zwischen null und zehn Jahren hat Marquardt Messdaten gewonnen, mit denen künstliche Intelligenz zum Schutz von Kinderleben angelernt wurde.
© Marquardt

Sommer, Schwimmbad-Wetter und viel Sonnenschein – das birgt auch Gefahren. So passiert es jedes Jahr, dass vor allem kleine Kinder einen Hitzetod sterben, weil sie unbeaufsichtigt in abgestellten Fahrzeugen zurückgelassen worden sind. Eine Kombination aus Radarsensorik und KI bietet Schutz.

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Allein in den USA, wo diese Hitzetodfälle systematisch erfasst werden, sind seit 1998 mehr als 900 Kleinkinder auf diese Weise ums Leben gekommen. Etwa 85 Prozent davon im Alter von vier Jahren oder jünger. Wichtig zu wissen: Dafür braucht es keine Hitzerekorde – es genügen bei starker Sonneneinstrahlung schon Außentemperaturen ab 14 °C, damit es im Fahrzeuginnenraum zu kritischen Situationen für Kleinkinder kommen kann. Dehalb plant das European New Car Assessment Programme (Euro NCAP) verbindliche Vorgaben für einen verbesserten Innenraumschutz für Kinder in Neufahrzeugen.

UWB-Radartechnik und künstliche Intelligenz

Das global agierende Mechatronik-Unternehmen Marquardt hat nun ein System entwickelt, das verlässlich erkennt, ob sich ein Kind im Fahrzeug befindet. Das System erkennt die Vitaldaten der Insassen und gibt diese zuverlässig an die Fahrzeugelektronik weiter. Mit diesen Daten ist es möglich, Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand und mit weiterer Sensorik das ungefähre Alter der hilfebedürftigen Person zu bestimmen.

Notfallwarnungen können sodann ausgelöst werden. Dies kann in mehreren Schritten und in Abhängigkeit der Vitalinformation, bis hin zu Weiterleitung an Notdienste, erfolgen. Im Notfall sendet das sogenannte CPD-System (Child Presence Detection – Anwesenheitserkennung von Kindern) automatisch Warnsignale in verschiedenen Eskalationsstufen aus – bis hin zur Alarmierung von Rettungskräften.

Software-Algorithmen mit KI

Marquardt nutzt in seinem CPD-System leistungsstarke Radarsensorik, die auf Basis von Ultra-Breitband-Strahlung (UWB, Ultra-Wideband) arbeitet. Dabei handelt es sich um eine Technologie, die für die Gesundheit der Insassen unbedenklich ist. Bei der Auswertung der Radardaten setzten die Marquardt-Entwickler auf Software-Algorithmen mit künstlicher Intelligenz. Das UWB-Radar, dessen Sensoren sich in jeder Sitzreihe eines Fahrzeugs befinden, ermittelt durch Laufzeitmessung des reflektierten Signals, ob sich Objekte im Innenraum befinden, die sich bewegen. Die KI in Form selbstlernender Algorithmen ist in der Lage, die vom Radar erfassten Bewegungsmuster zu unterscheiden und zuzuordnen.

»Im akribisch aufeinander abgestimmten Zusammenspiel beider Technologien erkennt unsere Lösung, ob die erfasste Bewegung von einem Gegenstand oder einem Lebewesen stammt. Mit Hilfe mehrerer Sensoren kann die Bestimmung der Altersgruppe durchgeführt werden«, betont Andreas Becher, dessen Team das System konzipiert hat. »Diese Fähigkeit ist deswegen wichtig, weil ein Alarm nur dann ausgelöst werden muss, wenn erkannt wird, dass ein Baby oder Kleinkind allein im Fahrzeug zurückgelassen worden ist. Gerade in dieser Altersgruppe ist davon auszugehen, dass sie sich nicht selbst aus der Notsituation befreien können.«

Ganzheitlicher Entwicklungsansatz

Um Bewegungen im Fahrzeuginnenraum festzustellen, orientiert sich das CPD-System von Marquardt an der menschlichen Atmung. Anders als bei der Bewegung von Gliedmaßen wiederholt sich das Heben und Senken des Brustkorbs permanent – auch im Schlaf oder bei einer Ohnmacht. Zudem geschieht dies sehr gleichmäßig und weist ein bestimmtes Muster auf. Hinzu kommt, dass sich die Atemfrequenz je nach Alter unterscheidet. Die Erkennung der Atembewegung ist selbst durch dicken Stoff oder durch Fremdgegenstände wie eingebaute Kindersitze mit zugelassenem Rollo zuverlässig möglich.

Fachmedizinische Tests mit Kindern

Die benötigten Daten hat Marquardt in einer medizinisch begleiteten Testreihe mit über hundert Kindern im Alter zwischen null und zehn Jahren gewonnen. In einem Testfahrzeug wurden dabei die Atembewegungen der kleinen Probanden aufgezeichnet. Ein Kinderarzt mit einem zusätzlichen technischen Studium hat gemeinsam mit dem Entwicklungsteam die Messdaten ausgewertet und die korrekte Versuchsdurchführung unterstützt. Die so erzielten Erkenntnisse bilden die Grundlage, um die künstliche Intelligenz anzulernen, damit sie die vom UWB-Radar erfasste Signalmusterfolge korrekt interpretieren kann.

Serienentwicklung geplant

»Wir haben seit 2021 intensiv an einer Lösung gearbeitet. Das Ergebnis ist ein funktionaler Prototyp, der den Nachweis erbracht hat, dass unser System zuverlässig funktioniert und die zu erwartenden Vorgaben des Euro NCAP bereits jetzt erfüllt«, erklärt Markus Kramer, Head of Innovation bei Marquardt. »Der nächste Schritt ist der Einstieg in die Serienentwicklung gemeinsam mit der Automobilindustrie.«


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